Zöge ich Arme und Beine ein,

könnt’ ich eine Kugel sein (369)

 

Frisch frisiert

Da hat man Chancen

Frisch frisiert

Da kriegt man Avancen


Conny Cocker

 


Adieu, Pirna-Liebethal. Während heroische Wanderer dem Jungbrunnen aus frischer Luft und drohendem Wirtshaus entgegenstreben, geht es für den Pratajev-Tross auf Sightseeing-Tour über Bad Schandau nach Dresden. Ausgewertet wird der Abend, dann die Nacht. Schöne Unterkunft, ein wunderbares Frühstück schloss sich an und niemand trug eine Insel auf der Hose davon. „Zöge ich Arme und Beine ein, könnt’ ich eine Kugel sein“, dichtet Fürst Fedja still vor sich hin. Nach „Schlaf dich reich oder schufte weiter“ wird die Münzuhr am Schandauer Elbufer gefüttert, schnurstracks geht’s Richtung „Nice View“. Gemeint ist der historische Personenaufzug, der neben einem weiten Blick übers Tal einen lustigen Personenaufzugführer in petto hat. Eine wahre Stimmungskanone, die intellektuelle Unterstufe bis ins hohe Alter bewahrend, aber lustig. Mit „Oh, drei Rocker, Du liebe Güte“, beginnt der verbale Rundumschlag des nebenan in einer Gartenlaube hausenden Mannes. Und mit einem „Immer schön was essen, da bleibt man stark“ endet die Auffahrt. Einskommafünf Minuten können recht lang sein. „Der hätte auch Frisör werden können“, sagt ein Doctor zum anderen. Und: „Wir hätten ihn fragen sollen, ob er schon jemals in seinem historischen Personenaufzug verprügelt wurde.“



Oben gibt es Luchs. Nicht auf der Speisekarte, sondern im Käfig. Und Kaltgetränke. Doch weil die heißen Gerichte hier mutmaßlich in der Sodbrennerei gekocht wurden, fällt der kulinarische Hammer später auf das Schlemmer Eck in der Bergmannstraße 2 nieder. Klöße! Gulasch! Eibauer dazu, all das. Sucht man in Leipzig lange und nicht selten vergeblich. Oft wird ein Gesicht wie Omas alter Wischmopp gemacht, wenn’s wieder nur irgendeine Sauerei aus World-Food gibt.

 

Getreu der fedjaschen Kugelpoesie geht’s anschließend zurück zur Tourschmette, dann ohne Umwege zum Elbhanghotel: einchecken, liegen, Fingerpflege für Doctor Pichelstein, Augenpflege für Doctor Makarios, Fürst Fedja beliefert Vodka-Kundschaft, gegen 18 Uhr soll die Feuerwache erreicht sein. Klappt alles wie am Schnürchen, tata, die jahrelangen Sympathieträger des Elbhangfestes sind wieder dort, wo der Moment größer als man selbst ist: An der Feuerwache! Ein frisch erblühter Durst breitet sich zwangslos aus und ein eben erst aus Russland heimgekehrter Senior verliebt sich in die Marke Bulbash. Nastrovje! Schnappatmung! "Trinkt, heute seid Ihr Russen", ruft er. Dem Mann jetzt klar zu machen, dass noch eine Bühne aufgebaut werden muss und früher Schnapsverzehr zu gewissen Bewegungsstörungen führen kann, ist völlig sinnlos. Bleibt nur die Flucht nach vorn. Sie endet après Soundcheck vorläufig am Grillstand.



Dass heute mal kein Sommergewitter einen herrlichen Regenbogen an den Elbhanghimmel malt, dürfte ein Novum sein. Trockenen Fußes und voller Tatendrang gehen die Doctoren pünktlich gegen 20 Uhr zum Alarmismus über. Die Stimmen sind geputzt, das Intro läuft, Pichelsteins Fingerpflaster sitzt: Es muss nicht sein, dass das Leben schlecht ist, weil schlechtes Leben nicht gerecht ist (…) Der Beginn des Konzert-Husarenstücks, des ersten Elbetages 2017 und wie eh und je steht ein textsicheres Publikum Pate, um Pratajev, dem Helden einer untergegangenen Landdichterwelt, zu huldigen. Der Senior tanzt an vorderster Front, sorgt für Bulbash-Nachschub, der ganze Platz wird (wie man im Sport sagt) „auf links gezogen“. Im Schein der gelben Mondprinzessin rückt zu „Als das Eis kam“ die Blaue Stunde näher und breitet ihr samtenes Kleid aus. Der letzten Schnapsbar folgt eine allerletzte, schließlich eine allerallerletzte. Noch ein Bühnenabgang für die Galerie, ein kollektiver Doctorenseufzer: Wie schön. Möge der Herzschlag der Zuversicht, auch im nächsten Jahr wieder hier zu sein, kräftig wummern.



Stunden später, unterdessen ist es tiefe Nacht, kommt es auf dem Hoteldach zu einer ungeahnten musikalischen Verbrüderung. Für die nächsten Runden Radeberger nebst Feuerwasser heißt es: Männerchor Sängerkranz Laucha meets The Russian Doctors. Musiziert wird abwechselnd. Zunächst stehen die Chorbrüder auf, schmettern herrliches Liedgut, dann weckt Pichelstein die Gitarre und ein kleines, feines Pratajev-Konzert setzt diesem eh schon goldenen Tag ein Krönchen auf.



PS: Zum Beweis - mehr Wolken gab's nicht