Fürst Fedja schnupft (404)

 

Mit einer Körperspannung, die an zerkochten Spargel gemahnt, hockt Fürst Fedja am Frühstückstisch. Kein Elend der Welt kann größer sein, als ein ausgewachsener Männerschnupfen, verursacht von einem hinterlistigen Killervirus. Da geht heute wenig bis nichts mehr. Die Anlage wird ins Auto verladen, Fedja düst schnaubend über Betonpisten nach Hause, landet weich und schaut Schießfilme. Im Schlafanzug. Was für ein Verlust. Ohne ihren Prince Charming-Tourmanager sind die Doctors auf Reisen stets unglücklich und so wird es auch eine stille Fahrt nach Wittenberg, als der späte Nachmittag in den kalten Abend hinein verreckt. Kein Radio läuft, manchmal fällt ein Wort, ein ganzer Satz, folgt ein kleiner Lacher, mehr nicht. Pichelstein lenkt den Diesel über den kargen Freiluft-Wurststopp knapp hinter Piesteritz direkt vor den Irish Harp Pub. Erst als beiden Doctoren leckere Getränke übergeholfen werden, ist die Welt wieder einigermaßen im Lot.

 

 

Im Irish Harp buckeln wie eh und je Wirt und Gitarrendoctor die Bühnenecke zurecht. Da alle Kabel mit XLR-Adaptern umgerüstet werden müssen, um ins Multicore Richtung Mischpult gesteckt werden zu können, zieht sich der Aufbau hin. Makarios rückt derweil den Kaufmannsladen ins schummrige Licht. Heute im Angebot: Mehr Schnaps in Flaschen als Musik in Dosen. Beim Soundcheck wächst die Überlegung, ob man nicht bald auch Kippen (aka Teezigaretten) ins Sortiment nehmen sollte? Wer kennt das nicht, vor allem als gestandener Festivalbesucher? Lauter Merch! Klamotten! Platten! Bücher! Sogar Bettwäsche! Wohin das Auge reicht. Und am dritten Tag nichts mehr zu rauchen dabei, alle Automaten leergezogen. Da würde man sich nach einer Stange weißrussischer Kippen die Finger lecken bis die Lunge wieder fiept.

 

Anschließend wird nach arabischer Karte gespeist, der Pub ist bereits proppenvoll. Viele Gesichter erkennt man wieder, das Ehepaar da am Klavier, das saß doch letztes Jahr schon da! Live-Grüße kommen sogar aus Kiel. Ohne Luther keine Kieler in Wittenberg. Eine ganz einfache Rechnung. Danke dafür, Martin. Ohne Luther gäbe es vermutlich auch keinen Irish Harp Pub. Da wollen wir uns Summa summarum gleich mal verbeugen. Für mittlerweile 11 Doctors-Konzerte an diesem feinen Ort. Am 01. März 2008 fand hier die erste Pratajev-Sause statt, in der Folge dann in jedem Jahr. Wie gut, dass man ein Tourtagebuch hat. Erinnerung daraus: „Vom Tresenwesen zurück an die Mikroständer – dem zweiten Intro folgen Heimat- und Tierlieder; Polytoxe und Polygame schunkeln sich in Stimmung. Jeder zweite im Publikum scheint einen Fotoapparat bei sich zu haben, Willis Kamera dreht die DVD zum Fanal und als Stunden später die Gitarren schweigen, bereits das Lied der Kassierer erklingt, da gibt es einen weiteren Zugabewunsch. Er lautet: Gefesselt. „Könnt ihr das noch einmal spielen? Das ist unser absolutes Lieblingslied“, fragen zwei Mädchen von ganz vorn. Doktor Makarios lässt sich nicht lang bitten und erwidert: „Na, Wittenberg hat’s aber gut …“ und legt mit ruinöser Stimme los.“

 

 

Hat sich seit dem Debüt mit der laufenden Konzertnummer 146 entscheidendes geändert? Ja. Das Gros der Wittenberger wechselte mit den Jahren vom aktiven zum passiven Fetisch. Heute wird lautstark (aber weiterhin polytox und polygam) „Beim Bücken“ verlangt. Nicht mehr „Gefesselt“. Die Wittenberger fallen nicht mehr von Barhockern und rennen danach vor die Tür. Dort, wo man heute raucht, wurde früher gebrochen. Denn der Weg zum Klo war stets voller Leiber. Unfallfrei wäre man nie am Hygieneporzellan angekommen ohne klamme Klamotten bei anderen Gästen zu verursachen (um es nett zu umschreiben). Noch ein Stichwort, respektive ein Stichtier: Biber! Denn – von anderswoher ist es bisher nicht bekannt – Wittenbergs Biber beißen. Vorsicht ist weiterhin geboten. Nicht vorm eingewanderten Wolf aus der Dübener Heide, nein, vorm Biber. Los geht’s, das Konzert. Und ein großes „Hallo“ dazu an B.N. Guinnessoff.

 

 

Die Setlisten der Doctors sind wie das Leben, von dem man behauptet, es sei wie ein Pralinenkasten: Man weiß nie, was man bekommt. Aber selbst Pichelstein, der rasende Gitarrist auf dem Yamaha-Boliden, ahnt oft nur das erste Lied. So rockt, poppt, punkt und flegelt der weitere Verlauf des Abends vor sich hin. Luther-Chöre! Alle singen: "Tote Katzen im Wind" usw. Bereits zum ersten Pausengong liegen sich die Doctors nass in den Armen. Beim erneuten Schnellgitarre-Weltrekord zur „Harten Wirtin“ staunt mancher Bauklötze und will gleich die Doping-Polizei rufen. Doch die hat gerade im Wintersport mächtig zu tun, bevor es im Frühjahr zu den Apothekenrundfahrten geht. Pichelstein rutscht stets durch alle Kontrollen, und, an dieser Stelle sei es gleich verraten: Es ist der Wodka Bulbash. Von dem späterhin der gesamte Vorrat über den Tresen geht. Der Wodka, den man sich heute erbetteln muss, weil Fürst Fedja schnupft und Schießfilme guckt. Je mehr Bulbash, desto schneller die Hände, die Finger, die Akkorde. Bis zum Diskant, bis zu „Tasche auf“, „Hack“ und - wie sollte es anders sein? Bis zur allerletzten Mokka-Milch-Eisbar.

 

 

Fotos: Dankeschön an Ralph Wildgrube