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Kategorie: Tourtagebuch
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Mega und Giga (380)

 

Matschwinterwetter. Der Morgen dämmert nicht, er bleibt im Geburtskanal stecken, und ehe man sich versieht, wird’s windelvoll Nachmittag. Gebückt, wie ein alter Priester beim Kommunionverteilen, schleichst du durch einst sinnlich-buntbilde Landschaften. Nur um eine Heizung zu erreichen, einen Hort der Wärme und Güte. Als das Tourauto an der Shell-Tankstelle im Gewerbegebiet Eula West 1 stoppt, just dort, wo ein Aufsteller auf die erklecklichen Dienste des Bornaer Möbelkaufhauses „Die Schramme“ (Subtitel: „Hochwertige Qualitätsmöbel mit zu EXTREM reduzierten Preisen“) hinweist, sind es vom Ausstieg bis zum rettenden Bockwursterhitzer wenige Meter. Und dann sind die Würste auch noch kalt. „Wer konnte mit sowas rechnen?!“ Die ketchup-senffarben beschürzte Tresendame ist außer sich. „Wir hatten gerade einen Ansturm und jeder wollte eine heiße Bockwurst.“ Das Gewerbegebiet Eula West 1 verfügt scheinbar über Einträge im Guide Michelin der Fernfahrer.

 

Nachdem Fürst Fedja die darob versteinerte Mine mitsamt Senftüte und Serviette zum Müllschlucker trägt, Makarios (seit Tagen gehört‘s zum guten Ton) eine Conny Cocker-Zeile rezitiert, wird die Reise fortgesetzt, werden Metropolen hinter sich gelassen, bis der weiblichen Navigationsstimme im Oberen Vogtland nur noch Gebietsverzeichnungen einfallen. Kurz hinter Oelsnitz ist die Zuordnung von gewohnten Straßenabschnitten ("Meisenweg", "Bundesstraße XY") vollends passé. Das hört sich so an: „Von der K751-irgendwas jetzt rechts auf die K654-irgendwas abbiegen.“ Hase und Igel? Fehlanzeige. Dafür jede Menge Rüsselhunde auf Spielwiesen, die sich als Weltrekord-Übungsgelände für das Durchrasen von Kontinenten oder Staaten eignen.

 

 

Das Kunsthaus Eigenregie wird schließlich erreicht, abgeschieden in der Natur gelegen. Ein wahres Ziel, eines, das man sehr gerne erreicht. Von außen noch Stillleben, von innen bereits künstlerisch bevölkert, ofenwarm. Draußen riecht es nach Schnee, drinnen nach später gepriesenen Kohlnudeln. Geherzt wird Herbergsvater Mario. Käsekuchen, es gibt Käsekuchen und Quarkbällchen zum Kaffee am Küchenkachelofen.

 

Mit dem Eintreffen des Vollmonddichters M. Kruppe aka Sergeant Ron Miller, formally known as Ronny Müller (verfügt über eine begnadete Lesestimme, die nach wenigen Gläsern einem Mitternachtswolf jedwede rauchige Herdennoblesse abläuft) ist der Kulturtross komplett. Gebeten wird zum Bühnenbau, zum Soundcheck, zur Schnapsbar, zum Rauchen. Bis aus dem Galeriesaal ausschließlich feinste Töne zu vernehmen sind. Es ist also angerichtet, mitten im Elstergebirge, und binnen kurzer Zeit ist kein Stuhl mehr frei. Konzert Nummer 1 des Jahres 2018 vermeldet: „ausverkauft“ und das noch bevor die erste Flasche Bulbash leergetrunken auf dem Tische liegt.

 

 

Makarios führt den Pratajev-Kahn rein ins Fahrwasser, Pichelstein rudert mit der Erlenholzgitarre gen offene See. Der Kampf gegen den Durst zieht ungebrochen Bahnen, die Doctors starten mit dem „Rotarmisten“. Sie führen das Publikum durchs russische Landleben und so nimmt der Abend große Fahrt auf. Abwechselnd mit M. Kruppe am Lese-Operationstisch, abwechselnd mit großen und kleinen Gläsern in den Händen. Pratajev wird zelebriert, gefeiert. Dass es darunter keine wollende Unterwäsche auf die Bühne herabregnet kann passieren.

 

Mit brachialromantischer Sinnlichkeit trifft Musik auf Kunst, Bulbash auf Gläser, treffen sogar Ukulelen auf Gitarren. Jeder im Saal weiß es: Hier findet sie heute statt, einzig hier, im Kunsthaus Eigenregie: eine Verkettung glücklicher Umstände. Solange man nicht hier ist, ist man definitiv am falschen Ort. Keiner will zur Pause - mit all den brandenburgischen Minuten und Interludien - gehen. M. Kruppe gibt noch einmal, trinkt hernach noch einmal alles. Ebenso die Doctoren. Zugaben. „Da hält der Wind den Atem an“, „Schnaps und Weiber“, „Der Bauch“, dann raus an die Schnapsbar mit Gesang, Spiel und Tanz. Ja, die Plakate des Abends sprechen bis zur tschechischen Grenze wahr: Mega und Giga!

 

Danke, lieber Mario, danke liebe Ines. Danke, liebe dreifarbige Glückskatze in der Old School. Es war den Doctoren ein Fest, das den nächsten Tag lange überdauerte.

 

 

 

 

Bild: Dreifarbige Glückskatze (!)