Post-Gothic! (265)

 

Drei lange Monate drehte sich die Welt ohne frenetische Aufführungen der Russian Doctors weiter; mittenmang hatten sich die Erben Pratajevs in ein metallastiges Studio namens Echolux zurückgezogen, dort so ganz nebenbei den Post-Gothic erfunden. Eine musikalische Schublade, in der es sich anmutig leben lässt. Nach „Post-Punk“, „Post-Metal“ nun also „Post-Gothic“. Möglich wurde dies alles durch den wunderbaren Aufnahmeleiter Andy Schmidt. Ende Februar erschien schließlich „Wiege deinen Rumpf“, die CD zum 10-jährigen Bestehen der Doctors. Zwei kleinere Proben waren nötig, um das frische Pratajev-Kapital spielfähig präsentieren zu können. Wichtiger bisweilen erschien das Einstudieren des frischgebackenen Post-Gothic-Modetanzes „Wiege deinen Rumpf“. Die Doctoren Makarios und Pichelstein führten, unter Zufuhr belebender Getränke, diverse Vorschläge einem ausgewählten Jurypublikum vor; schon wurde ausgewogt, gewiegt, gerumpft. Der Abend im Flowerpower konnte starten. 10 Jahre Doctors, verbunden mit einer 4-Punkte-Tour durch die Heimatstadt; selbst die Leipziger Volkszeitung schrieb „Das ist neu!“

 

Der Chef persönlich ist vor Ort; André Streng tarnt sich als Hausmeister und überreicht das Willkommenspräsent, einen Schnapsbecher aus Holz. Zwar stammt der aus Finnland, spielt für die Bermasik-Forschung der Pratajev-Gesellschaft in Zukunft jedoch gewiss in Bälde größere Rollen. Zuletzt entwickelten einzelne Forscher im Haus aus Stein Nummer 7 die Idee, Pratajev sei immerhin bis nach Schweden vorgedrungen. Finnland liegt bekanntermaßen gleich um die Ecke. Findet auch Philipp, eingeteilt vom „Hausmeister“ für die Umsorgung der Doctors. So schwebt man zwischen Soundcheck, Schnäpsen, Brötchen dahin und das Flowerpower füllt sich immer mehr. Wo soll man stehen? Wo soll man gehen? Glücklich ist, wer heute Privatier ist und sitzt oder steht oder liegt. Oder auf dem Weg zu jemandem ist. Das ist völlig egal. Und so freut es umso mehr, dass Magdeburger, Berliner, Dresdner, Wittenberger, Chemnitzer und viele mehr aus weiten Teilen der Republik anreisten, dass selbst Genosse Winogradow (Hauptstadt) dem Ruf des Forscherkollegen Eademakow folgt, in Lichtgeschwindigkeiten vor Ort ist. Nicht vergessen wollen wir Fürst Fedja aus Belarus! Es leben die Zigarren der Zufriedenheit, ihr Rauch verleihe uns, beim Schnapse, Glückseligkeit.

 

 

Die Pratajev-Revue erklingt; das ganz neue Programm erfährt mit der „Schönen aus der Stadt“ ihren Post-Gothic-Anfang. Philipp ist derart gerührt, dass die Regler ein wenig später als geplant rotbereichig kulminieren. „An ihrem Garten“ folgt und so geht es immer weiter. Tief hinein, ins Herz Russlands. Pratajevs Wege, Leidenschaften, Nebentätigkeiten, seine Dichtkunst und Würze sprechen früh Bände. Und zaghaft wird der wiegende Rumpf gewogen. Natürlich, ein neuer Tanz, der will geübt werden. So neu ist das Programm, dass Doktor Pichelstein schon mal arg vom Text abweicht, eine Runde Schnellgitarre drüber legt - weiter geht’s mit den Weisen, die noch lange erklingen werden. Über die Pause hinaus, an der Schlange zur Schnapsbar vorbei, in die Zugabeblöcke hinein. Endlos hätte man spielen können, doch einmal muss es genug sein. So einen feinen Auftakt ins Tourjahr darf man sich wünschen, doch bekommen dürfen ihn nur The Russian Doctors. Und das, liebe Freunde, ist Euer Werk. Bis morgen, nicht weit von hier, im „Noch Besser Leben“.

Russenpeitsche (264)


Mittags um eins piepst der Weckruf 110; Doktor Pichelstein ist sehr schwach. Wenig später wird tapsig die Wohnung durchwandert. Das Telefon klingelt, doch es bleibt zunächst verschwunden. Doktor Makarios wartet geduldig, bis am anderen Ende ein leises, kratzendes „Hmmmm“ ertönt. „Mein Doktor, halb fünf reicht. Bis dann.“ Gemeint ist der genaue Abreisezeitpunkt nach Frankenberg. Gesagt, getan, weiter gedämmert. Doch irgendwann am Tag ist’s immer halb fünf. Ein Satz, den Pratajevs Gitarrist und Freund Anatoli Prumski sehr oft zu sagen pflegte. Jene sicherlich durchaus interessant anmutenden Anlässe wurden leider nicht überliefert.

 

Abermals wird telefoniert zwischen den Leipziger Stadtteilen Schleußig und Reudnitz. „Mein Doktor, es dauert noch. Die Scheiben sind eingefroren. Von innen und von außen“. Eins kommt zum anderen. Kurz vor Chemnitz bricht tiefster Winter ein. Die Bild-Überschrift wusste es bereits an der Tanke nahe Borna: „Russenpeitsche“. Dabei kommt das damit in Verbindung zu bringende Tiefdruckgebiet doch von wo ganz anders her. Warum nicht gleich „Pratajevpeitsche“? Genau. Weil einem dann nämlich heiß ums Herz wird. War es nicht unser großer, russischer Dichter, der den Fetisch nach Miloproschenskojer Prägung erfand? Mehr dazu leider erst im Februar 2013. Dann erscheint das nächste „Haus aus Stein“. Im 7. Almanach der Pratajev-Gesellschaft werden solche Dinge ausführlich beleuchtet.

 

Herr Eiswürfel und Dirk laden heute zur ?????-???-?????; Doktoren und lieben Gästen steht eine Tischlerei-Party bevor. Freudig wiegen sich die Rümpfe bei Ankunft. Nach dem ersten Radeberger, dem ersten Mischgetränk namens Gisela frohlockt man in trauter Runde. Herrlich! Nur die Anlage zur Beschallung des Publikums zickt herum. Gitarre-Klinke: nicht kompatibel mit der Endstufengerätschaft. Grund: Informationspanne der Verleiher (keine DI-Box dabei), technisches Unvermögen derselben, all das. Doch die Rettung naht in wohliger Kompetenz. Nur ein einziges Mal in der nunmehr 9-jährigen Geschichte der Russian Doctors fand sich keine beschallungsträchtige Lösung. Aber das war vor langer Zeit, in Herne, im tiefen Ruhrgebiet. Laut Vertrag sicherte der Veranstalter eine „Hausanlage“ zu. Sie bestand letztlich aus einem Kassettenrekorder mit zwei kleinen Hifi-Boxen. Da staunt man nicht schlecht.

 

Auf dem Grill draußen zischen mitunter leckere Steaks, drinnen ist es längerfristig dasselbe Bild: Frierende, gut aussehende Menschen tropfen herein, werden geherzt, geschüttelt, schon greifen sie zum Glas, zur Flasche, zur Frau, zum Mann, warm ist’s im Rund, Heilung naht. Bald schon live – die Doktoren spielen den ersten Block. Das gestrige Spektakel mitsamt träger Spätlese verfliegt mindestens bei „Junge Burschen tanzen“.

 

Viel später ist die Pause gerecht. Über den „Schlips aus Lurch“ geht’s zu den Toten Katzen. Doktor Pichelstein überholt seinen Sangesdoc gleich mehrfach. Aber weil sämtliche Töne darin in Schallgeschwindigkeit abgesondert werden, fällt’s keinem auf. Der Siedepunkt naht bereits nach wenigen Minuten und kann bis zum Schluss gehalten werden. Großes Fest, leckerste Versorgungen! Reichlich erschöpft sinken beide Doktoren nach der letzten Zugabe dann doch auf die Bankkissen und man sitzt so da und freut sich. Nicht nur, aber ganz besonders über eine Kuchengabe namens "Schleim am Arm". Vyolent Attax, große Zuckerbäckerin, vielen Dank!

 

Unterkategorien