Das Kettenkarussell dreht sich rasend, rasend schnell (394)

 

Zum 25. Grünauer Stadtteilfest, auch Schönauer Parkfest geheißen, dürfen die Russian Doctors keineswegs fehlen. Ein Heimspiel, sollte man denken, denn Grünau gehört zu Leipzig. Und doch ist es eine Reise in eine ferne Welt. Doctor Pichelstein bezeichnet sich seit mittlerweile knapp 16 Jahren als Messestädter, fällt zwar regelmäßig bei den Sächsisch-Diplomprüfungen unter der Ägide der Herren Makarios und Fürst Fedja durch, war aber erst dreimal in Grünau. Einmal wurde ein Videoclip gedreht („Flowerpower-Sun“), zweimal hatte er sich rettungslos verfahren und musste in Grünau nach dem Weg fragen. Das war vor der Verbreitung von Navi-Geräten. Verlaufen ist für Pichelstein kein Problem, gelingt ihm glänzend auch in der eigenen Wohnung (ohne Navi um den Hals). Und führt mithin zu interessanten Geschichten, respektive führte bereits einmalig zum Zwangskauf eines neuen Mülleimers bei einer Verwechslung in Sachen Küche-Bad.


Die Reise in eine ferne Welt wird mit zwei gefüllten Autos angetreten, Fürst Fedja vorweg, Pichelstein hinterher. Oder: Wodka vorweg, Musik hinterher. Mit Tempo 10 und Blinkerlicht gondelt man durch die Massen und erreicht schließlich die Bühne. Befremdlich wirkt die hohe Präsenzdichte politischer Parteien auf dem Gelände. Gerade läuft ein sogenanntes „Buntes Programm“, kleine Kinder spielen. Die einen halten rote Luftballons in Händen, die anderen hellblaue mit einem roten Pfeil drauf. So könnte es laufen: „Kinder an die Macht“, um Herbert Grönemeyer zu bemühen. Die Bälger beider Ballonlager wirken quietschvergnügt. Gut, manche Eltern eher nicht. Aber das soll mal egal sein.



Auf der Open Air-Bühne präsentieren Cheerleader (etwa 20 Mädchen und ein Junge) amerikanisches Flair, die Gruppe Karussell bereitet sich auf ein Soundcheckgewitter vor, Getränkebons lösen sich bei 30 Grad in Luft und Kaltgetränken auf. Schon wieder ist es heiß, es rinnt der Schweiß, aber dennoch: Mit formvollendeten Manieren wird darunter in die Grillwurst gebissen. Im Schatten des eigenen Backstagezeltes, dem es - vom Flair her - bloß an einer Gulaschkanone mangelt, lässt es sich wunderbar haushalten. Da ist man ganz erfreut, dass sich der für 19 Uhr geplante Live-Act ein wenig nach hinten verschiebt. Chillen ist toll. Und irgendwann zu Ende. Der Techniker steckt seinen Kopf ins Zelt rein. Los geht’s.



Open Air und nicht allein auf der Bühne sein, ist nur mit bestem Timing zu schaffen. Glücklicherweise besteht die Bühnencrew aus versierten Experten, die man sich bei jedem Konzert wünscht. Und so vergeht die Doctors-Zeit zwischen Aufbau, Soundcheck, Abgang, Starterklappe und Intro? Läuft! rasend. Fast vergisst man, schnell noch eine zu rauchen. Dann marschiert „Der Rotarmist“ übers Gelände und es gibt kein Halten mehr. Die nächsten einskommafünf Stunden? Purer Genuss! Pichelstein rast übers Saitenbrett, Makarios kitzelt das Publikum am Herzen und am Holzlöffel. Herrlich. Nie spielte man bisher in Grünau und es ist erquickend zu hören, dass eine einzige ältere Dame unter den gut 500 versammelten Bühnengästen auf die Sangesfrage: „Das ist doch wirklich?“ ein „Ungesund!“ kehlt. Der Abstand Bühne-Zuschauerrund ist weit wie ein Wassergraben und beträgt gut 15 Meter. Jetzt könnten die Cheerleader von eben anschauliche Werke vollbringen. Doch nein, sie sind abgelenkt und voll auf roter Brause. Wie schade. Was bleibt, ist die Klärung der Frage, warum sich der Headliner des Abends, die Gruppe „Karussell“, einst mit eben diesem Sujet schmückte. Na klar. Ist alles auf Pratajev zurückzuführen. „Das Kettenkarussell dreht sich rasend, rasend schnell. Es wird gezogen von einem Mann, der hat zwei dicke Arme dran (…)“


Mit aufziehender Dunkelheit endet das Konzert der Doctors. Liebend gern würde man wissen, ob sich eine pratajevlastige Gruppe, Band, Combo, vielleicht auch ein Solist "Schnapsbar", "Biber", "Der Böse“ oder "Der Arme“ nennt. Dem Merchandise wären keine Grenzen gesetzt. Vom T-Shirt bis zum Schlüpfer.