Habt Ihr ein Doppelzimmer? (480)

 

Ein Hochsommerfinale bei 32 Grad, rund um den Brocken im Naturschutzgebiet Harz brennt es. Auf geht’s zur neuerlichen Mission Magdeburg. Natürlich ins Bluenote. Wo das Beste für selbstverständlich erachtet wird, die harte Buffet-Göttin (aka Wirtin) Jule heißt, wo Gemütlichkeit, beste Drinks und ein schöner Sound jedes Konzert veredeln. Nice! Oder wie der Musiker im Stile wahrlicher Anglizismen orakelt: Noise!

 

Zuletzt gastierten die Docs drei Monate nach dem 2. Corona-Lockdown an selber Stelle. Schon damals lockte Carstens (nachgefeierter) Geburtstag den Pratajev-Tross zum wandbeschmierten Lessingplatz. Heute ist es genauso. Nur, dass der Ehrentag diesmal passgenauer stattfinden darf. In schöner Gegend, die vom architektonischen Brutalismus-Style weniger geprägt ist. 

 

Lauter gute Dinge geschehen. Kein Stau auf der A14, keiner im Herzen Stadtfelds. Bei Ankunft der Docs gegen 17:30 Uhr sind noch genau zwei Parkplätze am Bluenote frei. Rasch keiner mehr, was die Frage: „Fahren wir vorm Konzert noch zum Hotel-Check-in?“ ad absurdum führt.

 

Sicher geparkt ist halb gewonnen. Außerdem liegt das Best Western Hotel Geheimer Rat (zurückzuführen auf Goethe, einst Weimarer Staatsminister, ergo Geheimrat) nur 11 Minuten Fußweg entfernt. „Um die Ecke“, wie der Berliner räsonieren würde, liegt es glücklicherweise nicht. Denn mit „um die Ecke“ ist in der Hauptstadt immerzu ein mehrstündiger Marsch mit sehr vielen ungeplanten Ausruhstopps gemeint. Schon oft und leidlich erlebt. Irgendwo am Horizont muss sie immer sein, die Berliner Unterkunft. Oder dahinter.

 

 

 

Der Bluenote-Soundcheck ist ein Gedicht für die Hooligans pratajevscher Inbrunst. Zugegeben, ein schweißtreibendes. Carsten und Pichelstein wuchten die Bühne zurecht, Kaltgetränke fließen. Kaum ist das Glas halbleer, steht stante pede ein volles daneben. Man kann einfach nur ehrfürchtig Danke sagen und das andauernd. Im Check gibt’s wie eh und je zuletzt kaum gespielte Lieder. Damit sie halt nicht in Vergessenheit geraten. Von „Mich wundert gar nichts mehr“ bis zum „Gelben Fettfrosch“.

 

Zufriedenheit obsiegt, rasch raus in den Windhauch, denn der Wind bringt Grillaroma mit sich und der beste Tierfreund ist bekanntlich ein guter Grillmeister. Unter den Klängen der unplugged-Vorband lädt er zu sich ein, belädt das Buffet, das gastvolle Bluenote schnuppert Glück. Hier ist jeder gern vom Stamme Nimm. Jules Salate sind mystisch. Das dazu gereichte Radieschenblätter-Pesto hat es den Docs besonders angetan, sie betteln nach dem Rezept. Merke: Das süße Leben verlangt mehr als einen Schuss Maggi Würze auf schlecht schimmelndem Industriebrot.

 

 

 

Einige eh dem Spätsommertod geweihte Wespen werden liquidiert, ertränkt. Gut so, denn mit Stichen an Händen lässt sich ungleich schwerer Gitarre spielen. Der leicht übersättigte Doctor Pichelstein will gut beschützt sein.             

 

Flink wie zehn Stichlinge legt er wenig später los. „Da hält der Wind den Atem an!“ Wie vor drei Jahren wird die Tanzfläche zum leichten Jubelgeläuf, führt Doctor Makarios durchs Landleben Pratajevs. Augenblicklich müssen die Gläser bei „Wodka Wodka“ und „Jeder Schluck“ nachbegossen werden. Runde um Runde schwitzen die Docs gereichte Handtücher voll, fangen nicht unbedingt isotonische Kaltgetränke den Flüssigkeitsverlust wieder auf.         

 

 

 

Viele Gitarristen sehen im zoologisch anmutenden Minenspiel stets so aus, als wären sie gerade beim Zwiebeln schneiden. Extremsportler Pichelstein kann darüber nur lächeln und funkelt lieber aus den Augen. Da können alle Sterne einpacken. Besonders im Fetisch-Block, beim Howie-Bücken, beim „Baffen“, bei der „Harten Wirtin“. Obschon die nächste Zündstufe im Schnellgitarrespielen heute temperaturbedingt ausfallen muss.

 

Schnapsbar Nummer 1. Und wie wir alle wissen, ist 1 eine einsame Zahl, die nach Addition verlangt.   

 

Sagen wir es mit Groschenromanworten: Ehe man sich versieht, ist die erste Konzertstunde nur noch eine schöne Erinnerung. Schmetterlinge der Nacht umschwärmen Laternen, honorige Doctoren gleiten mürbe in prächtige Außenstuhle hinein. Neugierige, gerne radfahrende (keine E-Bikes!) Schwesternschülerinnen stellen beiläufige, nicht uninteressante Fragen. Eine lautet: „Habt Ihr ein Doppelzimmer?“     

 

 

 

Nach vielerlei Antworten und zwanzig brandenburgischen Minuten geht’s weiter mit „Fürchte dich nicht vor der Flasche,“ überleitend zu Pratajevs Gefolge. Zum „Faulen“, zum „Wanderer“, dem „Satten“, dem „Gärtner“, dem „Käferzähler“ und wie sie alle heißen. Es folgt die Tiere-Runde unter Mitsinggarantie, geschlossen wird die Terrassentür (wegen der Nachbarn). Das Innenthermometer schwillt auf gefühlt 40 Grad an.

 

Unter großem Getöse retten sich tropfende Docs in den Zugabeblock und später tapfer, überschwänglich an die Schnapsbar. Im Gin liegt Tonic und vor allem sehr kaltes Eis. Bestens geeignet gegen Hitze und Schweiß. Danke, lieber Carsten, danke liebes Bluenote.

 

PS: Die Doctoren hatten kein Doppelzimmer

Fotos: Mina Sommer