The Russian Doctor (257)

Am folgenden Tag auf dem 22. Elbhangfest. Doktor Pichelstein verabschiedet seinen Sangesdoktor gen heimatlicher Genesung; Hendrik an der Grottenwirtschaft freut sich übers ganze Gesicht - ein ewiger Held des Kümmerns, stets mit allem zur Stelle, was gewünscht wird, sei es ein Barhocker oder ein kühles, sächsisches Bier. Im Soundcheck steckt gerechter Folk. Dann sitzen alle, Doktor Pichelstein beklebt wunde Gitarrenfinger mit Pflasterstreifen, versorgt aufgeschürftes Blasengewese mit Froschbuttertinktur und fragt sich insgeheim: Was war denn gestern schon wieder los? Seltsam, da nimmt man sich vor, wenigstens einmal im Leben eines russischen Doktors die Erlenholzgitarre sanft zu behandeln. Und nach zwei bis drei Stunden des Konzertierens ist alles ad absurdum geführt. Deshalb die Idee mit dem Barhocker. Außerdem plakatiert Dresdens Hochkultur gerade allerorten fürs baldige Reinhard Mey-Konzert. Der Kollege Mey sitzt meist auch immer; nie sah man ihn nach einem Auftritt blutend. Oder sich gar handkosmetisch verarzten lassend. Aber gut - Liedermacher spielen gemeinhin selten Schlagzeug mit oder besser: auf ihren Gitarren.

 

Die Pratajev-Freunde Großenhain, nachwuchs- wie zahlreich erschienen, bieten heute echte Kinderarbeit am Merchstand feil. In Großenhain ist das noch erlaubt – aber nur, wenn dadurch gewonnene Erlöse ins Karussellfahren reinvestiert werden. Anwesende Vertreter aus Karl-Marx-Stadt mögen dem zustimmen. Ob die Schwarzbrennerei Kaktus, heute vertreten durch den Geschäftsinhaber Gurt Kaktus Senior, bei der Herstellung des neusten Buschschnapses unter dem Etikett „The Flying Helga“ ebenfalls auf zarte Kinderhände (Früchte von hohen Bäumen pflücken, fußstampfen, Schnapsfassreinigen etc.) zurückgreift, bleibt ein Geheimnis. Sicher ist nur, dass ein Buschschnaps keineswegs an herkömmliche Gartengebüsche gemahnt, sondern eher an einen Akt, wie wir ihn täglich an quirligen FKK-Stränden erleben. Warum? Weil wieder mal die Rasierer alle waren oder die zumeist betagten Buschträgerinnen eben überzeugte Buschträgerinnen sind. Da hat ja keiner was dagegen.

 

 

Nun, am Ende des Folkbeitrages stöpselt sich Doktor Pichelstein in die Anlage zur Beschallung des Elbhangpublikums ein. Was wird gespielt, gesungen zugleich? Alles, was auf die Kürze der Vorbereitung zu finden war. Pratajevs Werke, im Liederbuch der Russian Doctors beschrieben, fein durcheinander gewürfelt. Mit einigen selten bis gar nie live gespielten Titeln. Oder haben die Russian Doctors jemals den Modern Doctors-Heimlichhit „Auf dem Kannapee ein Girl“ zu Gehör gebracht? Wie lange mag es her sein, dass „Ich könnte ja (Doch ich will es nicht)“ aufgeführt wurde? „Der edle Mann“? „Die Geburt“? Von völlig neuen Schätzen aus den vertonten Forschungsarchiven einmal abgesehen: „Schau mich nicht so an (Du weißt, ich bin besoffen)“ usw.

 

Die Sonne scheint mitunter heftig; kaum lässt sich die Gitarre ob des Lichteinfalls stimmlich, stetig in Form halten. Der Wind verweht manchen Text und doch ist der Nachmittag gelungen, sind knapp zwei Stunden solo ins Elbeland geflossen. Jetzt ein sehr kühles Bier. Tja, kommt so schnell nicht wieder, der eine Russian Doc live, dafür aber - und so muss es sein: Der Ruf mit dem unnachahmlichen Titel: „Und hier sind sie, THE RUSSIAN DOCTORS!“

 

Foto: Dirk Sins (vielen Dank!)

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