Braungebrannt und unrasiert wird in Pirna einmarschiert (453)

 

Der Innbegriff von Holy Shit sind nach wie vor Staus. Auf der Hinfahrt zur Pirna-Hofnacht krümeln sich die Docs noch gut gelitten dran vorbei. Vorausgeschickt wollen wir von der umwegigen Rückfahrt am Sonntag gar nicht reden. Nur vielleicht davon, dass Struppen schöne, primär bergige Ecken hat. Eine Gemarkung, in der sogar die Doctors schon spielten und sich seinerzeit bereits verirrten. Lost Doctors in Struppen! Die über ellenlange Serpentinen-Pfade ins tschechische Travel Free-Paradies finden werden, sich eindecken, um anschließend die A4 und 14 großräumig zu meiden. Auf Buckelpisten, für die eigentlich ein Waldarbeiter-Fahrzeug vonnöten ist.

 

Ausgepackt wird in der Langen Straße 36, beim Melek Ulf, den es bald ins gelobte Land zieht. Da wollen wir mal schauen, ob sich abhängig oder unabhängig davon weitere Auftritte innerhalb dieses heiligen Pralinenschachtel-Rahmens realisieren lassen. Klar, Pralinenschachtel. Nie weiß man, was drin ist, was einen erwartet. Wer am nächsten Tag auf Krücken geht, mit Babyschnuller im Mund geweckt wird oder wer versehentlich betörende Keksmischungen intus hat, all das. Nachzulesen in vorvergangenen Tourbüchern der Russian Docs. Die Sage von der berühmten Lücke im Lebenslauf nach einem Pirna-Ausflug stammt nicht von ungefähr.   

 

 

 

Bereits bei Abreise lautete das von Mittagsschläfer Makarios ausgerufene Korpsgeistmotto: „Braungebrannt und unrasiert wird in Pirna einmarschiert.“ Gesagt, getan, alle begrüßt, geherzt, umarmt. Nach kurzweiligem Soundcheck, Technik-Doctor Füß sei Dank, lässt sich die Thekencrew nicht lumpen und reicht Kaltgetränke. Eines nach dem anderen; der Sommer zeigt sich von seiner besten Seite, blitzt-donnert-regnet nicht, der Durst hält ungebrochen an. Für Sachsens Wälder, für die Menschen.

 

Noch während Ulf koschere Soljanka überm Feuer zubereitet, füllt sich der Hof Lange Straße 36 mit großem Hallo. Die ersten Pratajev-Getreuen – erkennbar an klassischer Doctors-Garderobe – trudeln ein. Flugs wird der Preis für die weiteste Anreise nach Franken vergeben und ehe man sich versieht, platzt das Oval aus allen Nähten. Wie wunderbar! So! Ja! Und dass es eine besondere Ehre ist, von den Pirna-Gastgebern des letzten Wochenendes eine Kaffeebecher-Docs-Edition überreicht zu bekommen, setzt dem Treiben goldene Krönchen auf. Dankeschön, Ihr Lieben.

 

  

 

Sollte der erste Konzertteil eigentlich um halb neun beginnen, wird jetzt vorgezogen. Auf zum hochpoetischem Bühnensound unterm Birkenbaum, der beschnitten wird, damit Pratajevs Erben nicht hinterrücks von Ästen gepeitscht werden. Noch picobello die Aufziehpuppenmusikkonserve killen, dann hält der Wind den Atem an.  

 

Pichelsteins Flipperfinger rasen sogleich in bester Leichtigkeit übers Erlenholz, Makarios voluminöse Dunkelstimme versprüht Dramatik, Esprit - und alle, wie sie da sind, werden als Gefolge mit auf eine bald 1,5-stündige erste Doctors-Reise mitgenommen. Es gibt kein Entkommen. Weder beim „Lob des Schweines“ noch beim „Starken“, erst recht nicht bei „Wodka Wodka“.

 

 

 

Schnapslieder, so viel ist sicher, sind Balsam für die Ohren. Man möchte spontan innehalten und über das Leben sinnieren. Ach, wie ist das schön heute. So ein Tag ist das, sehr rührend, die Welt ein bisschen besser zu machen.  

 

Auch das blühendste Bühnenleben muss nach der „Heilung“ Energie tanken. Auf zur Schnapsbar, bloß ist der Weg dahin mit lauter Leibern verstellt. Also werden später Drinks gereicht, Pichelstein der Bulbash beim Spielen in den trockenen Schlund gekippt.

 

Da sind wir schon längst im zweiten Set, eröffnet mit dem „Rotarmisten“, von einer „Harten Wirtin“ regiert (inkl. Zauberrekord Doctor Speedy Pichelstein), von der „Zarten“, einer wahren Königin in der Pratajev-Poesie, veredelt. Lichter werden justiert, es dunkelt bereits. Angetrieben von Doctor Makarios wird mitgesungen, was das Zeug hält. Mit jedem Lied wird’s schöner. Erst der Katzen-, dann der Rattenchor, und da der „Biber“ heute in der Swing-Version gespielt wird, kann auch hier jeder beitragen.

 


 

Nach weiteren 1,5 Stunden der Ausuferung wünscht sich mancher Pratajev-Recke in kühle Tropfsteinhöhlen hinein. Es folgt der dritte Konzertblock, prall gefüllt mit Zugaben und Sonderwünschen. Natürlich kommt in Pirna „Als das Eis kam“ vor, dürfen der „Edle Mann“ und der „Raucher von Bolwerkow“ nicht fehlen. Auch nicht die „Löcher im Strumpf“ oder was noch alles.

 

Die letzte Schnapsbar ist schließlich ein Walzer und dann muss es gut sein für heute. Kaltgetränke schmecken, am Merchstand werden Platten und Bücher signiert, Pichelstein baut mit letzter Kraft die Bühne ab, schwankt treppab, pustet treppauf. Ende der Geschichte. Ein Doctor nach dem anderen gleitet ins Turmzimmerbett und fürchtet weder Tod noch Teufel.