Drucken
Kategorie: Tourtagebuch
Zugriffe: 2930

50 Jahre Conny Cocker! Was für ein schönes Rosenfest! (402)


Hinaus in den nasskalten 12. Januar, Tschüss, Dorint-Hotel Chemnitz. Der bereits gestern Nacht beladende BMW wird für einen Zwanziger aus der Tiefgarage ausgelöst, noch ein paar Mal durchschnaufen, dann nichts wie nach Mechelroda. Nie etwas von diesem verträumten Dorf südlich von Weimar gehört? Nachts, bei Vollmond, kann man hier Goethe, Schiller und Pratajev auf einem goldenen Einhorn reiten sehen. Aber nur im Stadium angemessener Trunkenheit. So, jetzt sind diese beiden Sätze in der Welt, werden millionenfach gegoogelt, und schon habt ihr den Salat, liebe Menschen in Mechelroda: Touristenströme! Busseweise! Dann wäre kein Platz mehr für die Russian Doctors im über 200 Jahre alten Wirtshaus gleichen Namens, sprich: im „Goldenen Einhorn", der Krönung aller Thüringer Kloßwelten.

 

Verkostet werden beeindruckend große Klöße an Gänserücken mit Rotkraut. Zuvor gab es Soljanka und Eierflockensuppe nach „Großmutters Art". Nachspeise: Rote Grütze, natürlich (!) mit Vanillesoße. Jammjamm, wie lecker. Will man DAS hier mit einem Stopp bei McDonalds, der totalen Endstation des Menschseins, vergleichen? Nein. Apropos: Was läuft eigentlich in Sachen McKloß?

 

 

Nach dem Mahl rollt der unförmig gewordene Pratajev-Tross zum Tourauto zurück, das nächste Ziel ist das nächste Dorint-Hotel, und das steht in Weimar. Zwei Stunden Siesta halten, bis Conny Cockers 50. Rosenfest im Appenrodt Weinhandel zur Kür des Tages ruft. Also: Wurstbürsten raus, Zähne putzen, Wintersport im TV, Augen zu, schick machen, Käffchen an der Bar schlürfen, dabei geriatriefarben angezogene Touristen beobachten, lostuckern.

 

 

Noch recht rammdösig im Kopf erreicht man die Lokalität, begrüßt wird der Wirt, geherzt wird der Anlassgeber nebst Entourage. 50 Jahre Conny Cocker! Dafür wurde sogar Suppe gekocht, mit Möhrchen drin, die gibt's später im Backstage. Die Freude darüber ist groß, dass Special Agent Dale Coopers Twin Peaks-Bühne soundcheckbereit in festlichen Farben strahlt.

 

Bereits nach kurzer Akklimatisierung klingt alles toll und der rote Vorhang ist einzigartig. Ja, er verleiht dem Appenrodt Weinhandel Berliner Volksbühnenflair. Möge der Abend voller Wunder sein! Vorweggenommen: Er wird voller Wunder sein. Niemand, aber wirklich niemand, wird zumindest in Weimar einen besseren Abend erleben. Wer Conny Cockers Rosenfest verpasst, ist für immer gezeichnet. Denn Conrad Hoffmans Duktus ist die Vielfältigkeit. Mal verkörpert er die musikalische Naturgewalt am Bass von „Die Art“, mal ist er bestückt mit Sehnsuchtsmotiven der Marke „Beringsee“. Und heute? Ist er Conny Cocker und auf massiven Schlagerpfaden unterwegs. Jeder Refrain wird mit Bulbash begossen und die Russian Doctors dürfen den Abend mit „Wiege deinen Rumpf“ eröffnen. Es folgen dreißig Minuten Pratajev. Es regnet Titel, die sonst auf der Setlist ganz hinten stehen. Das Publikum feiert, als hätte Makarios bereits die Hitkanone ausgepackt und Pichelstein den Gitarrenauslöser gedrückt.

 

 

Dann ERSCHEINT CoCo auf der Bühne. Dann kommen sie. Conny und Ronny. Conny am Mikro, Ronny an der goldenen Gitarre und keine Beschreibung, nicht der klügste Dichter russischer Zunge, vermag es, die folgenden knapp zwei Stunden Gigantenstadl in Worte zu kleiden. Das Publikum dreht frei. Es regnet Rosen und Schlüpfer. Beim Lied „Im Heim“ fliegen Pampers - nur die Werfer sind voll. Hui, wie herrlich und mancher drückt sich eine Träne ab, denn im Schlager steckt Wahrheit. Jede Menge Wahrheit.

 

 

Nach der letzten Zugabe spielen die Doctors ein brachiales Hit-Set, und natürlich muss es mit einem Conny Cocker-Cover starten, mit der „Luxusbiene“. CoCo, Makarios, Pichelstein und der ganze Saal voller Menschen, alle singen den Refrain:

 

Du bist eine Luxusbiene

Und wenn ich noch so gut verdiene

Ich zahl dir keine Brust-OP

Denn du, du hast schon Doppel D

 

+++ Gerne selbst zur Gitarre greifen und das Lied der Liebsten vortragen. Die Akkorde lauten: F und C, die Spätfolgen sind nicht absehbar und werden von keiner Versicherung getragen +++

 

 

Was noch? Ja, was geschah alles noch? An diesem Abend voller Wunder? Wenn man es wüsste, könnte man es aufschreiben. Wenn man es nicht mehr weiß, ist es auch nicht schlimm. Jedenfalls wäre Doctor Pichelstein am nächsten Morgen gerne liegengeblieben, im Dorint-Hotel Weimar. Doch soll es später, nach quälendem Hin- und Her, heimgehen. Was würde man jetzt für einen Schlafanzugtag geben? Die beginnen bekanntlich schleichend und sind zunächst vollkommen harmlos. Doch dann zieht man den Schlafanzug nie wieder aus.

 

 

 

Gastfoto 5 mit Dank an Claudia Weingart