An der Molli (258)

 

Na, das wurde aber auch Zeit. Die längste Konzertpause in der ewigen Historie der Russian Doctors steht vorm Ende. Doc Makarios ist wieder auf den Beinen, Doc Pichelstein dennoch mal wieder grün im Gesicht. Die vorwöchentliche Kombination aus täglichem Broterwerb, gepaart mit nächtlicher Studioarbeit führt insgesamt zu einem Zustand körperlicher Intoleranz und Verweigerung. Ständig will der Gitarrendoktor schlafen und darf es nicht. Nirgends. Wenn doch, dann höchst wenig und wie die Tourerfahrung lehrt, wird sich das in den nächsten beiden Tagen nicht sonderlich anders anfühlen. Sei’s drum. Das Tourauto fährt durch alle Wetter Richtung Ostsee. Eben noch schien die Sonne, ermüdete Navigator Makarios, schon prasselt der Regen. „Mein Doktor, es regnet“, kommt es schlaftrunken vom Beifahrersitz. „Schon eine ganze Weile“, beklagt Pichelstein den Scheibenwischerschnelleinsatz. Kaffee muss her, viel davon, Stunden später wird bereits die Ostsee vor Heiligendamm abgeschritten. Genau hier wurde die Arcane-Story im letzten Jahr gedreht. Worte, welche die Sonne hervorlocken, denn ab sofort ist wieder Sommer.

 

Während am Tisch 9 der Stadtpension, mittlerweile in Bad Doberan angekommen, Pizzateller geleert werden, zieht es Wirt Gunnar auf einen Kurztrip nach Warnemünde. Freund Leiche, telefonisch erweckbar, vermittelte vorab den letzten Top-Rettungs-Deal des Tages, denn irgendwie fehlte die Anlage zur Beschallung des Publikums. In Tagen der Vielbeschäftigung klappt nicht jede Kommunikation, Gunnar sei Dank, Du bist ein Held. Unplugged spielen ist nämlich ganz schön anstrengend.

 

 

Und ja, die Mühe, die Wege lohnen sich. Ein letztes Mal für heute schnaubt die Molli-Bahn aus Kühlungsborn am Moritz-Pub vorbei; nachdem sie vor einer Weile bereits einen 75jährigen Rentner mit Vollbremsung vom Rad holte, wies sie gerechterweise zuletzt ein Touristenauto in die Schranken. Stahlkolosse mit viel Dampf drin haben eben Vorfahrt. Da denkt man, aha, statistisch betrachtet kann nicht mehr viel Elend kommen an einem 07. September. Doch weit gefehlt. Am Stadtrand von Bad Doberan ist nämlich Dorffest. Doch das mag noch nicht alles sein.

 

Die Bühne wird angerichtet; man schraubt sich durchs gelieferte Equipment, der Rostocker Fanclub hat längst die Vodkavorräte streng ins Visier genommen. Der Pub füllt sich; passend zum Ende des Soundchecks sacken beide Doktoren erschöpft in weiche Schnapsbarpolster. Die Rostocker füllen sich bisweilen auch, einer ganz besonders, mit langsamen Lächeln im Gesicht. Heißt: Die Vorfreude erreicht ihren Siedepunkt. Dann mal los, das Schnapsglas geleert, die Gitarre geschultert.

 

Und wieder ein Ach, wieder ein „Das wurde aber auch Zeit“; Doktor Pichelsteins Trägheit schwindet mit jedem Lied, Doktor Makarios verleiht sich tiefstimmig die Goldene Peitsche von Bad Doberan. Das Publikum ist verzückt, anders kann man es nicht beschreiben. Der Rostocker Block erweist sich als äußerst textsicher; selbst in der schwedischen Ecke wird mitgesummt. Pratajevs Periodikum in Text und Musik füllt den Raum mit Feuerwasser. Nach dem Powerbreak (wie die Werbepausen im Eishockey heißen) geht’s gleich weiter; taufrische Neustücke und Wiederentdeckungen der nächsten Platte gelangen zur Aufführung. Schnapsbar III, dann Zugabe, immer schneller und weiter. Jetzt bleiben wir mal stehen, denn draußen, auf der Verkehrsinsel liegt einer der Rostocker Vodkafreunde. Die SMH blinkt neben ihm; weder der Notarzt noch sein Rettungssanitäter lassen von dem jungen Mann ab. Die Wiederherausgabe, selbst gegen Pfand, wird streng abgelehnt. Nun, hoffen wir mal, dass späterhin alles gut ausging. So wie’s Konzert, das erste nach langer Pause. Gunnar schenkt Doctoren-Gläser voll, die Erben Pratajevs verneigen sich vorm Wirt und sagen Dank. Bis Morgen, zum Frühstück.