Drucken
Kategorie: Tourtagebuch
Zugriffe: 2461

Grobknochige Frauen, dickgekochte Männer (370)


Die Zeit läuft einem bekanntlich deshalb davon, weil man sie sonst bloß totschlagen würde. In diesem Sinne frühstücken die Doctoren in aller Seelenruhe, während Fürst Fedja den Titel „Kapriziöser Schläfer des Vormittags (KSdV)“ erringt. Bis die Kippen im Parterre glimmen, wird das Hotelbuffet gleich dreifach heimgesucht. Immer noch scheint die gelbe Elbhangsonnne putzmunter ins grüne Tal; als Pichelsteins Gitarre um die Mittagszeit manöverfertig ist, geht’s per Fähre rüber nach Wachwitz. En passant wird in einer Klause verbrühtes, scharfsalziges, pampiges gefuttert, weiter geht’s mit verzerrten Mündern zur Grottenwirtschaft. Endlich ein Fischbrötchen! Mit Gurke und edler Kartoffelsuppe! Ein a priori-Stehsatz, der immer zählt: General Hunger ist ein großer Schurke auf Konzertreisen und wehe, wenn er nicht lecker zum Schweigen gebracht wird. Da wollen wir die Crew der Grottenwirtschaft um Professor Hendrik im Nachhinein dolle loben.


Punkt 14:00 thront die traditionelle Whiskey-Flasche auf dem Tisch, niemand möchte so recht probieren, erst als die Vor-Combo Jazz Train Light eine dritte Zugabe mit langer Maxirille ankündigt, kreist der Glasebalg. Doch dann geht alles sehr rasch. Techniker flitzen, die Bühne wird zum Operationssaal umgebastelt. Ein kurzer Soundcheck, noch diesen oder jenen tiefen Schluck, startklar sind die Doctoren. Das Intro kulminiert zur Kanonade, das verehrte Publikum harrt der Dinge, Sturz in die Showtime!



Während Makarios durchs Set führt, bewegt sich Pichelstein mit schlafwandlerischer Leichtigkeit auf dem Tummelplatz und hat darunter Zeit, Beobachtungsposten zu beziehen. Denn über die Pillnitzer Landstraße flanieren und radeln derweil Menschen, denen das Pratajev-Universum völlig fremd ist, die sich etwa beim Ruf „Schleim am Arm“ erschrocken an die Herz-Bypass-Regionen greifen. Grobknochige Frauen kauften ein, dickgekochte Männer müssen den Trödelkrempel nebst Handtasche schleppen, altern dabei in Zeitlupe und wechseln langsam aber sicher das Geschlecht. Als die Weise „Manchmal wenn der Durst kommt“ Wahrheit spricht, bleiben manche wie vom Donner gerührt stehen. Jetzt pausieren, ein Bier trinken, ein ganz kleines, dort hinten im Schatten, wo die anmutigen Mädchen sitzen. Ja, sie lachen und kreischen, Gläser scheppern zu Boden, herrliche Lebensfreude! Doch mehr als ein paar Roland Kaiser-artige Seitenblicke bleiben ihnen nicht vergönnt. Pustekuchen. Weiter wollen die trödelnden Frauen. Pichelstein möchte schon nolens volens den „Raucher von Bolwerkow“ anstimmen, doch der gehört ja in den Zugabenblock.



Auch heute ist schnell das neue Langsam auf der Erlenholzigen; Makarios flüchtete ein ums andere Mal und bleibt raffinierter Weise mitunter lange weg. Das geht selbst einem gelenkgeschützten Schnellgitarristen an die Substanz; als beide Doctoren wieder vereint in die Mikrofone singen, geht’s mit Normalgeschwindigkeit weiter. Würde Pichelstein bei jeder Temposünde in die Bandkasse zahlen müssen, jungejunge, das gäbe ein Grillfest am Jahresende! Nun gut, da die Spielzeit heute begrenzt ist, werden noch rasch ein paar Katzen in den Wind gehangen, Schlips aus Lurch drum und fertig. Das Nachbeben lässt nicht lange auf sich warten, doch um den Wunschblock zum Wohle der nächsten Combo nicht über die Maße zu strapazieren, endet das heutige Stelldichein und Tanzdichmüde mit einer sehr tragischen Schnapsbar. Lange hat man sie noch wurmend im Ohr und die lieben Konzertkinderlein werden sie in der Kita tags darauf lautstark anstimmen.