Wo der Moment größer als man selbst ist. Aber sowas von! (354)


Mit reichlich müde getrunkenen Schnapsmädchen an Bord starten die Doctoren gen eigentliches Randsachsen und dennoch ins Thüringische. Warum das so ist? Also nicht das mit den Schnapsmädchen. Würde es sich um Brausemädchen handeln, dann wäre der Satz ziemlich absurd. Nein, es geht noch absurder. Als die Bevölkerung rund um Altenburg im Zuge der D-Mark-Annektierung gefragt wurde, zu wem man gehören möchte, entschieden sich im Juni 1990 die meisten pro Sachsen. Wer hatte schlussendlich was dagegen? Die gewählte Politikprominenz. Thüringen zahlte höhere Diäten und Altenburgs Kreistag entschied nach dem Gusto wohlgenährter, nordkoreanischer Führer: Wir hungern lieber und behalten die schöne DDR-Schwimmhalle anstatt Thermalbadsachsen zu werden. Ein Reizthema, das viele Gemüter noch immer zum Blutdruckarzt treibt. Altenburg, eben erst in der Demokratie angekommen, erlebte einen demokratischen Sündenfall. Es soll zu Bratwurst-Boykotten gekommen sein und viele Bewohner ernähren sich bis heute ausschließlich von Eierschecke, Flecke und Sauerbraten in Kartoffelsuppe. Wohl bekommt’s.

 

 

Kurvenreich geht es auf der Endstrecke Richtung Garbisdorf zu, die aus langen Dorfstraßen besteht, an denen Klitschen verortet sind. Ja, „Sächsisch to Go“ heißt es wieder einmal und Doktor Pichelstein muss entsprechendes Vokabular erraten. Eine unordentliche, vielleicht lediglich mit Froschbutter korrigierte Frisur ist eine Mecke und weil die Herfahrt eben über die Dörfer ging, waren das alles Klitschen. So ergibt sich zum Beispiel folgender Satz, den kein westdeutscher Exilpolitiker versteht: Ohne Mecke in der Schmette durch die Klitschen (kann mit vielerlei Vokalbetrieb fortgesetzt werden, nur zu).

 

Die folgenden Stunden prägen diesen Ausruf: Aber sowas von! Es ist der 24. September des Jahres 2016. Noch nie, zu keiner Zeit und überhaupt fand auf deutschem Boden ein Bulbash-Wodkafest statt. Weder im Mittelalter, noch im kalten oder warmen Krieg, schon gar nicht in Sachsen, oder meinetwegen in Thüringen. Fürst und Fürstin Fedja mixen Wodka-Cocktails, alle müssen probiert werden und nach wenigen Gläsern ist das aber sowas von lecker. Pichelstein ist glatt ein wenig benommen, zumal draußen weiterhin ein Ableger des Indian Summer vorherrscht und der zum Schnaps gereichte Apfelkuchen nicht unbedingt eine sattelfeste Grundlage bildet. Dennoch will die Bühne aufgebaut werden. Noch ein Nipperchen am Glase - der doctoreske Soundcheck gelingt umso hechttoller.

 

 

Am Eingang des Kulturgutes Quellenhof stehen 24 mit Herbstlaub bekleidete Schnapsmädchen Spalier und kredenzen den ankommenden Gästen Begrüßungsdrinks. Besonders die Sektion Berlin-Brandenburg freut’s aber sowas von und Doctor Pichelstein sieht mehrdimensional. Denn eigentlich sind es nur zwei Schnapsmädchen (leicht bekleidet stimmt aber). Gläser scheppern, Kühe muhen, Schüsse hallen durch den Abend, denn es ist Wildjagd in Garbisdorf. Winters will man schließlich Schwein haben. Ein Großraumzelt wird aufgebaut, ein braver, wurstverliebter Hütehund bewacht die Szenerie. Willkommen in Belarus bei Göpfersdorf, wo der Kranichschrei über den dunklen Augen des Sees hinter der Scheune flehentlich zu Herzen geht, wo der Moment größer als man selbst ist. Wirklich schade nur, dass es die Störche bereits gen Süden zog. Denn der Storch ist das Heiligentier des Weißrussen. Nicht weil er die lauten Frösche frisst, sondern weil er bei Ankunft den Frühling verheißt und die Unbilden des Winters vergessen lässt. Frühling wiederum bedeutet: draußen sein, Spieße aufs Feuer legen, König Bulbash mit stiller Würde, ohne Ausflüchte in Zügen und auf Bänken genießen.

 

 

Über den weiteren Verlauf des Abends soll nur marginal berichtet werden. Lassen wir die Bilder für sich sprechen. Und mögen all jene jetzt ganz neidisch sein, die nicht kommen konnten. Ihr habt grandiose Pratajev-Huldigungen, allerlei Beifallsorgien für den Schlager-Act „Die Ketten der Gefühle – A Tribute to Conny Cocker“, eine schnapsgeschwängerte Tombola (Loseziehung mit augenverbundenem Schnapsmädchen, immer gewann die Pratajev-Sektion Boehlen), einen russischen Hexenfilm der Baba Jaga-Reihe, präsentiert von den LandCineasten, verpasst. Weiterhin ist euch nicht geläufig, was es mit dem Fruktizismus, einer verblüffend neuen Kunstrichtung, auf sich hat. Herrlich! Mit Weitblick vorgetragen von Makarios himself. Die Doctoren spielten ihre neue CD „Manchmal wenn der Durst kommt“ auf Hochtouren vor, sogar Stargast Miss Fedja sang nach Zufuhr einiger Mutmacher „Wodka Wodka Woditschka“. Bis nach Königshain-Wiederau drang die beseelte Ode an Volkes Ohr. Dann war da noch diese in allen Belangen bestechend schöne Bauernoper Prumskis. Pichelstein in „La Datscha: Lasst Dalmatov friedlich schlafen." Bolschoi Spasiba für dieses geniale Tänzchen in Garbisdorf. Die Wandlungsfähigkeit aller Akteure, aller Gäste war beeindruckend und keineswegs nur dem auserlesenen Wodka-Buffet geschuldet.

 

 

Danke an Klaus Hiller (LandCineasten), Claudia Weingart (Fotos), Bulbash (Minsk, gleich hinter der neuen Eisarena), der Sonne, dem Wirt am Grill und in der Unterkunft. Vor allem verneigen sich die Doctoren vorm Wodkartell mitsamt Generaldirektor Fürst Fedja. Eines Tages sollte folgendes in den Geschichtsbüchern stehen, die Mutter wird es zum Einschlafen dem Kinde vortragen: „Es war der 24. September 2016. Eine ziemlich wirre Zeit, der Aufstand der Dummen im Land war kaum mehr zu ertragen. Aber das war gar nicht entscheidend, denn an jenem Tag fand das erste Bulbash-Wodkafest statt. Die Menschen kamen, sahen, staunten, tranken und jeder ging mit mindestens einer Flasche glücklich nach Hause. Aber sowas von!“