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Kategorie: Tourtagebuch
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Russenpeitsche (383)

 

Welch‘ frostige Wetterlage immer noch vorherrscht, welch übler Windchill-Faktor ist’s, über den sich einzig die Lippenbalsamindustrie freut. Die sibirische Kältezunge, von der Bild-Zeitung als „Russenpeitsche“ gebrandmarkt, schleckt nur so übers Tourauto und verfolgt jeden, der es verlassen muss. Einmal rauchen am Parkplatz ist gleich einmal durchgeschleckt, und weiter geht die Fahrt ins Weixdorf bei Dresden. In der Karosse sitzt ein völlig geknickter Doctor Makarios. Eben erst aus Fuerte heimgekehrt, in kurzen Hosen übers Vulkanland flaniert, fröhlich Drinks genossen, und nun das. Minus 8 Grad am helllichten Tag. Redlich müht sich die Sonne. Doch sie ist wahrlich zu schwach, um die Eisschollen auf der Elbe zum Bersten zu bringen. Damit nicht genug: Plötzlich duzt die Stimme im Navi, sie sagt einfach „Du“ zum verblüfften Fürst Fedja. Das gehört sich nicht ohne vorherige Absprache. Wir sind ja sonst nicht so, aber nein, ein höfliches „Sie haben ihr Ziel erreicht“ hätte dem Anlass eine würdigere Note verliehen. „Du hast dein Ziel erreicht“ ist tatsächlich etwas gewöhnungsbedürftig.

 

 

Das Waldbadhaus hat eine Ölheizung, drum beeile sich mit der Schlepperei, wer durch ansonsten geschlossene Außentüren hineindriften will. Draußen wird Eishockey gespielt. Der Hype nach der Silbermedaille fürs deutsche Team bei den Olympischen Spielen? Oder ist das hier winters immer so? Egal. Dr. Pichelstein freut's sehr. Wer wissen will, wie Eishockey gespielt wird, schlage im doppelten Sinne zu und erwerbe eines der Fachbücher des Eishockeypoeten im Magazin. Doch: Wie spielt man Eishockey unter dem Einfluss von Bulbash-Wodka? Wir werden es heute, an diesem saukalten Freitagabend, nicht mehr klären. Meister Flash-back sei Dank, steht die Anlage zur Beschallung des Publikums bereits spielfertig da. Während Fürst Fedja und Doctor Makarios noch rasch ein paar Wurstpakete von der Tankstelle besorgen, bastelt Doctor Pichelstein die Bühne zurecht. Als alle wieder glücklich kauend vereint sind, dauert der Soundcheck neun Minuten und dreißig Sekunden. Rekord knapp verfehlt, der liegt bei vier Minuten und zwölf Sekunden.

 

 

„Eintritt inklusive Begrüßungs-Wodka und Snack“ ist, oder besser gesagt: sind angesagt. Also: Nichts für tätowierte Schöngeister aus dem Poser-Katalog. Aufgetafelt werden unter anderem geschnittene Lachse an fulminanten Saucen, gebackenes Brot samt handgefertigter Pelmeni in einer Brüh‘ aus Huhn und was noch alles. Zwar keine Fleischspieße wie beim letzten Mal, aber sehr fein zubereitet. Und nach einem Holzlöffelschluck Borschtsch an Wodka, kann’s bald starten, das mittlerweile dritte Waldbad-Konzert der Doctoren. Ein Dank an Impressario Gerd an dieser Stelle, der das alles ermöglichte.

 

Der Saal ist besetzt, voll, man starrt bereits gebannt in die Bühnenecke – noch rauchen die dick eingemummelten Docs über einer Feuerschale unterm wandweißen Vollmond. Dann juckt es derart in den Fingern, dass es nur noch losgehen kann. Mit „Als das Eis kam“, womit auch sonst. Das Außenthermometer fällt auf minus 12 Grad, drinnen, im Waldbadhaus, steigt die Skala mit jeder nächsten Pratajev-Weise. Wusste jemand, dass Pratajev den Dart-Sport in den 1940er-Jahren professionalisierte, wenn nicht gar neu erfand? Nein? Doch! Oh! Weil: Wer als Impfer durch die Dorfschulen zog, übte vorher fleißig den Weitwurf der Spritzen mit einer von Pratajev entwickelten Zielscheibe. Wem das Glück kein entfernter Onkel war, durfte sich fortan Impfer nennen und genoss ein schönes Leben, die Bewunderung junger Lehrerinnen inklusive.

 

 

Mit derlei Sturzbachanekdoten aus der wandelnden Pratajev-Enzyklopädie führt Makarios das heutige Match durch zwei Halbzeiten plus Nachspielzeit. Pichelsteins Akkorde fliegen einem nur so um die Ohren. Auch heute ist es zum Luftzufächeln. Im Waldbad wird schon wieder ein Rekord gebrochen. Wie hoch die Zahl der Anschläge pro Sekunde war, müsste nachrecherchiert werden, das Messgerät qualmte. Der Titel „Schnellster Akustikgitarrist des Sonnensystems“ kann das nächste Ziel sein. Sofern sich Außerirdische finden, die gegen den Pi.doc antreten möchten – und zwar ohne darunter als Plektrumschleim zu enden. Charmant wie eh und je wird er später einem älteren Bewunderer am Merchstand erklären: „Ach, das kann eigentlich jeder, man muss es ohne Gicht und Teufel nur wollen. Auch die Freunde des Rennsports oder des Ice Speedways kommen bei einer schnellen Gitarre sicherlich eher auf ihre Kosten, als wenn sie einem Neil Young oder einem Faber bei der Arbeit zusehen würden.“

 

PS: Eine Ballade, die sonst keine ist, gab es in der Nachspielzeit, den „Gelben Fettfrosch“.

PPS: Wie eigentlich auf allen letzten Konzerten durfte der mordende „Raucher von Bolwerkow“ nicht fehlen. Das gibt uns zu denken. Aber gut. Smiley.