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Kategorie: Tourtagebuch
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Peperoni zum Naschen (241)

Welch gute, perfekte Idee einen so genannten „Off-Day“ gehabt zu haben, ein paar Stunden Heimatliederruhe. Gute Gelegenheit sich der Erschöpfung hinzugeben, Wäsche nebst Tourgefährt zu wechseln, Medizintasche komplettieren. Auf Anraten seines Sängerdoktors huscht Pichelstein rasch noch auf eine Tube Traumeel (Werbeslogan: „Wenn Sie es übertrieben haben“) in die nächst beste Apotheke. Und tatsächlich: Belladonna rettet des Doctors Gitarrenarm in sanfter Nachhaltigkeit.

 

Die A17 Richtung Prag ist kein Ort zum Verweilen. Bevor sich Radio Antenne Sachsen endgültig, dem Tunnelfunk weichend, aus dem Äther verabschiedet, bettelt der Puhdys-Sänger um Liebe und krakeelt sein Ansinnen mächtig heraus. An letzter Offerte wird eine Vignette erworben und fachmännisch ans Auto geklebt. Zwischen deutscher und rein tschechischer Autobahn hat sich nicht viel geändert. Auf geht’s mittenmang wie immer durch grüne Landgefilde, kleine Städte, eingeklemmt in mäandernden LKW-Wänden. Stürmisch ist’s - auf geht’s nach Prag und genauer zunächst einmal ins Botel Racek, nach Praha 4. Im Schritttempo befolgt Doktor Pichelstein korrekte Anweisungen des Navigators Makarios; ohne Umschweife (gut, den ein oder anderen Luderstau an diversen Ampelanlagen gilt es zu überstehen) wird’s Moldauschiff erreicht. Einchecken, Kajüten besiedeln – das erste Pilsener auf dem Sonnendeck, welches seiner Bestimmung glorreiche Ehre verschafft, wird vom Kellnerzauselmann prompt geliefert. Die Sonne neigt sich dem Scheingewahr zu; duselige, schwermütige Augenblicke später sitzen beide Doktoren samt Gepäck bereits im Taxi nach Žižkov, Praha 3, in die P?íb?nická 8/977. Es wartet: Der Klub Final.

 

 

Phil Shoenfelt wurde bereits auf dem Weg dorthin gesichtet. Da ist die Freude groß, schließlich sah man sich zuletzt beim ersten Goldeck-Zusammenspiel im Leipziger Flowerpower Anfang des Jahres und bei den anschließenden Feierlichkeiten von 25 Jahre Die Art im UT Connewitz. Im Final hockt vor einer Naschschale Peperoni bereits der Tourverantwortliche Jarda Švec in mittlerweile erweiterter Funktion als „producent, zvuka?, um?lec, šaman“. Kaum sitzt man nach feierlichen Brüderlichkeiten, kreist der erste Joint, doch nein, nicht für die Doktoren. Genügsam schlürft sich’s Pivo, schmeckt der Becherovka wie er eben schmeckt.

 

Wann heute genau und vor allem bis wann gespielt werden soll, ist nicht heraus zu bekommen; zunächst wird‘s im Oka Pub tschechisches Gulasch geben. „Nicht weit, normaaaal“, ruft Jarda recht euphorisch. Alles andere tritt selbstredend ein und nach dem Club-Wiederabstieg staunen Makarios und Pichelstein nicht schlecht. Die Pirna-Fraktion! Boris Brutalowitsch nebst Sohn und Silvia (wird man gleich mit Geschenken bedacht: Fotos und das Hörbuch zum Pratajev-Fest 2011 als dicke CDR-Box, vielen Dank!), die Nürnberg-Delegation! Azalea So Sweet! Alle so rein zufällig in der Gegend und allen geht’s prima. Was will man mehr? Genau, einen tadellosen Soundcheck, hernach ein langes, lautes, trunkenes Pratajev-Konzert mit abschließend ausreichend tschechischen Kronen in der Hosentasche. Aber - wir sind in Žižkov, Praha 3, auch nicht im Oka Pub oder auf dem Paruká?ka. Das liegt dankbarer Weise alles noch vor einem – und so ist es am Ende auch egal, was im Final klappt und was nicht. Immerhin funktioniert der DVD-Player an der Bar: Phil Shoenfelt as Charles Cockburn, BBC London, for Culture of the sheep: Pratajev in Prague. Phil, genau, ein bisschen Historie muss sein: Im Interview liest sich das so: “Phil gefiel die inspirierende und kreative Atmosphäre Prags so sehr, dass er im August 1995 permanent dort hinzog. Zusammen mit seiner neuen tschechischen Band Southern Cross nahm er 1997 das Album Blue Highway auf (…)“

 

 

Wie wahr. Und je inspirierter, nebulöser Jarda mit seinen tschechischen Technikfreunden kreativ über den verkrusteten Knöpfen der heute feilgebotenen, prähistorischen Anlage zur Beschallung des Publikums brütet, desto öfter fällt sie in jedem Song für Bruchteile komplett aus. The Russian Doctors spielen tapfer weiter; dem Publikum, mit deutlich deutschem Übergewicht, scheint’s trotzdem an nichts zu mangeln. Es wird ein eher kurzes Konzert, Umarmungen folgen bei Ende und die Nacht zum Mittwoch, auf dem Oka-Freisitz, bringt’s wahre Final. Doktor Makarios gelingt es gar zu später Stunde noch aus der bereits geschlossenen Küche drei Portionen Gulasch zu erhaschen. Es fließt das Pivo, es kleckern die Schnäpse. Keine Frage: man ist in Prag und die folgenden Konzerttage werden es noch mächtig in sich haben.

 

 

Fotos: 2-3 Ulrike Gömmel