Wenn der Schnabel erst mal nass ist (452)

 

Ermüdung von der Woche war gestern, heute ist Samstag, Tourtag, Freudentag. Die Doctoren Makarios und Pichelstein verreisen einmal mehr ausgeschlafen in die Pratajev-Stadt Pirna. Da muss was dran sein, an Pi Pa Pirna. Und natürlich gilt der Satz: „Was in Pirna passiert, bleibt in Pirna.“ Sofern man am nächsten Tag noch ein Leben haben möchte. Bis dahin steht ein am Navi-Ende tröstlicher Blechlawinenweg über verstopfte Pisten bis zur Sächsischen Weinstraße zu Buche. 

 

Ja, es ist Krise. Bautzner Senf ist aus, Sprit ist teuer, und die Autopilot-Sparer fahren mit 120 km/h in der Mitte. Da möchte man hupen. Weiß aber, dass die Autohupe ein primitives Musikinstrument ist, das selbst sogenannte Querdenker zu bedienen wissen. Ein Niveau, auf das man sich nicht herablassen möchte.

 

Unterdessen brennen die Feuer in der Sächsisch-Böhmischen Schweiz weiter; der Rote Hahn springt von Baum zu Boden und brennt vieles nieder. Südeuropäische Sommerzustände mit Fremdverschulden. Denn von selbst entzündet sich hierzulande kein Wald. Es sei denn, Hase und Reh kifften zu dreist an der Wildschwein-Feuerstelle.

 

 

 

Während es in Leipzig stundenlag kräftig schüttete, bleibt der Pirna-Regen aus. Schlecht für die Feuer, gut fürs Ambiente rund ums Hotel Elbparadies. Holladiewaldfee! Gestaunt wird nicht schlecht. Vorm Konzertpavillon winkt bereits die Vorhut, bestehend aus Apollo Muffler, Frank „The Tank“ Förster, heute angerückt mit dem Stallwache-Starensemble-Barpersonal und für die Cocktailversorgung zuständig. Noch machen unvergällte Saftgläser die Runde. Ein schneller Soundcheck führt gleichermaßen zur ersten Runde Leckerbier.

 

 

 

Worum geht es heute? Um Chrissi und Karsten, seit 14 Jahre verpaart, sieben Jahren verlobt, nach weiteren sieben wortwörtlich, per Schiff, in den Hafen der Ehe eingelaufen. Dieser Tag, dieser Hochzeitstag wurde von Braut und Bräutigam zur Chefsache erklärt. Und das Wohlbefinden aller jetzt und später Anwesenden ist ihnen auf ewig sicher. Hach, um es vorwegzunehmen, paar Superlative: Inneres Blumenpflücken, lecker, genial, klasse, wunderbare Menschen voller entwaffnender Herzlichkeit, glückliche Kids und sehr breit grinsende Erwachsene …  mit Zuckerwatte, Fotoautomat, Seifenblasenmaschine etc. pp. Danke!

 

Die Doctoren waren dabei, die zweifachen wie die dreifachen Punkdocs. So soll jede Hochzeit sein. Denn, um es mit Edward Norton Lorenz zu sagen: Nichts wiederholt sich, das Leben folgt der Chaostheorie.

 

 

Dass im Laufe des Abends und der Nacht, in leicht missgeleiteter Schnapsweise, ein Kronleuchter von der Decke kommt, wer durchs anschließend entfernungsbedürftige Treppengeländer kracht, gehört dazu.

 

All das muss eine vollbusige Gartenzwergin nicht mehr mit ansehen, weil sie bereits beim Junggesellenabschied kopfwärts zu Bruch ging.

 

Einträchtig wird die Situation noch einmal bewundert, dann legen die Akustik-Docs mit dem ersten Set los. „Da hält der Wind den Atem an.“ Es wird ein wilder Nachmittagsschwof mit grinsenden Blicken in ein fröhliches Gesichterkarussell. Pichelstein hält es mit der Förster’schen Halbsatzweisheit: Wenn der Schnabel erst mal nass ist …  Wird er doch fürstlich vom Don Bulbash höchstpersönlich mit randvollen Kristallgläsern versorgt.

 

 

 

Als es dunkelt, ist die erste Schnapsbar erreicht und das Schwarzhemd des Makarios glänzt im Schweiße. Auf ans Buffet! Die Schlange bildet sich. Hungrig, voller Vorfreude, es gibt kein Entkommen. Und vor allem: keinen Kraut- und Rüben-Ernährungsextremismus. Getafelt wird, als gäbe es kein Morgen. Geplättet vor Glück schaufelt sich Pichelstein eine Dorade im Salzmantel hinter die Kiemen. Zeit für ein Nickerchen. Nein! Lirum larum, los geht’s. Konzertblock zwei steht an.

 

 

 

Eine weitere Stunde voller Pratajev-Obsession, beginnend mit: „Der Satte.“ Wer sich nicht den Bauch vor Futterglück hält, darf tanzen bis die ersten vollkommen aus der Tüte geraten und Tierlieder-Refrains zur fixen Pichelstein-Gitarre singen.

 

 

 

Wir befinden uns schließlich nicht auf einem traurigen Treffen marxistischer Analytiker. Cocktails und Vodka verquicken sich. Noch ehe die nächste Schnapsbar erreicht ist, geht’s dem Hirsch gut. Und weil es ihm so gut geht, muss das „Jägerlatein“ besungen werden. Bis der Reigen nach kurzer Verschnaufpause auf die Punkdocs übergeht. „Wiege Deinen Rumpf!“

 

 

 

Um es sehr kurz zu umschreiben: Die letzte Konzertrundestunde wird ein Triumph, der Wunsch nach Zugaben verdichtet sich gegen Ende lautstark. Warum dann nicht aus dem Schiffshut eine Goldeck-Samtmarie zaubern? Eben. Und ein „Geh Heme meine Kleene“ auf Säggsisch hinterher.

 

Karma sagt dazu: Das haben sich alle verdient. Schockverliebt in die Umstände verlassen die Docs die Bühne. Nochmals: Danke!    

 

 

Vodka Viagra und Vodka Globuli (451)

 

Ein Sonnensamstagnachmittag in Leipzig-Plagwitz. Vorm Upart-Büro in der Merseburger Straße wird Tourgolf-Tetris gespielt. Neuboxer und (deformierter) Seilspringer Frank „The Tank“ Förster ist mit von der Partie. Da muss alles seinen Platz finden. Makarios wird beglückwünscht, ist er doch eben erst zum dritten Mal Opa geworden - womit der Kollege Bruce Springsteen bereits zweimal überrundet wurde. Dennoch: kein Grund für Teilzeitanträge. 

 

So geht’s über die Karl-Heine Richtung Deep Connewitz, genauer ins Pfeffinger-Areal, wo der Kleingartenverein Waldidyll beheimatet ist. Darf doch heute zu Ehren Wurschtels, zu Ehren Anjas auf dem Gelände gespielt werden, das sich – oh Wunder – in eine wahre Privatpartyklinik verwandelt hat.

 

 

 

Davon wissen die Docs erst, als sie ankommen. Zuvor gilt es für Doctor Pichelstein schimpfnüchtern Tour de France-Nachahmern und anderen (weniger sportlichen) Alternativen auszuweichen, abzubremsen und am Leben zu lassen. Der eiserne Wille den Mitmenschen auf den Sack zu gehen, klappt besonders gut im Straßenverkehr. 

 

Am Arsch vorbei ist auch ein Weg. Die Rennraddichte sinkt, das 1928 erstmals vollendete Vereinsheim ist erreicht. Zur Gründungszeit 1897 waren die Flanken der Anlage von grünem Gehölz umgeben. Heute steht Wohnraum da, das Waldidyll geriet zur Insel im Beton. Eine große Herrlichkeit; Pratajevs Gärtner hätte seine wahre Freude dran gehabt. Ein Foto aus dem Weltraum, um die Bedeutungslosigkeit des Seins zu verstärken, wäre jetzt genau richtig.

 

 

Dem Doc-Tross wird die Backline nach großem Hallo bis hin zur Bühne getragen. Bandhaus-Mixgott und Technikpapst René wälzt daneben Arzt-Groschenromane und verkündet wohlig brummend: „Anlage steht, Soundcheck kann starten.“ Ja, so wünscht man sich das. Und einen Bisonvodka, damit man nicht ins Gras beißt. Wohl bekommt’s.

 

Herr Professor Eulenaugenbraue Wurschtel und Frau Puppendoktor Anja Pille müssen zu einer Motto-Party aufgerufen haben. Während des kurzen Soundtests stromern immer mehr Ärzte mit lockeren Rezeptbüchern, OP-besudelte Schwestern und Pfleger, Götter in Weiß, in Blau und Rot Richtung Innenhof.

 

„Fump fump fump“ tönt er, der Sound an der Flaschenbar. Nichts wirkt gegen Hitzeblase und Sommersonne mehr als gute Kaltgetränke. Mit Spritzen und Kathetern sind Mikroständer verziert, in den Fenstern hängen Röntgenbilder, Notfallpfefferminzmedizin steht bereit. Fehlt nur noch Vodka Viagra, aber der fällt ja in den Bereich der Palliativmedizin für Porsche Prostata-Halunken. Schon balgt sich das Medizinervolk am Fünfmeter-Buffet.

 

„Fine dining“, wie man abgehoben zu sagen pflegt. Ist das lecker! Auf dem eigentlich 450. Konzert der Docs. Doch uneigentlich findet selbiges im September, in Dresden, statt. Heute steht die vorgezogene Nummer 451 auf dem Staffelstab. Nicht wundern, das gab es schon ein paar Mal in der Tourbuch-Galerie. 

 

 

 

Nach kurzer Ansage geht’s los mit der Bühnenarbeit. Pausenlos durch die Nacht, ohne Beatmungsgerät, bei bester Bewirtung. Folgende Weisheit gilt heute und immer: Alle 11 Minuten vergisst ein Musiker, dass er vor 11 Minuten einen schulmedizinisch wertvollen Schnaps getrunken hat. Es sei denn, man reichte ihm Vodka Globuli (100 Prozent Wasser, Glaube verleiht Flügel). Da hält der Wind den Atem an!

 

Wie bei jedem Konzert gilt: Im Absurden kommt man mit der Wahrheit bei Pratajev am nächsten; das Gros der Anwesenden gehört zur Kategorie Fortgeschrittene, es wird mitgesungen, getanzt. Pichelstein verfehlt erst einen Gitarrenschnellrekord, knackt ihn - nach eisenharten Bergwertung - aber doch. Makarios wirft eine Hit-Fackel nach der anderen, der Katzen-Chor übertrifft den Bücken-Mitgesang. Erstmals überhaupt kommt dem „Faulen“ eine Refrain-Kantorei zugute. Vieles mehr geschieht, was auf jeden Fall in der ersten, zweiten, dritten Schnapsbar mündet. Zugaben, Zugaben, Zugaben bis es im Löcherstrumpf fettfroscht und die nach zwei Konzertstunden mittlerweile verdunkelte Szene der Brachialromantik zuzuordnen ist.

 

 

 

Zwei recht müde, vollkommen nassgeschwitzte Pratajev-Krieger verlassen winkend die Bühne. Pichelstein überlegt, ob er sich jetzt anstandslos mit Lakritzschnecken an eine ventilatorumgebene Liebesschaukel fesseln ließe oder doch nicht. „Fump fump fump“ tönt er immer noch, der Sound an der Flaschenbar. Den DJs gehört der Rest vom Fest, angeschickert wanken sie herbei. Danke liebe Anja, danke lieber Wurschtel!    

 

 

 

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