tour_tagebuch
Ärzte ohne Bremsen (367)
Auf nach Leipzig-Connewitz, wo Scheusale verboten sind, jeder Tag Wunder und Sensation zugleich sein darf. Die Doctoren fanden bereits eine Woche nach dem Abgesang auf Pichelsteins Portugal-Spanien-Vibrato wieder zusammen und was gemeinhin nie vorkommt: sie probten für den Open-Air-Ausflug ins Krausische! Lange und gerecht, Doctor Jeans gab den Takt vor. Denn von nun an gibt es Pratajevs Erben auch live in der Musikerfarbe HART. Wenn man schon justament eine Platte produziert, die dieses epische Label verdient, dann muss HART dafür gerungen, respektive geprobt werden. Qualitativ wertvoll. Mit unwirscher Quantität hat das nichts zu tun. Sonst könnte man auch gleich Banken mit Heißklebepistolen überfallen wollen.

Das Krausische, der Biergarten an der Frau Krause, über dem Sommers durstige Sonnen und Monde scheinen. Im letzten Jahr spielten die Rostocker Bulbash-Freunde Grüßaugust auf Empfehlung des Fürst Fedja hier (wir lieben sie auch unterm Sujet „Inchtabokatables“) und am 17. Juni 2017 sind die Doctors dran, The Russian Doctators, die Ärzte ohne Bremsen. Quartier wird nach Anlieferung der Backline zunächst in Thekennähe bezogen. Postkartenwolken ziehen vorbei, es ist heiß und noch bevor der Soundcheck erste Töne preisgibt, sind die Tische vollends besetzt. Spaziergänge werden nur noch unternommen, wenn die Gläser schreiend leer sind. Dann wuchtet das Schlagwerk des Doctor Jeans los, ramentert die pichelsteinige E-Gitarre, überwiegt die Baritonfreude in des Doctor Makarios‘ Stimme, schon ist der Check de Sound erledigt. Beifall gibt’s, der Outdoor-Rink füllt sich weiter. Brandenburger Herrenknuffs prasseln auf die Bühnenseligen hernieder: Die Pratajev-Sektion Teschendorf-Oranienburg gibt sich zu erkennen, rasch einen Vodka aus dem Bulbash-Fass dazu, bestenfalls gleich eine Runde, so spielt es sich hinterher wie von selbst. Den Doctators gefällt’s, der Begrüßungsreigen reißt gar nicht mehr ab. Schön. Die Schnitzelteller von eben sind nur noch nachhängende Gedanken. Alles ist leichter und gleich ist Showtime.
Schwerlich ist der Weg zur Bühne, links wie rechts lauern Gefahren aka volle Schnapsgläser, die Chefwirte sind sich einig: So voll war’s im Krause-Biergarten noch nie. Die erste Runde, noch akustisch: Makarios dirigiert all die Menschen mit pratajevumflortem Blick, mit Stimme und Ansage ins pralle russische Landleben hinein. Und da heute alles anders ist, gibt’s die „Ratte“ gleich dazu - als Plüschpendant gleich vorne rechts (von der Bühne aus betrachtet), oh und rudimentäre Holzlöffel werden dito gesichtet! Was braucht man mehr? Bulbash! Fürst Fedjas Schnapsanlage steht auf Durchzug und weil dem so ist, müssen die notleidenden Wirte heute hungern, die Spendendose bleibt im Verborgenem. Gescheppert wird indessen unterm Bühnenschirm, gejohlt, gelacht, gehelgabauert knapp davor. Marcel Pichelstein-Kittel im gedankengrünen Trikot gibt sich keine Blöße, der Weltrekord im Schnellakustikspielen (immerhin stehen wir kurz vor der Tour de France) liegt in der Luft. Angepeitscht vom immer wieder in die Flanke rennenden Schattenkämpfer Makarios (weshalb die Gitarre kurzzeitig ausfällt) wird er knapp verfehlt. So ein Pech. Und jetzt wird es HART.
Doctor Jeans nimmt Platz, die E-Gitarre sitzt, das Einspiel läuft. Ja - und nun verrät dieses Tourtagebuch mal gar nichts mehr über die nächste phänomenale Konzertstunde. Man muss sie erlebt haben und kann da nichts in Worte pressen. Lassen wir die Bilder wirken und erzählen noch knapp, wie der Abend rund ums Krausische endete: Mal überlegen. Irgendwann kamen die Taxen, denen man mit flackernden Blicken entgegenstrebte und da niemand als Eintagsfliege aus dem Ei schlüpfte, ging das Leben weiter.




100 Jahre (366)
Da in wenigen Wochen das Haus aus Stein Nummer 9 erscheint, wollen wir das 366. Tourtagebuch mal in ungereimter Gedichtform präsentieren. Wäre Pratajev am 13. Mai des Jahres 2017 am Schützenhaus Klotzsche in Dresden zugegen gewesen, er hätte es vermutlich nicht anders gemacht. So dann. Und die Bilder gesellen sich später noch dazu.
Es scheint eine Sonne so prächtig und hell
Durch die Fenster der Total-Tankstelle dringt sie
Auf Senf, auf Bockwürste prasseln Strahlen nieder
Fürst Fedja mit frisch rasierter Autotür sagt:
Das nächste Mal nehme ich einen Rollstuhlfahrer
Radfahrer hatte ich schon zwei
Und auch einen Fußgänger oder drei
Hansens Holz, lasst uns rauchen
Aus Bussen steigen Feierwehr-Leute
Sie sind betrunken und einer der Männer
Hat gleich beide Hüften schief
Ein grüner Damenrock geht vorbei
Ein Mäzen hängt am Rockzipfel
Anders herum wäre es Eishockey
Rein in die Schmette, rauf auf die Bahn
Sanftgolden neigt sich die Sonne schon
Schützenhaus Klotzsche!
Die Anlage steht bereits im Zelt
Rasch werden jüngste Geburtstagskinder geherzt
100 Jahre sind sie nun
Bulbash gibt es, eine gebrannte Doppel-CD von Manfred Krug
Nur zwei Beispiele
Mindestens 37 verschiedene Biersorten mal ausgenommen
Und all die Bücher mit dem Aufkleber „Für die Frau“
Nicht, dass da ein Mann drin liest
Nicht, dass da ein Mann noch niest
Jetzt reimt es sich doch, das Tourbuchgedicht
Wir enden jetzt nicht auf erpicht oder Gesicht
So Sachen könnte man machen
Gut jetzt, der Wirt wird taxiert
Er trägt stolz eine Flasche Dornfelder aus dem Haus
Fedja trinkt Sekt, Makarios nippt Sprudel mit was drin
Bogen sorgen für Hautabriebe und blaue Flecke
Pfeile zischen ins Ziel
Pichelsteins post-konzertale Wunde juckt
Man rät: Bulbash drauf
Nein, der wird getrunken, Fedja geht voran
Die harte Schützenhauswirtin spendiert sich Beifall
Und eröffnet das Buffet
Toast werden ausgebracht
Es schmeckt wunderbar, besticht in allen Belangen
Der Anfang wohlsortierter Nahrungspyramiden
So beginnt das Konzert knapp vor der Blauen Stunde
Niemand steht in der Ecke wie ein schlechter Geruch
Eine unauslöschliche Traube am Lagerfeuer
Es knackt, knistert, es fällt auch mal der Strom aus
Eine Herrlichkeit
Ein Schwingsport auf der Gitarre
Pratajev wird zum Psychogramm
Die Unbilden der Woche sind schneckenklein
Makarios reist durchs Land, durchs Leben
In büßergrauer Uniform ist niemand unterwegs
Aus dem Wald fragen die Feen:
Irgendwelche Wünsche?
Fedja trinkt noch keinen Pfeffi, kein Schwarzes mehr
Man strahlt sich an, Schnapslieder verlangen Gläser
Rundenweise rasen Doctoren durch die Nacht
Ein großes Weinglas flaniert umher
Howard Carpendale verliert eine Sandspur
Und bevor das vom Singvogel weiß getroffene Gefährt
Den Tross ins Hotel bewegt
Wird ein großer Dank gesungen, gesprochen, getrunken
Ende
PS:
Eine Weltpremiere gab es auch:
Tasche auf, Tasche zu
Und ein Frühstück der Helden
Von Helden, für Helden, in freier Natur
