Im Autokorso der Eisbärenfans (275) Dynamo! (275)


Langsam erwachen die Gemüter; Doktor Makarios ist bereits ein wenig länger unterwegs an frischer Natur, als sich Fürst Fedja zur Ruh begibt. Doctor Pichelstein hilft mit einer Anti-Russensirup-Talcid-Kautablette aus. Ein erster Versuch, den Dingen des täglichen Lebens folgen zu können, misslingt kräftig. Also wieder hoch in die Kammer, Augen zu. Beim nächsten Aufstehversuch wird draußen bereits heftig am Frühstücksbuffet gewerkelt. Kalf, Chrissi, Guinnessoff, Winogradow, Makarios, Eademakow und all die Verbliebenen lassen den Abend noch einmal Revue passieren. Worte wie „Dreilochstute“ fallen - kaum einer kennt mehr den Zusammenhang. Warum Sätze wie „Du grinst ja wie ein Schwein“ fielen, wer kann’s rekapitulieren? Nur, dass Peter Richters Lampen wahrlich von großem Nutzen waren, als sich der Merchkoffer in völliger Dunkelheit öffnete, wird als gesicherte Erinnerung in die Annalen der Nacht eingehen. Und natürlich die Randbemerkung, im Haus habe es nächstens aus allen Ecken und Winkeln heraus geschnarcht, dass die Wände wackelten.

 

Einer der Gäste erhebt sich aus seinem schweren Liegewerk, spaziert vorbei am nach wie vor schwankenden Hund, biegt um die Plumskloecke. Deutlicher kann man nicht erbrechen. Darauf angesprochen, verschwindet er beleidigt unter den Worten: „Ich hab gar nicht gebrochen“ in eines der Autos. Es folgt: leckeres Rührei, viel Kaffee, noch ein Schläfchen. Herrlich ist’s, weil man hier ist, selbst Fürst Fedja erwacht nun. Guinnessoff fährt ihn zurück gen Lutherstadt, Heldentaten, so sehen sie aus. Wenig später brechen Winogradow und Eademakow auf in die Hauptstadt. In sechs Stunden startete das nächste Doctors-Konzert.

 

Die Zeit bis dahin scheint ausreichend. Makarios und Pichelstein, mittlerweile in Groß Köris, angekommen, dabei an wohl genährten Damen mit Hartz-4-Frisuren vorbeifahrend, gelüstet es nach Kuchen in der Sommerfrische. Im Hotelrestaurant „Zur Seeterrasse“ wird man fündig. Vorm Gebäck gibt’s Kartoffelsuppe, auf dem Wasser ramentern Enten, Seehühner und fischschnappende Raben.

 

„Mein Doktor, was ist eigentlich eine Hartz-4-Frisur?“
„Das ist eine mit vorne kurzen, hinten langen Haaren und einem Klecks Leuchtstofffarbe in der Mitte.“
„Aha. Eine Discokugelfrisur. “
„Mit einseitigem Bart.“
„Wenn man so will, ja.“
„Wie sagt eigentlich der Brandenburger: Gabi geht geradeaus in ihren Garten?“
Und so weiter und so fort….

 

Kellnerin Heike, braungebrannt wie drei wasserstoffblonde Chicken Wings nach dem Solariumbesuch, trägt ertüchtigende Getränke herbei. Fein macht sie das. Und los geht’s, zum Endspurt auf die Hauptstadt. Der Dunckerclub ist das Ziel. Die sich darin verortete „Schoenegeisterschau - Ein Abend mit Pratajev und The Russian Doctors“ ein probates Mittel, um den Sonntag ausklingen zu lassen.

 

Doch es dauert. Mehr als eine Stunde quält sich Doctor Pichelstein hinterm Steuer durch die Menschmaschine Berlin hindurch, stetig umsorgt vom Sozius Doctor Makarios. Die Cola ist lauwarm, die Sonne brennt gnadenlos durch völlig verdreckte Scheiben. Zäh wie Leder ruckelt der Verkehr. Was im Westteil, um den heutigen Aufsteiger Hertha BSC, geschieht (fanatischer Jubel um eine Fahrstuhltruppen-Fußballmannschaft mit dem Logo der Deutschen Bahn auf den Trikotagen), kennt im Ostteil dito keine Grenzen. Obschon die Sympathie für den frischgebackenen DEL-Meister Dynamo Berlin im Grunde groß ist, raubt das Mittendrin im Autokorso der Eisbärenfans wahrlich letzte Nerven.

 

Völlig ruiniert erreichen die tapferen Erben Pratajevs viel zu spät die Dunckerstraße. Veranstalter Hendrik, samt bezaubernder Katzendame Sandra, werden begrüßt. Das Maximum an Erleichterung ist erreicht und potzblitz! Es dauert nur fünf Minuten, bis ein Parkplatz gefunden ist! Fünf Minuten! In Berlin! Einen Parkplatz gefunden! Einen, von dem man nicht verschleppt werden kann! Da es im weiteren Verlauf, geschuldet der Schwächezustände des Gitarrendoctors, keine neuen Rekorde zu vermelden geben wird, bleibt dies der heutig einzige.

 

Claudia, Fotografin, Filmerin u.a. des letzten Die Art-Videos, schaut vorbei. Winogradow, Eademakow lassen sich frisch geduscht blicken. Welch Freude! Und was soll’s. Her mit dem bulgarischen Schnaps, selbstgebrannt. Reinigung muss sein, wenn schon nicht von außen, so denn wenigstens von innen. Pichelstein hebt den Becher. Leben wird es geben. Jesus! Und all das.

 

 

Die Bühne aufzubauen, auszuleuchten war vorab ein Akt der Verzweiflung. Jeder Schritt trug Bleifuß, nun ist es geschafft, füllt sich der Club, kann bald begonnen werden. Impressario Hendrik begrüßt die Gäste, Doctoren spielen, abwechselnd wird aus dem Haus aus Stein und aus neusten, ganz frisch entdeckten Werken Pratajevs gelesen. Dann wechselt der geneigte Impressario das Genre hin zum Forscher, trägt ebenfalls bei, ermittelt in Sachen Fetisch. Zum großen Abschlusskonzert stimmt auch endlich die Gitarre. Der zuvor verheerende Kampf mit dem Bodenstimmgerät geht eindeutig an Pichelstein. Lange nicht so geschwitzt. Weltpremiere feiert eine herzergreifende Ballade namens „Man weiß nicht wie es geht“. Schon bald in kleiner Raritätenserie, als CD immer dabei, solange der Vorrat reicht. Mit vielen bekannten wie unbekannten Risiken und Nachwirkungen. Anspieltipp: „Die Dünne“ in der Version Pi.

 

Schlussendlich: die Lichter, die Protagonisten des Abends strahlen, aller Hände Beifall tut unheimlich gut; das langsamste, dafür sicherlich herzergreifendste Konzert der gefühlt letzten drei Jahre nimmt ein Ende. Raus geht’s in die Schnapsecke zu Dr.h.c.mult. Mary Fiction, dem Bootsmann. Lange wird nicht mehr verweilt; ein Taxi rauscht heran und eine schöne Dreifach-Katzennacht, weich und gemütlich, wartet unweit von hier.