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Kategorie: Tourtagebuch
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Die tun nichts, das sind bloß Menschen (377)

 

Es gibt ein Schwarz und es gibt ein Weiß. „Heute trinke ich keinen Tropfen.“ Der das sagt, das ist Fürst Fedja, und der hält stets, was er verspricht. Pichelstein, vor Müdigkeit ganz schön wirr im Kopf, eben noch mit der Neubesaitung von Gitarren beschäftigt, sieht die Sache dagegen schwarzweiß und hält sich am ersten Café Crème fest. Den zweiten gibt’s an einer Rostocker Tankstelle, den dritten nach einer Taxifahrt zum Pleitegeier 2 (aus den Boxen: geistige Askese statt Seelenkäse, sprich: „Oxygène - New Master Recording“ von Jean-Michel Jarre, darauf gleich mal eine Ibu 800 eingeworfen) bereits in Bad Doberan. Fürst Fedja wähnte zuvor einen schnitzelgeruchenthaltenden Lufterfrischer an Bord zu haben, er trat aufs Gas. „Das Rote war übrigens gerade ein Blitzer“, gab Makarios zu bedenken.

 

Die Molli dampft durch enge Gassen, die Restaurants schlossen pünktlich bevor die Doctoren eintrafen. So wird letzthin die Mittagskarte einer Fleischerei am Markt heimgesucht. Auf dem Schmettenweg zurück geht’s in einen Spirituosen-Laden. Noch ehe der erste Sanddorngrappa im Körbchen liegt, ruft da wer: „Ah! Die Musiker“ – man kennt sich und wie es der Zufall so will: Schwupps, bald schon könnte sich die Bulbash-Landkarte in Mecklenburg-Vorpommern vergrößern. Mehr dazu in Kürze, in den Topnews unseres wunderschönen Wodkartells. Das nächste Tagesziel ist Kühlungsborn (Strand, Fischbrötchen für Doc Pi, Kuchen, Kaffee uvm.), danach wird die Insel Poel (Strand, Eisbecher, gutes aus der Brauerei Lübz uvm.) besucht.

 

 

Während sich in Kühlungsborn tausende Saumselige in den Schuhen standen, ist der Schwarze Busch um die Insel Poel fast gespenstisch leergefegt. Einzig psychosomatisch belastete Gäste einer Mutter-Kind-Klinik säumen die Landschaft. Zumeist scheinen es junge alleinerziehende Mutter zu sein, die das Leben mit nun vielleicht 21 Jahren bereits hinter sich wähnen. Aber nein, so ist es doch gar nicht! Als drei schwarzgewandete Pratajevianer mit großkalibrigen Sonnenbrillen durchs Laub streifen, wird einer Kleinkindergruppe ganz bange. Komisch. Weder Makarios, noch Pichelstein, noch Fürst Fedja tragen rote Ballons im Clownskostüm spazieren. Und doch ruft eines der Naseweise, vermutlich um die anderen zu beruhigen: „Die tun nichts, das sind bloß Menschen!“ – „Da wäre ich mir nicht so sicher“, grummelt Makarios zurück und beschert den Kleinen hübsche Albträume. Aber gut, die kann man als Mitbringsel in einer Mutter-Kind-Klinik sehr wertvoll verarbeiten – und von ferne scheppert die Blaskapelle der Freiwilligen Feuerwehr einen bedrohlichen Popsong. Die Zeit rennt von der Uhr, auf nach Schwerin, der Noise and More e.V. gastiert heute im Jugendclub Dr. K, eingeladen sind die Russian Doctors. Und das erstmals wieder seit dem 10. März 2006. Damals lautete das Motto: „FRÜHJAHRS-ANTIDEPRESSIONSPARTY MIT: THE RUSSIAN DOCTORS und FIRST ARSCH.“ First Arsch spielten übrigens zuerst.

 

 

Herrlich ist die Begrüßung, im Backstage warten bereits lecker garnierte Brötchenteller. Der Soundcheck zündet wie eine alte Bumerang-Liebe. Umsorgt von der Veranstalter-Community sitzt, halbliegt man bald platt, satt und angetütert in dieser und jener Ecke. Nicht fehlen darf Nordexperte Peter aus Wismar, der hat immer ein paar Kuriositäten für die Doctors dabei. Heute wird eine Schnapsflasche (leer) mit den Unterschriften der Band Keimzeit (Edding) überreicht. Peter ist darüber so glücklich, dass er eine halbe Tüte Salzstangengebäck auf einmal in sich hineinschüttet. Mit Kauen war noch nicht viel; als Doctor Pichelstein die übliche Frage: „Was steht denn heute auf deinem T-Shirt?“ stellt, wird vorm Artikulieren ordentlich gespuckt. Aufs Sakko. Aber nun, Schnaps drüber, Prost Peter. Gereicht wird Jägermeister.

 

 

Fürst Fedjas Handy-Akku ist runter auf sechs Prozent, er barmt, und niemand hat ein Samsung-Ladegerät dabei. Außer er selbst. Aber wo ist das nur? Voller Unruhe wird bis zum get no erfolglos gesucht. Darunter fließt der Tonic-Apfelsaft in Strömen und so erklärt es sich auch, dass es vom Abend nur sehr spärliche Fotos geben wird. Egal, das Dr. K öffnet die Kasse, sogleich kann der Preis für die weitere Anreise vergeben werden. Nach Magdeburg! Glückwunsch an die Pratajev-Sektion Magdeburg! Darauf einen, genau, Jägermeister und noch einen, als das Bühnenlicht auf die Doctoren gerichtet wird, das Intro läuft, die Feldmänner beginnen.

 

Pichelsteins Pflaster am Daumen sitzt. Im Grunde eine prophylaktische Variante, um am nächsten Werktag nur kleinere Einblutungen verwinden zu müssen. Tja, das Schnellgitarrespielen mit rot-weichen Sharkfin-Pleks hat so seine Tücken. Finger sind aus weicher Masse und die 10er-Martin-Strings aus hartem Erzgebirgsstahl. Hätte es bloß Bulbash gegeben. Aber nein, ein Jägermeister folgt dem nächsten. Der Schnitt liegt bei 4:1. Vier Lieder, ein Meister. Oder vier Meisterlieder, ein Jäger. Und Makarios ist der Gejagte. Vor der Bühne kocht es, man singt, tanzt, springt. Sage bloß noch einer, die Schweriner seiner eher gemütliche Zeitgenossen. Das sind sie beileibe nicht. Das Konzert spielt sich wie von selbst, eine Pause ist heute drin, die "Schnapsbar" gibt’s wie die "Toten Katzen" mehrfach und auch den "Rotarmisten“ beim Zugabe-Finale ein weiteres Mal.

 

Doch nie möge ein doppelt gewünschtes Lied gleich wie beim ersten Mal erklingen (alte Prumski-Weisheit) und so bricht die Pi-Euphorie alle Dämme. Geboren ist die Karel Gott-Version „Rote Biene Maja im Keller“. Sie ist schnell, ebbt nur ab, wenn die Strophen gesungen werden, sie wird schneller und schneller und zack, die D-Saite reißt, bohrt sich in Pichelsteins Daumen, noch rasch einen Outro-Tusch in Moll, mehr geht nicht. „Mein Doctor braucht eine Schwesternschülerin…“ Ende.

 

 

PS: Ein Rettungssanitäter war auch da, doch Pichelstein, dem bereits après Soundcheck erkleckliche Geschichten aus dem Arbeitsalltag zu Ohren gekommen waren (u.a. post-koitales Liebespaar auf Koks, beide mit Intim-Piercings bestückt, Ringe verhakten sich, hoher Blutverlust, mehrere Operationen wurden nötig) wählte die Selbstfürsorge. Beim Krisentelefon war mal wieder besetzt.