Wurst aus Teamgeist (316)


Die Erderwärmung untertreibt es mal wieder mächtig; am Tag Eins nach dem Frühlingsanfang ist es kälter als zu Weihnachten. Die Polarexpedition der Russian Doctors ist auf dem Weg nach Wittenberg und einer friert ganz besonders: Der eben erst aus kanarischen Wunderlanden ausgeflogene Doctor Makarios. Seit dem Kachelmann und Ben Wettervogel (ein vom Mittelmeerraum einfallendes Hochdruckgebiet habe ihn selig) vom Bildschirm verschwunden sind, macht TV-Wettergucken keinen Spaß mehr. Die Speerspitze des Schlimmen braut sich in manchem ZDF-Morgenmagazin zusammen. Zuschauerfotos! Mit fotogeshoppten Sonnenaufgängen! Und dann überall diese Frühblüher, die Krokusse des Grauens. Neulich wurden die Zuschauer doch tatsächlich dazu aufgefordert, Fotos von sich selbst, sogenannte Selfies, einzureichen. Nein, man möchte morgens um sieben keine echten Mitmenschen sehen. Erst recht keine vor einem fotogeshoppten Sonnenaufgang. Sondern irre Politiker, wirre Künstler, kühle Moderatoren, die ein wenig an Sprechpuppen mit künstlich aufgemalten Leberflecken erinnern.

 

An der Shell-Tankestelle Leipzig-West legt Makarios das Tour-Motto für die nächsten Interviewfragen fest: „Wir machen jetzt auch Doc-Rock“. Pichelstein versteht nur Hund und ergänzt: „Aber auch ein bisschen Cat-Blues“. Dann geht’s den Teamgeist stärken. Denn ja, Teamgeist ist auf einer Tour sehr wichtig. Der gemeinsame Verzehr von Bockwürsten möge ihn für heute stärken. Doch, nur am Rande, keine Sorge: Nie haben sich die Doctors auf einer Tour gestritten. Das können die gar nicht, denn es gibt ja immer Bockwurst. Und danach ein Shake-Senf. Wer ihn stolz auf der Hose trägt, gehört dazu, zum inneren Zirkel der Doc-Rocker.

 

 

Fürst Fedja parkt den BWM vorm Irish Harp Pub, drinnen träumen alle vom Einzug der Dortmunder in die Champions League-Ränge obwohl sich Schalke gegen die Werkself müht und letztlich verdient verliert. Rückschlag für Dortmund, murrt Fürst Fedja, greift sich vor Wut ein Eiersalat-Brötchen und beißt kräftig hinein. Denn heute wird Frontstage gespeist. Wirt B.N. Guinnessoff – als hätte er es geahnt, der Gute – hat aufgefahren. Es gibt Teambuilding ohne Ende, sprich: Bockwürste, und die sind schneller alle, als Hunde mit neongrünen Blinklichthalsbändern gucken können. Wurst aus Teamgeist! Das kann ja heute nur ein fabulös-genialer Abend werden. Auf zum Soundcheck, die ersten Pub-Bewohner kommen von der Hausarbeit heim. Berlins Vorzeige-Eishockey-Zeitungsarchivar Eademakow bestellt das erste Kaltgetränk. Murphy's Irish Red für Doctor Pichelstein. Und einen Schnaps und noch einen zum Wohlsein.

 

 

Mutti Pia, die unnachahmliche Gefesselt-Queen, gibt sich die Ehre. Vertreten sind die besten Fans der Nordliga, der Hannover Indians. Fürst Fedja und Pichelstein starren gebannt auf den Datenapparat mit Telefonnebenfunktion: Die Icefighters Leipzig gewinnen soeben Spiel 2 der Nord-Ost-Pokalserie gegen den hallensischen Erzfreund mit 5:2. Bockwurst sei Dank. Soviel magisches Denken muss sein. Dann startet das Konzert mit allen Höhen und Höher-Höhen. Wittenberg erlebt eine Weltpremiere: Pichelstein trägt Samtschlips überm aufgeknöpftem Langarmshirt. Weil es der Teamgeist so will. Und wie er rast, kennt kein Halten. In der Pause sagt ein Doctor dem anderen: „Eigentlich ist Set Nummer Eins 60 Minuten lang, wir stehen bei Minute 47“. Darauf einen Gelbschnaps. Die irische Wirtschaft tobt und trinkt. Torgauer Punks sei Dank.

 

Murphy's Irish ist nicht zu toppen. Über den Rotarmisten geht’s nach langem Block zu den Zugaben. Durchs Mitsingen trägt mancher ein wundes Zäpfchen davon. Schwankend heroen die Einen durchs Feld, die Anderen halten sich an Pfosten und auf Barhockern fest. Doch nach der vierten Schnapsbar muss es reichen. Die Teamgeist-Doctoren liegen sich in den Armen und Fürst Fedja beeilt sich. T-Shirts, Bücher, Platten – alles will an die Frau und an den Mann gebracht werden. Während Doctor Pichelstein einen virtuellen Schnellgitarre-Gutschein einlöst: Schülerin Nele bekommt Hausaufgaben auf. Bis zum nächsten Konzert.