Heute ohne Bühnenschnaps (343)
Ach, wie ist das schön. Doctor Pichelstein hat sein Tagewerk vollbracht, kleidete sich eben noch um (von Blauweiß ins Schwarze), schon singt das Smartphone: „The lonely end of the Rink“. Gradmesser dafür, dass Fürst Fedja anruft und den Stand der Verspätung („Wir sind noch im Büro“) durchgibt. Doch nein, heute heißt es: „Wir sehen die goldene Kuppel und sind gleich da“. Potzblitz. Truffauts Satz: „Das Leben schreibt die besten Geschichten, aber es ist schlecht inszeniert“, wird ad absurdum geführt. Wenige Minuten später rasten die Doctors bereits an der Total stadtauswärts Richtung Dresden. Das Spiel „Wer als erster einen Senffleck auf der Hose hat, bekommt eine Talcid vom Pichelstein“ beginnt.
Die knackigen, bockigen Würste sind vertilgt und siehe da: Makarios will die Lutschpastille, doch der Fleck ist falsch! Nur ein Knoblauchsaucenunfall des gestrigen Abends beim Mexikaner. Der mit allen Untiefen und Weihen der Musikerbranche vertraute Doc M. weiß, dass sowas Glück bringt - es dauert dann auch nur wenige Kilometer Autobahn, bis sich der Fleck auszahlt: Fürst Fedja, bekannt als der Erfinder der Geduld am Steuer, tritt im richtigen Momentum hart in die Eisen. Alles fliegt umeinander, als eine verhuschte, schlaftrunkene Jungführerscheinbesitzerin mit Zopf das schlechte Konzept der Sterblichkeit im Straßenverkehr durch blinkfreies Spurenwechseln auszureizen gedenkt.
Später, auf einem Parkplatz: In gewissen Abständen tropfen drei Jungspudel aus einem dieser hygienisch zweifelhaften Rasteklos zurück ans Sonnenlicht. „Back to the Light, um es mit dem Simplicissimus eines Brian May zu sagen. Der Pratajev-Tross pausiert, schaut wichtig durch die Gegend und jeder denkt sich seinen Teil. „Pullern waren die nicht“, so der allgemeine Tenor. Weiter geht’s, auf ins Tal, nach Dresden.
An der Chemiefabrik wird bereits Equipment ausgeladen. Die Doctors konzertieren heute gemeinsam mit den Berlinern Chase Insteadman und GrüßAugust. Welche Ehre. Was an der Chemo wirklich immer wieder lobenswert ist: Das Booking, das Line-up. Passt immer. So auch heute. Kaltgetränke, Kippchen, Kaltgetränke - der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, deshalb gehen die Doctoren lieber den Umweg über die himmlischen Bühnen der Republik.

Entspannung obsiegt beim Sonnenbad, und da heute für die Docs ge-sandwicht (als Akt Nummero zwei) konzertiert wird, wird’s erst kurz vorm Intro den Linecheck geben. Der Koch ruft: „Ist fertig“. Hartgesotten wird ins Vegetarische gebissen, die Pesto-Nudeln gar gelobt. Leistungssportler auf der Gitarre, Marathonsänger am Mikrofon brauchen nicht nur Schnaps, sondern auch? Kohlehydrate! Stichwort Schnaps: Fürst Fedja, nunmehr stets als Geschäftsmann der Firma Wodkartell unterwegs, schenkt ihn ein, den guten, leckeren, kältesten, auf dem Gaumen tanzenden Bulbash aus Belarus. Schon dämmert’s, schon schlägt sie, die Blaue Stunde und Chase Insteadman wissen drinnen, wie ein donnernder Akkordschneeball zur Lawine wird.

Voll ist’s im Rund, es kreisen die Flaschen, eine Dame mit Touret-Syndrom sammelt die leeren ein und juchzt vor prä-nächtlicher Freude. Das darf sie tun, denn jetzt sind die Doctors drauf und dran und dran und drauf. Ein rasendes Konzert wird’s, keine Pause, keine Ballerladen. Doctor Makarios lässt sich Zeit für die Sangeseinstiege, so dreht, schmettert Doctor Pichelstein getreu dem 2016-Motto: „Schneller als Eishockey, härter als die Tour de France“ mit reichlich Sportlergeist seine Runden. Doch wo um alles in der Welt treibt sich Fürst Fedja herum? Der Schnapsdurst, er wird schlimmer unter all dem schweißtreibenden Scheinwerferlicht. Pichelstein lechzt, Makarios ruft ins Mikro: „Fürst Fedja, dringend zur Bühne, Fürst Fedja bitte“. Nichts. Es folgt ein ganzer Block getanzter Tierlieder, dann die erste Schnapsbar und? Nichts. „Jetzt einen Bulbash“. „Oder einen Milzbrand“. Beide Doctoren zucken mit den Schultern und so tobt sich der Saal in die Zugaben hinein, ins Wunschkonzert, in die letzten beiden Schnapsbars. Dann pegelt der Mixermann die Lichtmaschine hoch, Ende. Puh. Man liegt sich in den Armen und Fürst Fedja? Verkostet Bulbash am Merchstand, verkostet Milzbrand. So ein Schelm, ein Guter.
