Alles findet sich, ja, das Leben ist gerecht und die Jacke brennt auf dem Tisch neben der Kerze (360)


Und wieder ein Tourstart in Leipzig, im Cafe Westen, dem besten Schnapskabinett Lindenaus. Willkommen, liebe Freunde der Russian Doctors im mittlerweile 14. Jahr. Vierzehn Jahre Saus und Pratajev-Braus, da möchte man mit dem großen Kollegen Udo Lindenberg trällern: „Ob Du 14 oder 40 bist, ist dann alles total egal. Alter ist doch nur irgendeine Zahl. Ob Du 'n Mädchen bist oder vielleicht ein Mann, auch darauf kommt es gar nicht an. Alles, was mich interessiert, ist doch nur: wann?“


Glücklicherweise ist es nicht das 40. Jahr. Aber gut, vor 14 Jahren dauerte ein Russian Doctors-Konzert nur eine satte Stunde. Heute können es durchaus drei werden. Theoretisch sogar fünf. Verteilt auf den ganzen Tag wäre das mal eine Option. Denn wir reden ja nicht von unsäglichen Free-Jazz-Sessions oder schließen uns den Bluesbarden an. Jene Kollegen erzeugen pro Stunde (wenn es dicke kommt) vielleicht fünf Gitarrentöne und der Sänger säuselt darunter: „Oh yeah, Baby, bitte dreh eine Runde auf dem Saxophon mit mir…“


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Der Weg vom Plagwitzer Büro ins Cafe Westen ist ein kurzer Autoflug von Blüte zu Blüte, schwer wie eine Tonne Regen wiegt die Anlage zur Beschallung des Publikums. Als sie endlich aufgebaut ist, folgt die Belohnung auf dem Fuße. Volle Teller, volle Gläser, ein erster Bulbash - nach dem dezibelschicken Soundcheck verfallen die Protagonisten in eine Art Schnappatmung des Glücks. Geschafft. Fehlt nur noch das Licht des Herrn, das Licht des Herrn Boris und siehe da: Elegant wie ein Schreitvogel nach erfolgreicher Kriechtierjagd, die er nun mit der Installation phänomenaler Schweinwerferspots zu verzinsen gedenkt, geht er im Raum umher. Auf der Suche nach einem Bulbash, nach Steckdosen, nach einem Abwurftisch für die regenabweisende Winterjacke. Alles findet sich, ja, das Leben ist gerecht und die Bühne fortan erleuchtet. Nochmal, so ein schöner Satz! Also: Alles findet sich, ja, das Leben ist gerecht und die Jacke brennt auf dem Tisch neben der Kerze. Es qualmt gewaltig. Beherzt eilt Doctor Makarios herbei, löscht die Feuersbrunst mit einem Glas reinsten Wassers, Fenster werden geöffnet, der Abend ist gerettet. Möge es gegen 21 Uhr werden, im Mischpult steckt ein USB-Stick und darauf harrt eine Datei der Abspielung, das Konzertintro der Russian Doctors.


Auf die Bühne, Pratajevs Erben! Der Saalschlauch ist voller durstiger Leiber, sie wollen trinken und mit einem Köfferchen voller verrückter Ideen Pratajevs Gefolge sein. Wer einen Hocker oder Stuhl ergatterte, sitzt drauf wie ein Märchenprinz oder eine holde Königstochter. Doctor Frank „The Tank“ hat unterdessen den Merchstand gewienert und wird in den nächsten Stunden kurzabständig vom Eingang vorn zum Hochgang hinten pilgern. Stets ein Fläschchen Bulbash im Arm. Es gilt schließlich, Makarios und Pichelstein Bestnoten zu entlocken und bekanntlich gelingt dies immer recht ordentlich, wenn viele Gläser Richtung Spielwiese getragen werden. Um es vorweg zu nehmen: Je später der Abend, desto weniger „The Tank“; eines Augenblicks in noch weiter Ferner wird ihn die Schnapsbar an sich ziehen und zu ihm sagen: „Junge, Du bleibst mir mal schön hier.“


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Währenddessen auf der Bühne: Wo nur drückt man die beiden Pultknöpfe, um dem USB-Stick Töne zu entlocken? „Hier!“ Doctor Pichelstein ist sich seiner Sache sehr sicher, übersieht aber, dass der Stromkreis mit dem Zuschalten der Boris-Lampen nun recht schwach auf der Brust ist und der Masterregler bereits auf Stufe zehn geschoben wurde. Puff. Alles dunkel. Glücklicherweise flog nur die Sicherung raus. Auf einer dieser hochgeschätzten Facebook-Spirit-Seiten stünde nun geschrieben: Löse Dich von der Perfektion, dann wird die Perfektion Dich finden. Oder: Lass die Flasche los, dann wird sie Dich finden. Oder: Lass die Jacke brennen, dann… Los ist ein gutes Stichwort. Wodka, Wodka, glasklar und rein. Die Doctoren jagen durchs Programm und man muss es gar nicht beschreiben, was bis zur Pause lasterhaftes, verwegenes, flehentliches, grundgütiges geschieht: Es ist ein Doctors-Konzert. Jedes ist anders, in keinem gibt es die gleichen Songs, eine Setlist zu bemühen, wäre völlig umsonst. Doctor Makarios‘ Pratajev-Reise schweift hierhin und dorthin, Doctor Pichelsteins Gitarrensäge dorthin und hierhin. Immer gut darin, dem Sänger davonzueilen, bis der Sänger manchmal aufgibt und zum Gitarristen sagt: „Nicht so schnell, mein Doctor, wir überholen uns gleich gegenseitig.“


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Nach der recht üppigen Pause folgt ein Pichelstein-Auszug der Bauernoper Prumskis, erstmals in der Heimat Leipzig vorgetragen, mit einem donnernden Applaus wird sie im Heldenbariton verabschiedet. Weiter geht’s, immer weiter. Liebe Tiere, Ihr seid dran. Bis es vor allem der Kuh gut gehen darf, bis die letzte Zugabe gesungen ist, die bereits erwähnte Schnapsbar zur Samtmarie kulminiert und Frank „The Tank“ mit Haut und Haar verschlingt.


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