Schlüpfer-Gate in Reudnitz (342)
Ulf lädt ein. Nicht nach Pirna, nein, nach Leipzig. Im Reudnitzer Kiez wohnt der behütete Hofnachtexperte noch ein Weilchen und die Monte Negro Sportsbar wurde ihm unterdessen zu einer Art Feierabend-Heimstatt. Um die Bar kurz zu umschreiben braucht es nicht vieler Worte: sie ist weder tricky, micky noch schicky (verbunden mit überteuerten The-better-Berlin-Getränkepreisen), dafür glänzt sie taglesend. Man könnte philosophieren: hier werden vernarbte Arbeiterherzen auf der Zunge getragen. Oder einfach mit Peter Alexander singen: „Die kleine Kneipe in unserer Straße…“

Die Doctoren werden bei Ankunft mittels Vollglasmodus willkommen geheißen. Es ist später Freitagnachmittag und eine Publikumshälfte scheint dem reichhaltigen Ausschank bereits kräftig zugesprochen zu haben. Die andere Hälfte, mutmaßlich eben erst eingetroffen, bemüht sich kräftig aufzuholen. „Wer trinkt, muss essen“, lautet ein altes Balkansprichwort. Flugs ist das Buffet eröffnet; auf einem der Flachbildschirme laufen Videos der Russian Doctors in Endlosschleife, aus dem anderen stöhnt Damentennis.
Doctor Pichelstein bastelt die Bühne zurecht, Doctor Makarios thront auf einem opulenten Hocker aus Holz. Na, das muss heute so sein. Schließlich gab es zum Wochenanfang die Schreckensmeldung: „Rasender Radfahrer durch Autofahrerin jäh gestoppt“. Auf dem Rad saß der Doctor, wenig später musste er in der Notaufnahme mit Katzendarm, sprich: Catgut, am Fuße genäht werden. Welch ein Glück, dass nicht mehr passierte. Schonung lautet die Devise.
Der Chefwirt stellt den Doctoren einen singenden Landsmann aus östlichen Europagefilden vor und zeigt dabei immerfort auf einen der beiden Flachbildschirme. Aus dem anderen stöhnt weiterhin Damentennis. Slibowitz! Becherovka! Nichts wie an die Schnapsbar. Ein Geschäftsmann tritt ein und empfängt zur Linken gerade ein paar Lederschuhe. Rechts krallt sich eine bauchzeigefreudige, zahnlose Dame am Tresen fest. Vermutlich ein (postoperativ) ehemals sehr erfolgreicher Eishockey-Goon. Um das mühsam hervorgezauberte Wort „Sternburger“ herum gelingen ihr einige galante Petroperbolsker Zischlaute. Beeindruckt nicken sich die Doctoren zu. „Zum Wohl“, ruft der Wirt. Die Dame bekommt ihr Fläschchen, verliert einen Fünfer. Sie bückt sich und Pichelstein blickt tief in ein mächtiges, sogenanntes Bauarbeiterinnendekoltee. Wäre man in Promikreisen, ließe sich der Skandal nicht mehr vertuschen. Überschrift: „Schlüpferpanne in der Monte Negro Bar“ oder noch dicker: „Schlüpfer-Gate in Reudnitz.“

„Hoffentlich reißen die Slipbänder nicht“, sagt ein Doctor zum anderen. Doch sie halten wie Pech und Schwefel zusammen. Die Bar ist mittlerweile bis auf den letzten Platz gefüllt und da um die zehnte Stunde herum Kiezruhe sein muss, legen sie los, die Erben Pratajevs. Mit Tempo, Wucht und Spektakel jagt Pichelstein heißblütig über die Saiten. Makarios stolziert dazu majestätisch durchs Lyrische. Im Halbsitzen wohlgemerkt, mal mit butterweicher, mal mit knarziger Messerstimme. Hüben wie drüben jubelt das Publikum. Der schnellste Akustikgitarrist der Welt muss zwischendrin das Plektrum verschenken. „Wenn ihr schon keine CDs dabei habt...“ Kein Problem. Andere junge Menschen sammeln bei Konzerten Trommelstöcke. Und ziehen damit später Tomaten groß. Was sollen sie auch sonst damit anfangen?
Es folgt recht passend die erste Schnapsbar, denn dortselbst wird gerade der Eishockey-Goon nach draußen komplimentiert. Leider hatte der Mageninhalt andere Pläne und wollte nicht mit. Aufzufinden, bzw. aufzuwischen, ist er wenig später aber leicht. Da kann sich ein Mageninhalt noch so sehr tarnen. Es sei denn, er befände sich auf einem Walk of Fame, genauer auf dem Stern eines Donald Trump.

Weiter geht’s! „Solo, ein Gtarrensolo“, wird aus der ersten Reihe gefordert. Kein Problem. Pichelstein verpasst dem „Rotarmisten“ eines, dreht dafür den Verzerrer hoch und schon wird kräftig applaudiert. Jaja, Applaus ist der Schnapstee der Musiker, auch in der Monte Negro Sportbar. In der es bis zum Schlussakkord dann noch heftig, aber friedlich zur Sache geht. Bis er den Atem anhält, der Wind. Bis Sätze fallen wie „In einem schicken BH kann man viel erleben“. Ohne, dass man jetzt noch weiß, warum das wer zu wem insgeheim sagte.
