Die Natur erobert Sachsen-Anhalt zurück:

Bei Coswig, ein Elch (384)


Kulinarisch herausfordernd ist die Weiterreise nach Wittenberg. Zuletzt werden dampfende Currysaucen auf Grillopfern in Pappschalen verteilt. Nicht umsonst besteht das klassische 6-Gänge-Menü in Sachsen-Anhalt aus fünf Bier und einer Wurst. Da streikt der Fürst Fedja, zeigt auf den Grill und kriegt einen Rappel: „Holzkohle! Ich will keine Holzkohle!“ Niemand beobachtet die Welt halt so kunstvoll boshaft wie der Wodkartell-Boss. Mühsam gelingt es Makarios und Pichelstein den liebsten Tourmanager mit einem leckeren Schuss Sarkasmus bei Laune zu halten: „Warte ab, gleich kriegst du einen Teller vom Araber mit viel Knoblauchsauce und Kraut. Denn niemand wird uns um diese Zeit ein Wildschwein braten.“ Fürst Fedja hadert mit dem Schicksal eines gelernten Hammer- und Sichelkochs, der er einmal war.

 

Wittenbergs Gassen sind beinahe menschenleer. Wäre da nicht der Gästestrom, der sich frierend auf den Weg in Richtung Irish Harp Pub in der Collegienstraße aufmachen würde, könnte die Stadt ruhig schließen. Zwei Ausnahmen bestätigen die Regel. Zum einen wollen wir den bereits zur frühen Abendstunde völlig betrunkenen Radfahrer nicht vergessen, der in Höhe Schlosskirche einen um Sylvester herum vergessenen Luther-Böller aus dem vietnamesisch geprägten Grenzgebiet hochgehen lässt. Die kalten Hosen früh zu Bett geschlichener Hoteltouristen fallen ob des Lärms glatt vom Kleiderdiener. Luther! Luther! Fürst Fedja fragt: „Ob die hier auch Luther-Puller anbieten? Für teures Geld gegen Siechtum und was noch alles?“ Zum anderen fallen junge, kunstpelzbejackte Mädchen auf. Sie huschen wie vom Funkloch verfolgt über den Kopfstein und verschwinden in der Vollmondigkeit. Neulich wurde in der Nähe, bei Coswig, ein Elch gesichtet. Ein Elch! Die Natur erobert Sachsen-Anhalt zurück. Erst waren es beißende Biber, dann zogen Wölfe ein, fehlt nur noch der erste Braunbär. Junge, kunstpelzbejackte Mädchen würden bei so einer Begegnung aus dem Naturkundeunterricht dann gewiss sagen: „Total swaggy! Guckt mal da, so ein niedlicher Bär.“ Danach würden sie nichts mehr sagen. Ein Bär ist eben kein Nymphensittich, schaut er noch so sympathisch drein.

 

Was macht man zur Begrüßung in einer irisch anmutenden Gaststätte? Richtig. Zur Schnapsbar gehen, Kilkenny, Guinness, Whiskey on the Wasauchimmer ordern, den Chef begrüßen und warten, bis die Bühnenecke frei wird. Fedja ist heute der Schorlenmann, nach dem Konzert soll es zurück gen Leipzig gehen. Was gut ist, so schafft es Pichelstein noch pünktlich und ausgeschlafen zum Eishockey am Sonntagnachmittag.

 

 

Après Soundcheck geht’s speisen zum eingangs erwähnten Araber. Vielleicht ist der Mann aber auch Inder, jedenfalls kein Chinese. Das sieht man sofort. Flink saust das Messer über die Spieße, zwei vollgekübelte Teller sind letzthin kaum zu schaffen. Einer schon, der gehört Fürst Fedja. Ungeachtet dessen füllt sich das schmucke Irish Harp-Stübchen, wie aus dem Nichts tauchen immer wieder wetterverpackte Menschen auf. Als der nun arg nach Fritte muftende Pratajev-Tross zurückkehrt, möchte man glatt das Konzert ankurbeln. Zwei Kaltgetränke später fällt der Hammer.


 

Tragischer Start: „Als das Eis kam“, denn noch immer schleckt die Russenpeitsche durch die Gassen, erwischt Biber, Elche, Wölfe und Luthertouristen. Viel lieber würde Makarios „Als der Frühling kam“ anstimmen, doch das wäre ganz und gar unangemessen und vor allem schlichtweg weit hergeholt. So bleiben falsche Frühlingsgefühle aus, rasen die Docs durchs Set, heimsen Beifall und Erstaunen ein. Und natürlich: traditionell löst auch in diesem Jahr der Fetischblock in Wittenberg besonderes Entzücken aus. Was das bevorzugte Kochen von Mahlzeiten durch geschulte Frauenhände betrifft, hm, da sieht die feministisch angehauchte Lage ganz vorne an der Bühne kritischer aus. Doch, Makarios kann es nicht oft genug durchs Mikro sprechen, spielt die Geschichte Pratajevs in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, in den Weiten Russlands. Da gab es keine Kaffeestuben-Damen, die sich mit den Künsten ihrer zuhause putzenden und kochenden Gatten brüsteten. Nur soweit bekannt, der Tourtagebuchschreiber lässt sich diesbezüglich gerne belehren.

 

Nach der ersten Schnapsbarpause ist vorm zweiten Konzertblock, weiter geht’s, die Kellnerin läuft um ihr Leben. Die Menschen haben Durst und Fürst Fedja kann heute keine Fotos machen. Die Kamera liegt auf der Bühne. Darauf eine weitere Schorle und noch eine bis in den Zugaben (natürlich und vor allem) der „Raucher von Bolwerkow“ wild und röhrend gefordert wird. Der Weg ins Herz vieler (männlicher) Fans führt eben über den Mord an einer misanthropischen Ehefrau. Doch Obacht, er führt in der letzten Strophe glatt ins Gefängnis. Drum: seid lieb zueinander, und wenn es zuhause schlimm wird, folgt dem Durst, auf ins Wirtshaus, das Irish Harp ist viel gemütlicher als eine Zelle. Mögen dort auch noch so viele bunte Bilder, natürlich aus der Ergotherapie, an der Wand hängen.