Stürzende Mädchen (284)


Die Zusammenführung der Doctors findet einmal mehr in der Langen Straße zu Pirna statt. Während Doctor Makarios reichlich geschwächt über die vorabendliche Konzertstation Chemiefabrik Dresden eintrifft, landet Doctor Pichelstein im Consigliere Ulf-Volvogefährt. Mit Raucherkippchenfenster und so ehrfürchtig alt, dass eine Umweltzonenplakette nicht mehr nötig ist. Fürst Fedja läuft noch auf runden Schuhen, Schlagwerker Shiva wringt’s T-Shirt aus. Was muss das für eine unartige Nacht gewesen sein. Der einzig Ausgeruhte ist Doctor Pichelstein und zwar weit und breit.

 

Geschlossen geht’s zur neuen Heimstatt der heutigen Festverantwortlichen. Babuschka Karo und der edle Ritter Ulf haben sich ordentlich ins Zeug gelegt; am Hofeingang gibt’s zur Begrüßung gleich mal Brot, Salz und Schnaps. Bewundernd schlingert sich der Pratajev-Tross durchs lichte Gemäuer. Neulich war’s noch die Elbe, doch die ist mittlerweile wieder dort, wo sie hingehört. Nach dem Sandmann Marsch ins Bettchen.

 

 

Techniker Füß in reinster Daseinsfreude weist beide Doctoren an der Anlage zur Beschallung des Freilichtpublikums ein, schon werden Koffer und Kisten geschleppt und noch bevor der Soundcheck Einzug hält, klärt Ritter Ulf über edle Getränkevorräte an geheimen Orten auf. Verkostung inklusive, während in der Küche letzte Großoffensiven getätigt werden.

 

Aufgetischt wird edelstes aus den Weiten Russlands. Die Balken biegen sich vor Leckereien, Suppen dampfen, Schaschlikis bevölkern den Grill. Dann der Soundcheck, gefolgt von ersten Juchzern, denn der erfahrene Russian-Doctors-Besucher weiß: Darin werden stets neue Stücke ausprobiert, respektive solche gespielt, die auf der Liederliste unter ferner liefen stehen. Es folgt die offizielle Eröffnung der Festivität. Der Applaus brandet, trefflichste Worte, gar ins Russische übersetzt, sind gesagt. Ran ans Buffet, an die Schwarzbierfässer. Bei Einbruch der Dunkelheit soll‘s starten, das Konzert.

 

Ersten Gästen ist bereits jetzt eine gewisse Vodka-Affinität nachzusagen, orchestriert von der Konserve Prumskibeat. Das Zeichen für die Erben Pratajevs, los geht’s vorm endlich einmal mitgebrachten Zaunbanner. Passend, Stück zwei: „An ihrem Garten“, denn er tobt recht rasch, der Garten. Tanzbeine werden geschwungen. Was einst in den Tourtagebüchern als „Pure Weimarer Wildheit“ die Goethe-Stadt veredelte, greift seit Jahr und Tag nunmehr in Pirna um sich. Es hopsen die Perlmuttknöpfe an den Blusen der Damen und Herren unterm Gitarrendonner des Doctor Pichelstein. Mal glockenhell, mal whiskeyrauchig veredelt schmettert Doctor Makarios russische Poesie in die Natur. Auf jeden Fall versehen mit der ein oder anderen einstudierten Ostrockpose. Und mittendrin, im ersten Konzertblock, wird der wandernde Kulturbeitrag beschenkt. Mit zwei handgeschnitzten Löffeln aus Birke. Huldvoll ergeht großer Dank an beide Festverantwortliche. Auf an die Schnapsbar und nicht ins Gestrüpp. So deutlich hätte man es rufen sollen, aber nun. Denn ins Gestrüpp dürfen nur Gestrüpperinnen. Die werden schließlich dafür bezahlt.

 

 

Irgendwann taucht Consigliere Ulf mitsamt eines nahezu orientierungslosen Die-Art-Schlagwerkers wieder auf. Im Steinbruch sei man gewesen, Selbstgebrannten habe man gefunden. Gefunden wird auch der erste Kompostproduzent; ein junger Mann, vor einem Eimer sitzend. Doctor Pichelstein, Meister seines Faches, fühlt den Puls und schreibt ein Rezept. Drauf steht die Pratajev-Weise „Das Idyll“, also: ..und hoffentlich muss ich nicht brechen, das könnte sich, wenn es die Mädchen sehen, ganz bitterböse rächen (…). Auf zur zweiten Runde.

 

Wie mit dem Selbstauslöser geknipst reihen sich Tierlieder ans ländliche Schaffen, brüllen die Kühe, fallen die Mädchen, starke Jungs helfen ihnen auf. Wildes Pirna, du liebe Güte! Was für ein Abend. Aus dem Wortschatz Sokrates (Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit) wird letzteres Refugium für Stunden gestrichen. Und da muss gar nicht mal der letzte Konzertton verklungen sein. Erschöpft sinken Doctoren in gegenseitige Arme, schlabbernd vor heißem Schweiße. Ein Ziel, den wartenden Gartentisch vor Augen. Was für ein herrlich rauschendes Fest, das noch lang nicht in den letzten Zügen liegt.