Drei Mafiosi und 800 Kaffeekannen (346)


Eben erst aus Portugalien zurück, noch recht braungerannt, nun aber wieder den Unbilden des Alltags ausgeliefert, steigen die Doctoren in Fürst Fedjas Schmette (das ist sächsisch und bedeutet: ehrwürdiger Auto-Gebrauchsgegenstand). Los geht’s, die Stopps „Bockwurst an der Total“ und „Rauchen an Hansens Holz“ warten. Um 17 Uhr will der Lindenhof Prietiz erreicht sein, die heutige Unterkunft, was ohne böse Blitz-Donner-Wetterkapriolen gelingt. Der BMW rast schräg dran vorbei. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, „Prietiz“ korrekt geschrieben ins Navigationsgerät einzutippen, was letztlich gar nicht klappt. Widerwillig folgt das, was früher einmal war:

„Na guten Tag! Wo geht es denn hier wohl nach Priedings?“

„Prietitz heißt das das! Na da müssen Sie…“

Schön, einfach so einen Menschen beim Netto, im Randgebiet der Aktion Sorbenkind, anzusprechen. Glücklicherweise ist der einkaufende Mann deutlich zu alt, um sich Kopfhörer ins Ohr zu stopfen, respektive im Halsnachunten-Gang auf ein Smartphone zu starren. Versuchen Sie mal einen Berufsjugendlichen anzusprechen und nach dem Weg zu fragen. Diese 14 bis 45-jährige, von Apps und Birns völlig zerstörte, willenslos gelynchte Kreatur wird einfach weitergehen. Auch wenn Sie hinterherrufen: „Da kommt eine total tricky-schicky Baugrube. Drinnen gibt es kein W-LAAAAAAN…“


Der Lindenhof wird bezogen. Auf die Frage beim Gastwirt: „Warum stehen hier eigentlich so viele Kaffeekannen aus Porzellan herum?“, sagt der nur sächsisch-trocken: „Weiß ich auch nicht. Die Leute bringen die einfach mit und dann stehen die hier und machen eine Menge Arbeit. 800 müssten es jetzt sein“. Au weia. Weiter geht’s, zur Rotkehlchen Ranch, vorbei am Schild „Friseursalon Haarmonie, 20 Meter links“. Doctor Makarios merkt an: „Wie heißen eigentlich Friseurläden im Harz? Haarzmonie? Oder welche mit Fachkräften drin, die mit Ach und Krach die Lehre geschafft haben? Haarakiri?“


Über Huckelpisten, wie wir sie aus Landschaftsfilmen über die Innere Mongolei kennen, geht’s weiter. Die Schmette wäre lieber ein Allrad-Jeep, doch da muss sie durch. Fürst Fedja kennt kein Erbarmen und fährt schließlich in ein kunterbuntes Zeltlager ein. Die Menschen sehen glücklich aus, manche tragen schwanger-gekurbelte Selbstgedrehte in der Hand, die Luft ist entsprechend verkräutert. Kinder rennen durch Pfützen, Hunde mühen sich verzweifelt, ein Stück heruntergefallene Wurst zu erschnuppern. Doch die gibt es nicht, denn Wurst ist Tofu und alles in allem wurde das reichhaltige Buffet getreu dem Motto „Heute nur ungeborenes“ aufgebaut. Heiliger Bimbam! Na, das schmeckt den Doctoren, sagen wir mal, eher nicht so dolle. Fürst Fedja schüttelt den Kopf und belehrt einen stark verschlammten Berufsjugendlichen (Wow! Ohne Ohrenkopfhörer!): „Immer diese Repressalien! Ich kann das hier aus religiösen Gründen einfach nicht essen“. Man muss wissen: Fedja hat sich vor Jahren dem „Orden der Weidetiere“ angeschlossen. Losung: „Nichts, was einer Kuh, einem Schwein, einem Rind gutes beschert, wird verzehrt“.



Erfreulich ist die Schnapsbar! Und da der Fußballverein BSG Chemie Leipzig vor wenigen Augenblicken durch ein 3:0 gegen den VFB Empor Glauchau in die Oberliga aufgestiegen ist, wird grüner Pfeffi drauf getrunken, werden Bier- und Mixbecher geleert. Die Doctoren sollen noch ein wenig inkognito bleiben (Geheim! Ihr seid ein Geschenk zum 40. Geburtstag und wir haben euch als „Der schnellste Gitarrist“ angekündigt), okay, dann: Sonnenbrillen auf, im schwarzen Outfit cool an die Schmette gelehnt, rauchen. Als ein Partygast samt schulpflichtigem Kind vorbeikommt, wird dem Nachwuchs erklärt:

 

„Guck mal, da steht die Mafia“.

„Stimmt“, knurrt Makarios, „Mafia heißt La Familia, die Familie“.

„Papa, du bist peinlich“, entgegnet das schlaue Kind und wenn es weiterhin so schlau bleibt, muss es irgendwann nicht in einem Friseursalon namens „Haarakiri“ anschaffen gehen.



Die erste der drei oder zehn Bands hat ihr Werk vollbracht. Radikaler Rock, rustikal gut, schreiende Gitarren, irgendwo zwischen den Ramones und den Pixies. Band Nummer zwei schickt das Publikum im halboffenen Saal auf eine Wave-Pop-Reise in die 80er Jahre hinein. Töne, Gesänge, die wie Schwerter über den Köpfen hängen. Bauhaus? Dann kommt Bewegung ins Doctorenleben. Los, geht’s: Aufbauen, Linecheck, Kaltgetränke, Intro läuft, tata – aus „Der schnellste Gitarrist“ summieren sich für alle ersichtlich: The Russian Doctors.


Makarios nimmt das verehrte Publikum mit gutturaler Stimme auf eine geschorene Pratajev-Reise, die eben noch verhaltene Stimmung wird auf links gezogen. Grundgütiger! Trunkene feiern, tanzen, singen, kiffen sich in die frühe Nacht hinein. Mit dem Brustton der Überzeugung („Ich kann’s“) stürmt ein Herr mit Hut die Bühne, setzt sich ans Schlagzeug und trommelt zur „Ratte“. Doch nein, er ist viel zu langsam. Pichelstein gewinnt die Tour de Rotkehlchen auf der Erlenholzgitarre nicht nur; er überrundet die taumelnde Rhythmusmaschine mehrfach. Der Hutmann gibt auf, es folgt die „Schnapsbar“ und was soll’s in den Zugaben geben? Die Art unplugged. „Sie sagte“, „Samtmarie“, „Wide wide world“ und ein Stück, an das sich niemand mehr so recht erinnern kann bilden den Heilungsabschluss. Wo ist Fürst Fedja? Da ist Fürst Fedja. Wird von Hunden belauert. Was hält er in der Hand? Salami. Kleine Bratwürste. Käse. Was dampft da in einem heimlichen Hintergrund? Ein Grill. Das Leben ist manchmal sehr gerecht und am nächsten Tag wird bereits zum Frühstück im Lindenhof, umgeben von Kaffeekannen, die sogar von der Decke hängen, Kräuterschnaps auf den nunmehr zweifachen Opa Makarios getrunken.