Die Gesetze pratajevscher Physik (348)

 

Tags nach dem Konzert mit der laufenden Nummer 347 ging’s ins Dresdener Ramada-Hotel, wurden katzenschlau drei Zimmer okkupiert, nach einem ausgiebigem Schläfchen ging’s mit der Fähre zum Elbhang. Portugal gewann gegen Kroatien und Doctor Makarios schrie beim einzigen Treffer dieser EM-Partie vor Glück die halbe Grottenwirtschaft zusammen. Getrunken wurde auch und herrlich an der Flussterrasse getafelt. Doch Zeit vergeht und schon macht sich der Tross auf, sein Gastspiel an besagter Stätte vorzubereiten.



Für 15 Uhr ist die Doctoren-Showtime angesetzt, die ärzte-affinen Musiker der Kapelle Soko Rock besangen gerade noch den Travestiekünstler Ernst-Johann Reinhardt („Lilo Wanders“), schon werden Kabel verlegt, der Schweiß fließt besonders bei Doctor Pichelstein. Die Idee, unbedingt in einer langen, schwarzen Hose lustwandeln zu wollen, hm, die war in Grädern Celsius gemessen eher dümmlich. Makarios trägt kurzes Beinkleid, lacht glockenhell wie die Sonne und freut sich über jede vorbeiziehende Wolke. Der Sieg der Portugiesen wirkt nach. Klar, dass darauf weiterhin getrunken werden muss und während sich die Menschen im Rund vor der Straßenbühne vermehren wie sommers die schönsten Rosen auf dem glitzernden Teich, gelingt beim Soundcheck eine dezibeleske Vervollkommnung. Schon läuft das Intro tief und kehlig: „Warme Worte zum Geleit“. Pratajevs Erben folgen den Gesetzen der Physik: Eine eloquente Eigendynamik, bestehend aus Gitarrengewittern und Weisen des großen russischen Dichters, ist (einmal losgetreten) nicht mehr zu stoppen. Sie steigt an, die Dynamik, steigert sich zum Diskant, erreicht ein Plateau und von hoch droben folgt ein Sprung in die Tiefe. Oh, wie das kribbelt! Als würde man im Traum von einem Hochhaus fallen. Und während es so kribbelt, heißt es auf der Bühne nur: „Das waren die Russian Doctors!“



Schon hat das Leben einen wieder. Das Leben, das gute Leben fürwahr. Manch einer schaut den Nachbarn dergestalt ungläubig an, als hätte ihm wer die Brille weggenommen. Es wird geklatscht, gejohlt. Es wird ein letztes Mal „Zugabe“ gerufen. Man sieht Doctor Pichelstein, der nach knapp zwei Stunden Bühne nur mehr pustet, trinkt, weil er knapp verdurstet und mit mechanischer Zärtlichkeit die Bühne abbaut. Man sieht Doctor Makarios in unauslöschlichen, besten Gedanken kreisend, den Olympiasieger auf der Schnellgitarre eben noch im Arm - oder Bauch an Bauch, das geht auch - wie er in den Schatten hechtet. Wo Fürst Fedja mit einem Kaltgetränk und verschmitztem Lächeln um die feiste Zigarre herum wartet. Wo sich das verehrte Publikum am Merch-Stand scharrt. Ach, Elbhangfest, du Schöne. Du leckere, du Kartoffelsuppe, du Fischbrötchen, du Zauberin bester Laune. Deine illustren Gäste wurden über die Jahre bereits mit allen Wettern gewaschen. Heute ist Sommer, heute wird das Leben nicht gehackt, gerät aus keinerlei Fugen und ist einfach nur gerecht. Danke, liebes Team der Grottenwirtschaft für diesen Tag am Elbhang.