Die stärkste Währung überhaupt (446)

 

Westlich des Leipziger Zentrums ist das Kolonnadenviertel beheimatet. Bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lag die „Kolle“ vor den Toren der Stadt und diente der Erholung gut betuchter Bürger. Heute hat man die allesamt (mit ihren noch nicht von Meteoriten getroffenen Dinosaurier-SUVs) Richtung Markkleeberg oder ins bessere Leutzsch verfrachtet. So ist Platz für eine alternative Künstlerszene mit Rundum-Inspiration, die sich nicht freiwillig durch Heidi Klum-Formate demütigen lässt.

 

Wichtige Örtlichkeiten sind das Schauspiel Leipzig, die Stargayte Sauna mit ihren bunten Themenabenden, Kabinen, Labyrinths und Pain-Porn-Cockholes. Addiert durch die Hochschule für Musik und Theater (Felix Mendelssohn Bartholdy), einige Candle Light Döner und natürlich die Kneipenbar Stoned, erkennbar am Astra-Schild, welches der Kolonnadenstraße ein besonderes Flair verleiht.

 

 

 

Hierher lud Claudia (aka Nessy), Pratajev-Komplizin der ersten Stunden, zum vierten Nuller-Geburtstag. Unwissend darüber, dass die Docs auch kommen. Verraten hatte man es ihr nicht. Umso größer ist die Freude, als Makarios und Pichelstein wie zwei schwarze Blitze aus der silbrigen Auto-Torte steigen und wenig später bei kalten Getränken am Tresen stehen.

 

Es ist ein ehrwürdiger Tresen, einer aus Holz, einer, der Geschichten schrieb; jede Faser geprägt von Erinnerungen der letzten knapp 20 Jahre.

 

Draußen stolpert eine testosterongeschwängerte Gröhlhorde mit Streuhaar auf den Platten vorbei. Vermutung: Straff seit Donnerstag (Männertag), Orientierung vollkommen eingebüßt. Eigentlich wollte man hinter Wolfenbüttel rechts abbiegen. Nicht, dass die Reise noch versehentlich im Whirlpool der Stargayte Sauna endet! Drinnen wird die Bühne aufgebaut. Die Boxen, die Backline. Es gibt auch ein Mischpult, verborgen in einem Tablet, das sich mit einigem Geschick überlisten lässt und schlussendlich für edlen Sound sorgt.

 

 

 

Nach dem Soundcheck wird gerechte Pizza vertilgt, Gäste treffen ein, und noch ehe sich der Nachtvorhang senkt, gleicht das Stoned einem herrlichen Tabula Rasa-Rummel. Ein erstes Tablett Pfefferminzschnaps ist rasch geleert; Zeichen und Anlass genug, den weltweit schnellsten, akustischen Klangkörper auf Touren zu bringen. Denn „Hier sind sie, The Russian Doctors.“

 

Wie ein Hockey-Goalie, der Eiswürfel pinkelt, legt Pichelstein los. Makarios beschwört Pratajevs fatalistische Ader, lädt ein zum Ritt Richtung Schnapsbar. Die Gästeschar legt alle Plaudertaschen in die Ecke und klinkt sich ein. Herrlich! Auch die Wodka-Pipeline zur Bühne steht, nennen wir sie Pratajev-Stream-Pi.

 

Nach durchschwitzter Stunde darf gepaust werden, Claudia (aka Nessy) gibt Zugabewünsche durch, jeder einzelne mag später zum Vortrag kommen. Schlag Mitternacht wird sie geherzt, als gäbe es kein Morgen. Und umarmt, denn Umarmungen sind in Zeiten wie diesen die stärkste Währung überhaupt.