Howie, Howie, Howie (361)


Die BMW-Tourschmette mit all ihren Meriten in der Werkstatt zerlegt und ohne Motor, du liebe Güte, seit Tagen läuft darob Fürst Fedja mit einem Gesicht wie Omas trauriger Dielenboden herum. Der VW Diesel muss ran. Doctor Pichelstein quält sich durch den nachmittäglichen Leipzig-Stau. Die Heldenstadt wird immer voller. Nicht nur beim Lieblingsgriechen um die Ecke ist jeder mittlerweile wohlberaten fürs kleine Abendmahl zu reservieren. Will man nicht stante pede ouzotrunken an der Holzbar an Zahnstochern lutschen. Noch einen Kaffee im Doc Seltsam, dann auf gen Dresden. Die Langmut breitet ihre Flügel aus; sämtliche Autobahnen sind voller Weltraumschrott, ja, das All wird auch nicht leerer. Fährt denn niemand mehr Bahn? Was ist mit Fahrrädern? Oder einfach mal zuhause bleiben, Beine auf die Hitsche legen und hoch hinauswollen? Nein, auf geht’s, die Welt mit sich vollmachen. Dabei gibt es dafür wenig Gründe, höchstens Ausnahmen. Die Anreise zu einem Russian Doctors-Konzert, die natürlich. So fährt es sich mal galoppierend, mal verstaut weiter, Jochen Distelmeyer quält sich von Song zu Song. Einer trauriger und schonungsloser als der andere.


17005957_1445243132195039_118811773_n


Umso schöner ist das Erreichen des Waldbadhauses Weixdorf. Draußen ist’s gräuslich kalt, altbackener Schnee liegt neben einem Teppich aus Matsch, fette Wolken ziehen durch die kalte Nacht. Nichts wie rein in die gute, wohlig warme Stube. Kaffee und erste Kaltgetränk dürfen geordert werden. Am Mischpult werkelt der großartige Flash; während Pichelstein die Bühne trimmt, läuft er umher, tippt Codes ins Tablet ein und gibt den Seelenzustand preis: pures Lachen, pures Glück, zwei Hunde dabei, keinen Edding und einen Transporter. In jeder Gemengelage sollte es immer jemanden geben, dem folgende Gabe in die Wiege gelegt wurde: der Sinn für Humor und während der Saal sich nahezu raptusartig füllt, erste Gäste mit belegten Grilltellern dem Soundcheck lauschen, wird geprustet was das Zeug hält. Vermutlich liegt es am „Inneren Witz“, der bei jeder Rauchpause ans Licht, bzw. an den Heizpilz will. Keiner davon ist jugendfrei, geschweige denn politisch korrekt. Jeder Doctor merkt sich zwei und vergisst sie gleich wieder. Wie war das mit dem Krokodil, das einen Bürger des Kontinents Afrikas verschlingt und der die Szene beobachtende Tourist sinniert: „Nichts zu essen, aber Lacoste-Schlafsäcke.“? Hm. So ähnlich. Eindeutig ein Zeichen von Witzschwäche. Nicht ganz so tragisch wie die sogenannte Sprichwortschwäche. Auf zur Theke, auf zur Tränke. Durst und Hunger machen böse.


17028879_1445242265528459_279868388_n


Kaum, dass die nächste Schaschlikrunde des speisernen Plans verdrückt ist, meldet die Veranstaltung „ausverkauft“. Dicht gedrängt stehen die Zuschauer im Rund oder sitzen endschmausend an den Tischen. Schon geht’s los… An dieser Stelle zitieren wir aus einem anderen Tourbuch, der "Mission Bühnenrand". Blogger Kundi fand wunderbare Worte, um die folgenden drei Konzertstunden in ein malerisches Prosalicht zu stellen. Heftigen Dank an dieser Stelle dafür.


(…) Wenige Minuten später verwandelten sich beide in die Doktoren MAKARIOS und PICHELSTEIN. Sie starteten gleich mit dem Song "Wodka, Wodka" vom aktuellen Album "Manchmal wenn der Durst kommt". Bei diesem Opener war sicher auch dem letzten Gast klar, wo die feuchtfröhliche Reise nun hingehen würde: "Wodka, Wodka, glasklar und rein. Wodka, Wodka, so muss es sein. Wodka, Wodka, eiskalt und ölig. Wodka, Wodka Bulbasch ist König." Bei Bulbash handelt es sich um eine Wodkamarke aus Weißrussland (oder wie der gepflegte Ostdeutsche einst sagte aus Bjelorussland) die der Tourmanager der RUSSIAN DOCTORS, Frank Förster, neuerdings vertreibt. Alkoholika nehmen in der Liedersammlung der RUSSIAN DOCTORS einen nicht unbedeutenden Platz ein. Schließlich soll ja PRATAJEV auch ein ziemlicher Schluckspecht gewesen sein und das in seinen Gedichten auch entsprechend dargestellt haben.

Da braucht man sich auch nicht wundern, wenn man solche Liedzeilen hört wie im Lied "Die Heilung": "doch es gibt noch eine Rettung Schnaps mit Kräutern aus dem Wald. Wenn du früh genug damit beginnst, bleibst du jung und wirst nicht alt" oder "Das ist die Heilung von allen Gebrechen, das ist die Rettung vor jeglichem Leid. Das ist die Heilung und es wird sich rächen trinkst du nicht Schnaps von Zeit zu Zeit".

Gefallen hat mir in dieser Hinsicht auch die folgende Aussage aus dem neuen Song "Lied vom guten Leben", welche mir ebenfalls ein fettes grinsen ins Gesicht zauberte: "Es muss nicht sein, dass das Leben schlecht ist, weil schlechtes Leben nicht gerecht ist. Mit einem Schnaps hat man immer gute Karten, man muss nicht auf ein bess'res Leben warten".

Die Konzerte der RUSSIAN DOCTORS sind eigentlich eine Feier des ungezügelten, wilden Lebens mit all seinen Absonderlichkeiten, Merkwürdigkeiten, Ausschweifungen, Genüssen und Orgasmen. Man kann bei diesen humorvollen Darbietungen und melodisch-eingängigen Liedern ganz wunderbar den Alltag hinter sich lassen, Spaß haben, und feiern. Das geht auch ganz wunderbar ohne Alkohol, wenn man zum Beispiel, wie ich am vergangenen Freitag, sein eigener Kraftfahrer bei der Mugge ist. Wobei ich nicht verhehlen möchte, dass mir die Variante mit einem leichten Promillepegel sicher auch mal nicht schlecht bekommen würde.

 

17012697_1445242655528420_769408124_n


Beindruckend an der ganzen PRATAJEV-Geschichte ist für mich auch, mit welcher Konsequenz, Originalität und Phantasie BRÖKER und MAKARIOS seit Jahren den PRATAJEV-Mythos immer weiter schmieden. Die Herren sind live, auf Tonträger und auch in Schriftform immer wieder für Überraschungen gut. Sie spielen das Spiel so liebenswürdig und überzeugend, dass man sich dem ganzen Zinnober nicht mehr entziehen kann und das auch gar nicht mehr möchte. Manchmal denke ich jetzt sogar schon selber in PRATAJEV-Kategorien.

Was das Doktoren-Duo in Weixdorf wieder musikalisch verzapfte, gibt es in keinem Russenkino (hätten wir früher verschämt gemurmelt) bzw. passte auch nicht in die üblichen Musikschubladen. Es war ein musikalischer und delikater Cocktail, der aus Hochgeschwindigkeitsfolk mit (Punk-)Rockeinschlag, aus Elementen der Liedermacherei mit Extrakten von russischen Volksweisen (oder dem, was wir uns darunter manchmal vorstellen) und ein paar Prisen Independent Rock oder Alternative Rock bestand. Manches glitt bei den RUSSIAN DOCTORS auch fast in den Bereich Gothikrock ab. Das ist aber alles gar nicht so wichtig.

Die Geschwindigkeit brachte Gitarrist DR. PICHELSTEIN in die ganze Geschichte. Der Typ schrammelte fast mit Lichtgeschwindigkeit auf den Saiten seiner Akustikgitarre. Da war es kein Wunder, dass ihm der Schweiß in Strömen den Körper herunterfloss. Trotz der Schnelligkeit waren die Melodie- und Songstrukturen deutlich zu erkennen. DR. MAKARIOS beförderte ihn in seinen Ansagen nach und nach vom Stadtbezirksmeister bis zum Olympiasieger und Weltrekord-Inhaber. Den derzeitigen Weltrekord verfehlte PICHELSTEIN aber diesmal um einen halben Schlag behauptete der Sangesbruder MAKARIOS frech (…)

 

Quelle: www.mission-buehnenrand.de


17012640_1445242198861799_1660790311_n

17035145_1445242188861800_678747004_n


…so war es und hinzu gesellen sich noch Pichelsteins Ausführungen aus Prumskis Bauernoper, all die Zugaben, ein Flash-Finger-Crash auf dem Fernsteuerungs-Tablet (beim Bulbash mal eben aufs Monitor-Aux-Feld gerutscht, schon dezibelt Pichelsteins Monitorsound wie eine Rakete durch alle Ohren). Der Tag übergibt der Nacht das Zepter, das Volk tanzt, lächelt mit den Körpern, singt, schreit, tost. Schlager mischen sich ein. „Ti Amo“, „Deine Spuren im Sand“, „Die kleine Kneipe in unserer Straße“, „Wem erzählst Du nach mit Deine Träume?“ „Junge komm bald wieder“ und viele mehr. Schwerpunkt: Howie, Howie, Howie. Und dann heißt es, und zwar gewaltig: „Der Abend ist gelungen.“ Oder auch: „Fast die gesamten Bulbash-Vorräte sind alle.“ Oder auch: „Kann noch jemand stehen?“ Oder auch: „Den einen noch.“ Oder auch: „Bis nächstes Jahr um dieselbe Zeit im selben Kleid.“


16819232_1442219855830700_9148670969695887870_o