Vodka Viagra und Vodka Globuli (451)

 

Ein Sonnensamstagnachmittag in Leipzig-Plagwitz. Vorm Upart-Büro in der Merseburger Straße wird Tourgolf-Tetris gespielt. Neuboxer und (deformierter) Seilspringer Frank „The Tank“ Förster ist mit von der Partie. Da muss alles seinen Platz finden. Makarios wird beglückwünscht, ist er doch eben erst zum dritten Mal Opa geworden - womit der Kollege Bruce Springsteen bereits zweimal überrundet wurde. Dennoch: kein Grund für Teilzeitanträge. 

 

So geht’s über die Karl-Heine Richtung Deep Connewitz, genauer ins Pfeffinger-Areal, wo der Kleingartenverein Waldidyll beheimatet ist. Darf doch heute zu Ehren Wurschtels, zu Ehren Anjas auf dem Gelände gespielt werden, das sich – oh Wunder – in eine wahre Privatpartyklinik verwandelt hat.

 

 

 

Davon wissen die Docs erst, als sie ankommen. Zuvor gilt es für Doctor Pichelstein schimpfnüchtern Tour de France-Nachahmern und anderen (weniger sportlichen) Alternativen auszuweichen, abzubremsen und am Leben zu lassen. Der eiserne Wille den Mitmenschen auf den Sack zu gehen, klappt besonders gut im Straßenverkehr. 

 

Am Arsch vorbei ist auch ein Weg. Die Rennraddichte sinkt, das 1928 erstmals vollendete Vereinsheim ist erreicht. Zur Gründungszeit 1897 waren die Flanken der Anlage von grünem Gehölz umgeben. Heute steht Wohnraum da, das Waldidyll geriet zur Insel im Beton. Eine große Herrlichkeit; Pratajevs Gärtner hätte seine wahre Freude dran gehabt. Ein Foto aus dem Weltraum, um die Bedeutungslosigkeit des Seins zu verstärken, wäre jetzt genau richtig.

 

 

Dem Doc-Tross wird die Backline nach großem Hallo bis hin zur Bühne getragen. Bandhaus-Mixgott und Technikpapst René wälzt daneben Arzt-Groschenromane und verkündet wohlig brummend: „Anlage steht, Soundcheck kann starten.“ Ja, so wünscht man sich das. Und einen Bisonvodka, damit man nicht ins Gras beißt. Wohl bekommt’s.

 

Herr Professor Eulenaugenbraue Wurschtel und Frau Puppendoktor Anja Pille müssen zu einer Motto-Party aufgerufen haben. Während des kurzen Soundtests stromern immer mehr Ärzte mit lockeren Rezeptbüchern, OP-besudelte Schwestern und Pfleger, Götter in Weiß, in Blau und Rot Richtung Innenhof.

 

„Fump fump fump“ tönt er, der Sound an der Flaschenbar. Nichts wirkt gegen Hitzeblase und Sommersonne mehr als gute Kaltgetränke. Mit Spritzen und Kathetern sind Mikroständer verziert, in den Fenstern hängen Röntgenbilder, Notfallpfefferminzmedizin steht bereit. Fehlt nur noch Vodka Viagra, aber der fällt ja in den Bereich der Palliativmedizin für Porsche Prostata-Halunken. Schon balgt sich das Medizinervolk am Fünfmeter-Buffet.

 

„Fine dining“, wie man abgehoben zu sagen pflegt. Ist das lecker! Auf dem eigentlich 450. Konzert der Docs. Doch uneigentlich findet selbiges im September, in Dresden, statt. Heute steht die vorgezogene Nummer 451 auf dem Staffelstab. Nicht wundern, das gab es schon ein paar Mal in der Tourbuch-Galerie. 

 

 

 

Nach kurzer Ansage geht’s los mit der Bühnenarbeit. Pausenlos durch die Nacht, ohne Beatmungsgerät, bei bester Bewirtung. Folgende Weisheit gilt heute und immer: Alle 11 Minuten vergisst ein Musiker, dass er vor 11 Minuten einen schulmedizinisch wertvollen Schnaps getrunken hat. Es sei denn, man reichte ihm Vodka Globuli (100 Prozent Wasser, Glaube verleiht Flügel). Da hält der Wind den Atem an!

 

Wie bei jedem Konzert gilt: Im Absurden kommt man mit der Wahrheit bei Pratajev am nächsten; das Gros der Anwesenden gehört zur Kategorie Fortgeschrittene, es wird mitgesungen, getanzt. Pichelstein verfehlt erst einen Gitarrenschnellrekord, knackt ihn - nach eisenharten Bergwertung - aber doch. Makarios wirft eine Hit-Fackel nach der anderen, der Katzen-Chor übertrifft den Bücken-Mitgesang. Erstmals überhaupt kommt dem „Faulen“ eine Refrain-Kantorei zugute. Vieles mehr geschieht, was auf jeden Fall in der ersten, zweiten, dritten Schnapsbar mündet. Zugaben, Zugaben, Zugaben bis es im Löcherstrumpf fettfroscht und die nach zwei Konzertstunden mittlerweile verdunkelte Szene der Brachialromantik zuzuordnen ist.

 

 

 

Zwei recht müde, vollkommen nassgeschwitzte Pratajev-Krieger verlassen winkend die Bühne. Pichelstein überlegt, ob er sich jetzt anstandslos mit Lakritzschnecken an eine ventilatorumgebene Liebesschaukel fesseln ließe oder doch nicht. „Fump fump fump“ tönt er immer noch, der Sound an der Flaschenbar. Den DJs gehört der Rest vom Fest, angeschickert wanken sie herbei. Danke liebe Anja, danke lieber Wurschtel!