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Ölig wie zwei Spanier am Kavalierstrand (410)

 

 

Die Warnmeldungen der Wetterdienste haben es heute in sich: „Sengende Hitze macht jede kleinste Anstrengung zur Qual, massive UV-Strahlung, 39 Grad. Bleiben Sie bloß zuhause, ziehen Sie dicke Gardinen vor die Fenster und rühren sich kaum von der Stelle.“ Tatsächlich, das wäre eine Option. Denn die Sonne wütet, das Land glüht, der Korpus schwitzt, voll genässt der Schlüpfer sitzt, aus allen Ritzen läuft es raus, und zwar in Saus und auch in Braus.

 

Als Doctor Pichelstein mittags seinen Sangesdoc vor der Haustüre ins Auto lädt, ist das erste Handtuch bereits völlig durchnässt. Fürst Fedja muss an diesem Sonntag passen, die Tank Company nimmt den Tourmanager voll in Beschlag, und so geht‘s wie anno dazumal im Duo Infernale auf die Reise nach Dresden. Ziel ist das 29. Elbhangfest unterm derben Volksmund-Motto: „Diddschn statt Diggschn – das wohltemperierte Kaffeekränzchen.“ Besser gepasst hätte: „Gugge mah, wie de Sonne in den Gobb neindiddschn dud - Sehnsuchtsort Wüste.“ 15 Mal in Folge sind die Doctors nun bereits auf dem Elbhangfest, Tradition verpflichtet, Hitze hin, Regen her.

 

 

Auf Bockwürste oder Autobahn-Sandwiches aus dem Laser-Drucker wird verzichtet, die Devise lautet: Schnell ankommen, Schatten suchen, einträchtig nebeneinandersitzen, Kaltgetränke zuführen und was Leckeres aus der Küche der Grottenwirtschaft schnabulieren. Ein Plan, der funktioniert. Der Küchenchef tafelt großzügig auf und Doctor Pichelstein wird unterm azurblauen, wolkenlosen Himmel rasch klar, dass Radler heute eine bessere Option ist, als Radeberger pur. Auf der Bühne stehen derweil im Schweiße: Faktor-X. Die Messenger-App auf Chefwirt Hendriks Handy pingt. Ein Bild wird geladen, ein Dachstuhl steht in Flammen. Den Schlagzeuger der Kapelle Bmon hat’s erwischt. Bmon sollten eigentlich nach den Doctors um 17 Uhr aufspielen, daraus wird nichts. Denn wem das eben erst gebaute Haus abbrennt, hat anderes zu tun, als Trommelfellen saures zu geben. Unser größtes Mitgefühl für das Desaster, zu Schaden kam niemand. Hat die Katze geraucht? Wir wissen es nicht.

 

 

Unterdessen berieselt ein Mädchenbefeuchter die vormals glühende Straße und es ist eine große Wonne, dabei zuzusehen, wie auf E-Rollern oder Fahrrädern vorbeifahrende, strahlende Damen in leuchtend weißen Shirts und Blüschen darunter kreischen, während verdruckste Herren, von der Hitze melancholisch matt geworden, cool bleiben und sich Tropfen galant von den Brillen putzen. Kinder fahren, rennen, toben durch die Pfützen, meistens mit einem Juchzen, seltener mit dem laut artikulierten Wunsch nach einem von der Mutter aufgeklebten Pflaster fürs ramponierte Knie. Wer schneller als der eigene Schutzengel ist, hat eben Pech. Im Schatten ist es eine Wonne dem Treiben zuzusehen, doch nach gefühlten Stunden des Müßiggangs ruft die Arbeit. Im Schneckentempo wird die Bühne bestellt, der Sound eingepegelt. Das zweitheißeste Konzerte der Russian Doctors - nach einem Pirna-Open Air vor drei Jahren - startet mit ein wenig Wind, der den Atem bis dato anhielt. Und eben dieser Wind ist es, der das Spielen ganz und gar angenehm macht. Mitten im Lied beginnt er zu wehen, verspielt als Lüftchen, direkt vom Elbufer herkommend, an dem es – aufgrund des Niedrigpegels – von Goldsuchern nur so wimmeln müsste.

 

 

Der Hitze geschuldet treibt es die Menschen nicht in Scharen vor die Boxen, doch unter Zeltplanen und Rettungsschirmen geht es ähnlich hoch her wie in den Jahren zuvor. Mancher Karawanenpilger glaubt einer in der Sonne leuchtenden Fata Morgana aufgesessen zu sein. Vor Ehrfurcht und Unglaube („Der Gärtner lachte …“) klappen die Kinnladen herunter. Nach einem hastig verkonsumierten Kaltgetränk wird das Glas zum Himmel gehoben und der mit weicher, schnurrender Stimme geäußerte Satz: „Das beste Konzert, das mir auf dem Elbhangfest zu Ohren kam“, macht die Runde. Ja, da steckt Wahrheit drin. Und überhaupt: Wann darf man schon von sich behaupten, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit zu sein? Geschieht wirklich selten. Würde man das zweistündige Konzert mit einem Adjektiv der musikalischen Superlative beschenken, dürfe „zauberhaft“ passen. Verwiesen wird an dieser Stelle auf die „Ballade vom gelben Fettfrosch.“ Speed-Ausreißer dürfen dennoch nicht fehlen; selbst unter Wüstenbedingungen lässt es sich Doctor Pichelstein nicht nehmen, einen Weltrekordversuch bei der „Harten Wirtin“ anzureißen. Knapp wird er verfehlt. Den Nerds sei somit in die Tabellen notiert: „Schnellstes jemals bei einem tropischen Elbhangfest gespieltes Lied.“ Es darf getanzt werden, unterm Mädchenbefeuchter sieht das allemal toll aus, und dass in der „Harten Wirtin“ die Refrain-Zeile „Manchmal im Winter“ vorkommt, läutet gefühlte Kühle ein. Als im letzten Zugabenblock „Als das Eis kam“ über die Pillnitzer Landstraße schallt, schauert’s einem gar über den Nacken herrlich wunderfein. Rundum glücklich, ölig wie zwei Spanier am Kavalierstrand, verlassen die Doctoren die Bühne. Es ist kurz vor 18 Uhr, kein Mond hängt sichtbar am Himmel, der Weg in die Kemenate ist noch fern. Ach, Grottenwirtschaft, liebe Menschen, wir haben Euch alle gern.