Caca de Luna (427)

 

Das frei nach Michael Ende noch nicht geschriebene Corona-Buch „Die unendliche Geschichte II“ hatte man sich wahrlich anders vorgestellt. Darin enthalten: Blacky the Brain-Verschwörungsheinis. By the way, DAS wisst Ihr noch nicht: In „Umschnalldildo“ verbirgt sich das Wort „Aldi“. Stolz wie ein Meerschwein, das ins Heu geschissen hat, kann man das frank und frei verkünden. Merke (ohne l und muss und weg): zu Aldi besser nicht mehr hingehen, sonst Stress am Bananenregal.

 

Schön und gut. Nach fast sieben konzertlosen Monaten benötigte Doctor Pichelstein eine Ganztagesprobe, um sich auf alle Eventualitäten abseits der Setlist einzuschießen. Man weiß ja nie. Nachher ruft jemand im Zugabenblock: „Der edle Mann“ oder „Pferdelunge“ und dann wird der Blick ins Uhrwerk schweinisch. So eine Probe muss selbstverständlich unter Konzertbedingungen über die Bühne gehen. Also gilt es, sich nach jedem Liedblock einen Bulbash reinzuschallern, um ja nicht der Tyrannei der Selbstoptimierung zum Opfer zu fallen. Zu wissen, wo die Finger auf der Erlenholzgitarre wann und vor allem warum hinmüssen, reicht völlig aus. Dazu ein Mantra: Wer schneller probt, ist eher fertig, und freut sich wie Bolle aufs Konzert in der Stallwache. Auch wenn nur eine begrenzte Zuschauermenge hineindarf, wir haben ja immer noch Corona an den Hacken. Geimpfte Doctoren hin oder her.

 

 

 

Die Stallwache ist im Leipziger Westen, in Plagwitz verortet. Genauer im Westwerk an der Karl-Heine-Straße. Kein Blaulichtmillieu wie in Connewitz, ein reiner Ausgehbrennpunkt, eine Wiege sanfter Sorglosigkeit. Alles drin: verfilzte, tiefenentspannte Trommler (Karma is a bitch), Insta-Krawallbarbies, prokrastinierende Studenten, die dem IKEA-Holzspiel Kubb (mit Glasflaschen umfunktioniert) nachgehen. Verdorbene Jugendliche mit Rapkacke aus Computerloops in den Ohren; wer müde wird, schläft auf dem Rinnstein und wird vom Cordhosensaurus (aka: Flaschensammler) geweckt. Verhuschte, schöne, liebe, tolle, wundersame Menschen, auch die. Und solche, die gerne einmal „Caca de Luna“ probieren würden. Das ist leider keine Droge, sondern eine in Mexiko sehr beliebte Pilz-Spezialität, die in unseren Gefilden auf Rindenmulch als schleimige „Gelbe Lohblüte“ durchs Hochbeet zu wandern vermag. Übersetzt bedeutet „Caca de Luna“ Mondkacke.

 

In Schweinfurt gibt es das (außer Mondkacke) alles nicht, wie den Docs später am Abend vom am weitesten angereisten Tross berichtet werden wird. Vorweggenommen: ein großes Wiedersehen, ein Fest, das einmal mehr verdeutlicht: in der fränkischen Wein- und Schäufelegegend weiß man: große Tugenden gehen mit noch größeren Lastern einher. Und sind sie lecker und sie sind schwer, dann heilen sie jedes Leid umso mehr.

 

 

 

Von derlei Gedanken noch weit entfernt baut Pichelstein die Bühne auf, Makarios übernimmt den Soundcheck, Stallwachen-Imperator Fürst Fedja befüllt Wodka-Gläser für die ca. 30 geladenen Gäste. Im Eintrittspreis enthalten: ein schöner Rausch aus feschen Flaschen. Dazu ein paar Cocktails aus der Schmo-Kredenzeri. Schon fallen alle Hemmungen, sofern jemals welche da waren. Brandenburger reiten ein, Chemnitzer, Lichtensteiner, Dresdner, Leipziger … die meisten hat man mindestens sieben Monate nicht mehr gesehen. Und da die Inzidenzen es jetzt samt Impfsport zulassen, darf sich wieder fleißig umarmt werden.

 

Gespielt wird heute in mehreren Blöcken, Weltpremieren tummeln sich im Set. Solche, die unter normalen Umständen längst auf Platte erschienen wären. Doch da auch die Party zum frisch eingespielten Werk „Die Schönen und die Bösen“ geschoben wurde, muss die Veröffentlichung noch ein wenig warten.

 

Alles beginnt mit dem „Faulen“ und endet zunächst mit „Fürchte dich nicht vor der Flasche“, „Männer die am Feldrand stehen“ sowie dem Sieger des nächsten Frisör-Song Contests „Kamm aus Horn.“  Die Schnapsbar wartet auf trockene Kehlen, Küsse, Komplimente. Freudig festgequatscht geht’s wenige Viertelstunden später weiter mit der ersten Hitrunde eines erneuten Kurzhosenkonzerts. Pichelstein lässt den Gitarren-Pitbull von der Leine, Makarios holt ihn mit dunkler Dichterstimme locker ein. Das Momentum bricht sich freie Bahn. Geniestreiche, fröhliche Versinger folgen, während alles tanzt, singt, Holzlöffel schwingt. Sogar Nudeln, Biber, Hennen und Katzen sind am Start. Nur keine Ratten. Die haben vermutlich Impf-Laborarbeit zu tun.  

 


 

Nach weiteren Pausen, Premieren und Schnäpsen, die dank Fürst Fedja unermüdlich zur Bühne schlabbern, soll es reichen, doch nein. Zugabewünsche werden durch die Stallwache gerufen. Glücklicherweise probte Doctor Pichelstein zuvor eben ganztags und schüttelt die Fettfrösche nur so aus dem Handtuch. Bis es kommt, das Eis, das nicht im Cocktail liegt. Das Eis, das bis ins Elbtal tönt. Das Eis, das immer knapper wird. Mit Gold aufgewogen und geschmolzen.

 

„Als das Eis kam so plötzlich“ … und so plötzlich ist das langersehnte erste Konzert nach dem zweiten, dritten Rockdown vorbei. Was noch bleibt, ist eine lange Nacht mit Caca de Luna am Himmel und vielleicht auch im Tomatenbeet.

 

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Fotodank an die Reisegruppe Karl-Marx-Stadt und Miss Amanda Ginger.