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Kategorie: Tourtagebuch
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Der renovierungsbedürftige Gitarrist (378)


 

Halbnackte Bäume, Laub fällt, Kastanien donnern zur Erde, hippe Touristen (Wahrnehmungsmonster vor dem Herrn) und greinende Intellektuelle säumen die Meilen. Kein gewöhnlicher Mittwochabend in Leipzig, denn wir schreiben heute den Endtag des Sommerschlafes für die Rich Man’s Bar im PILOT. The Russian Doctors fliegen dank Fürst Fedjas freundlicher Auto-Befüllung (Anlage, Dr. Pichelstein) pünktlich zum Soundcheck um 18 Uhr in der Leipziger Bosestraße ein. An den Cocktails: Dr. Schmo, den Leibgerichten (u.a. Pelmeni á la Bolwerkow): Dr. Götterspeise. Das First Gefolge besteht aus Künstlern, angeführt von Chefarzt Dr. Enk. Rege Gedankengänge werden durchflutet („Der Weg ins Herz einer Frau führt wahrlich nur über volles Haar“), was passt dazu in bester Pratajev-Tradition? Moscow Mule, hergemixt aus feinstem Bulbash. Da fliegt jeder heilige Ernst unverwaltet gen Ausgang, bald schon ist die Bar ein Tollhaus, man sieht viele Menschen, die in einen Abend voller Neugier, Liebe und Zuversicht schreiten. Ein Lüftchen hat sie herbewegt, es ist sogar ein Biber darunter. Na gut, wenn die Ratten-Fraktion heute unpässlich ist, bitte sehr, dann haben wir eben einen Stoffbiber im Publikum. Chapeau! Satt und zufrieden trollen sich die Doctoren auf ein paar Zigaretten downstairs, ab 22 Uhr stehen die Aschenbecher auf den Tischen. Eine Uhrzeit, die in Moscow Mule-Messung als „vier bis fünf vor um“ codiert werden darf. Gegen Mitternacht als „acht bis neun nach Viertel.“ So weit ist es noch nicht, obschon die Arbeit ruft.

 

„Mein Doctor, in 15 Minuten, putz Dir die Nase und dann los.“ Pichelstein hat „Männerschnupfen“. Es könnte sich aber genauso um eine fürchterliche, schwere Krankheit handeln. Man weiß ja heute gar nicht mehr, weshalb man wann zuerst „Aua“ schreien soll. Denn der rechte Daumen des schnellsten Akustikgitarristen der Welt ist nach der Ostsee-Tour Ende September dieses Jahres immer noch lädiert und muss stark bepflastert werden. Kurzum: Pichelstein geht als renovierungsbedürftig durch; einen neuerlichen Weltrekordversuch sehen wir heute deshalb nicht.



Dafür einen Rotarmisten! Präzeptor Makarios führt durchs idyllische Pratajevland der 1950er-Jahre. Noch sitzt das Publikum; je weicher der Stuhl, desto weniger mag man an einem Mittwochabend davon lassen. Das ist durchaus verständlich, und erstaunlicherweise kann man auch sitzend jede Menge Laute von sich geben, kann klatschen, johlen, mitsingen. Schön! Und da glücklicherweise (Pi-Daumen schonen) heute mit Pause konzertiert wird: nichts wie rein ins Leder, Doctoren. Zur linken sitzt Gabi Nichtsnutz, Torgaus Gitarrengott, und man könnte doch – wie beim letzten Mal in der Frau Krause – wieder einen Dreier auf der Bühne wagen? (Insider für weltbewegte Teilnehmer jährlicher TRD-Abschlusspartys in Leipzigs Kultkneipe „Frau Krause“).



Weiter geht’s, tosend, lärmend. Da beschlägt sogar die Brille des Herrn B. aus C., kommt schließlich der Stoffbiber zum Einsatz und ja, es stimmt, die Russian Doctors warten weiterhin auf eine noch zu gründende „Schlips-aus-Lurch-Fraktion“. Dr. Schmo, unangefochtener, stets zu lobpreisender Herr über die Rich Man’s Bar, mixt sich stilsicher durch den Abend. Schnapsmädchen Kristina wird vom Wodkartell-Chef Fürst Fedja zielstrebig dann zur Bühnenecke geschickt, wenn der Durst groß ist. Pichelsteins Daumen hält, Makarios feuert eine letzte Salve pratajevscher Verse aufs Publikum, eine Melange erlesener Zugaben.

 

Mit einer Schnapsbar-Fado-Version endet der livehaftige Abend. Doktor Makarios widmet sich dem Unterschreiben von Krankmeldungen für den nächsten Tag. Diagnose: Rückenriss nach Wodka-Dance-In-The-Sessel-aus-Leder-und-Holz. Doktor Pichelstein kühlt die Finger in einem Topf Bulbash Osobaja Birkenblättchen. Danke, PILOT. Ein Wort, das es bekanntlich nur deshalb gibt, weil es Pratajev gab. Drum noch einmal: Danke, Pi-LOT.