Grand Prix de planetarium (294)


 Beschwerlich ist so ein Morgen, wenn es in Wahrheit bereits Mittag ist und natürlich gibt es um diese Zeit kein Hotel-Frühstück mehr. Drum auf zum Danny nach nebenan, Kaffee fassen an der Schnapsbar. Gerade eben ist die Putzkolonne durch. Zeit also, um sich in neuen Rekorden zu sonnen, die wir an dieser Stelle jedoch nicht wiedergeben können. Zu groß wäre die Angst der Wirte ums flüssige Equipment und wahrscheinlich würden die Doctoren dann in Zukunft nur noch mit unter Musikern so gefürchteten „Trinkwertmarken“ ausgestattet werden. Womit dann doch jetzt einiges verraten wurde. Aber wie dem auch sei. Unter leicht dissoziativen Zuständen setzt sich die Tour de Docteur, das Rennen um das goldene Schnapsglas, fort.

 

Zunächst lohnt es sich, die erzgebirgische Landschaft in Augenschein zu nehmen. Ein Stopp hier und da, Sonne umspielt alle Pisten, wie schön’s doch ist. Nur die Bewohner der gelobten Gegend rund um Gablenz trauen dem Frieden nicht. Drei schwarz gewandete Pratajevianer durchstreuen die Idylle. Das kann nur eine rumänische Enkeltrickbande sein. Auf zu Gerd und Bärbel, in den örtlichen Gasthof der Familie Hecht an Tischnummer 6. Hier wird gerade frei, die Draufsicht ins Aquarium ist eine Wonne. Es gibt Grufti-Fische und Popper in bunten Farben zu sehen. Der Knüller ist indes eine batteriebetriebene Muschel am Meeresgrund, die alle zwei Minuten aufklappt und für eine dicke Wasserblase sorgt. Jedes Mal gerät das Fischvolk darüber in blanke Panik. Tsunamis gehören ja auch grundsätzlich nicht zu den Erlebnissen, denen man gerne beiwohnen möchte. Sei es als Fisch oder als Wildgulasch oder als Ente.

 

 

Um der Traumatisierung des quirligen Flossenvolkes nicht etwa weitere Nahrung zu geben, werden letztgenannte Früchte des Stalles und der Felder im Hauptgang bestellt, verzehrt. Es schmeckt so, wie es in einer guten Spezialitätenküche schmecken soll, nämlich sehr gut und eigentlich müsste man jetzt ruhen. Doch nein, weiter geht’s mit der heutigen Etappe. Wollen wir sie mal „Grand Prix de planetarium“ nennen. Die Zielgerade befindet sich in Jena, in der Musikkneipe Alster. Ab dafür über die Autobahn gebuckelt, schnell noch neue Gitarrensaiten an der nächste Rasteroste aufgezogen. Ja, so kommt es einem vor: schnell. Doch in Wahrheit vergeht die Zeit sehr langsam, eigentlich gar nicht. Das muss den gestrigen Feierlichkeiten geschuldet sein. Entrüstet darüber wirft Fürst Fedja ein Zigarrenmäntelchen in den Wind. Der weitere Plan sieht Kaffee und Torte in Jena-Zentrum vor und er gelingt. Noch zwei Stunden bis jemand am Alster-Pub ist, gefühlt sind es zehn. Nebenan springen gerade Erlanger Krieger in schwarz-rosa-gold über die Straße: die Band JBO, in Eishockey-Hallen berühmt geworden mit dem Hit „Satan ist wieder da“. Das wird immer dann gedudelt, wenn ein heimischer Spieler, meistens nach einer kleineren Rauferei, siegreich vom Eis, also auf die Strafbank fährt.

 

 

Aktuell sitzt Fürst Fedja drauf. Mal wieder sind wesentliche Dinge des täglichen Glücks mutmaßlich abhanden gekommen. Diesmal nicht diverse Eintrittskarten, das Handy, die Kamera oder ein letzter anzunehmender Autoschlüssel. Nein, die Geldbörse mit sämtlichen Papieren darf heute Quell der Panik sein. Einem hastigen Suchen folgt blutdrucksenkende Erleichterung. Wieder ist’s die linke Lederjackentasche. Sollte also jemand mal unseren Fürsten unterwegs panisch an sich herum suchend antreffen, einfach sagen: „Linke Tasche oben“. Dankbarkeit wäre eine weise Ernte wert. Und endlich öffnen sich die Tore, Koffer und Gitarren stehen wenig später im Kneipenschlauch. Doctor Pichelstein gönnt sich ein Rosenpils, steigt aber auf Empfehlung („trinkste Rosen, machste dir bloß in die Hosen“) gleich auf Beck’s um. Doctor Makarios hadert noch: lieber Tonic. Fürst Fedja ruft kurzentschlossen: dasselbe. Bis es Lendchen auf Spinat gibt, der „Wanderer“ Pratajevs wieder livehaftig wird. Grand Prix de planetarium – auf geht’s, kämpfen und siegen. Gesäumt wird die Piste heute von asiatischen Völkern, weit gereisten Schienenfreunden der russischen Landdichtkunst wie nahegelegenen Bewohnern. Pratajev-Mitglied I.A. Polenz nebst Geleit berichtet von den Tücken des Ausgehens, Wein prostet sich zum Gelbschnapse bis die Introzeilen übers Alster hinaus schallen. Jetzt erst vergeht die Zeit wieder richtig, laufen die Uhren wieder rund und man selbst nicht vorweg. Die Saat des feinen Soundchecks geht auf wie ein Kornfeld mit Blumen im Sommer. Alles spielt sich wie von selbst und nach der Pause wird getanzt, gehüpft, gesprungen. Ein warmer Zugaberegen bildet den Abschluss der Etappe. Keuchend, nass wie ein Tsunamifisch an Land stehen sie da, die Doctoren und wissen: Das war heute mächtig schön.

 

Grand Prix de Charles Marx (293)


Ausgeruht bis maximal ausgeschlafen geht’s über den traditionellen Tankstellenstopp Borna-Eula gen Chemnitz, Ortsteil Flowerpower. Wir schreiben Donnerstag, den 3. April und es wird ernst. Nach den beiden letzten Kurzetappen (Prolog in Leipzig und Sprint in Halle), kommen nun gleich drei harte Tagesabschnitte auf das Fahrerfeld zu. Die Tour de Docteur, das Rennen um das goldene Schnapsglas, wird mit einem kräftigen Biss in die Bockwurst eröffnet. Gedopt mit Senf, Kaffee und Brausecola sausen die Erben Pratajevs im vom Fürst Fedja frisch geduschten Gefährt der Bayerischen Motorenwerke los. Das Etappenziel des Grand Prix de Charles Marx stets vor Augen, durch Sahara-Sandstürme und so manchen Feierabendverkehr glatt hindurch. Ein erster Stopp bietet sich beim Einchecken ins Mercure-Hotel an. Während die Herren Makarios und Fedja den Rezeptionösen fleißig Autogramme geben, bewundert Doctor Pichelstein ausgestellte Vitrinenkunst im Foyer. Besonders die handgeschnitzte Figur des „Chemnitzer Grütznickels“ hat es ihm angetan. Eine sogenannte „Säuferfigur“ mit Bierglas in Händen, welche kleinen Mädchen gerne zur Abschreckung in die Puppenstube gestellt wird. Geschnitzt selbstredend im Erzgebirge, doch zu erwähnen, dass dieser herrliche Landstrich gleich um die Ecke ist, schickt sich in Chemnitz nicht. Wie die weitreichende Tourerfahrung bisher dem Pichelstein lehrte.

 

 

Gleich um die Hotelecken und Kanten befindet sich praktischerweise das Flowerpower; so ist rasche Lippenbefeuchtung garantiert. Vom Chef Danny liebevoll umsorgt, hagelt es wenige Wimpernschläge später bereits Schnitzelteller. So muss es sein und man braucht ja auch eine gewisse Grundlage, um die Mühen der ersten Etappe bewerkstelligen zu können. Dann steht die Bühne im hellen Licht, der späte Mixmann aus dem Angelsächsischen fängt den Wurm und pegelt sich gekonnt durchs bereits kleckerweise eingetroffene Publikum hindurch. Die Etappenränder füllen sich, großes „Hallo“ auf allen Hängen. Die Kellnerinnen haben alle Hände, Füße und Fingernägel voll zu tun. In der Fachsprache der Kneiper würde man sagen: „Der Laden brummt.“ Und das soll er auch.

 

Doch noch sind Siegerzigarren fehl am Platz, werden den Doctors Getränke angetragen, ist das Fahrerlager gerne fern. Was folgt, ist das Feldmänner-Intro, sind warme Worte zum Geleit und schon gibt es kein Halten mehr. Makarios und Pichelstein legen sich ins berühmte „Zeug“, jagen Pratajevs Weisen über Serpentinen hinauf und bereits im ersten Konzertblock wird mehrfaches Sprintgold verliehen. Zur Belohnung gibt’s gelbe und weiße Schnapstrikotagen. Zeugwart Fürst Fedja hat diesbezüglich alles im Griff. Und als mit der „Heilung“ die erste Schnapsbar eingeläutet wird, schallt der Applaus mindestens bis ins Zittauer Gebirge. Der Kellnerinnen-Run setzt ein; erste Lösungen, wie man als Etappengast dem folgenden Arbeitstag begegnen wird, nämlich besser gar nicht, kursieren in schummerigen Runden. Das Ehrenmitglied der Pratajev-Gesellschaft „Der Veterinär“ plauscht mit Fürst Fedja über die Kunst der Schweinezucht. Anderenorts drückt man sich und ruft „Gefällt mir“.

 

 

Weiter geht’s im Geiste Tutukins, das Etappenziel schläft nie. Mit dem „Rotarmisten“, der „Harten Wirtin“, den Fetischbekenntnissen und Erkenntnissen, den pratajevschen Wegesrand-Erlebnissen bis hin zu den Tieren. Eine Herausforderung für den schnellsten Gitarristen der Welt ohne Frage, doch Katze, Ratte, Fettfrosch, Kuh und Biber (alles Bergetappen) schüttelt Pichelstein gewohnt rasend aus dem Ärmel. So, als wäre die gesamte Schlaghand ein einziges Plektrum aus Gummi. Doch wer den Berg bezwingen will, muss tief schlürfen, darf nicht vergessen zu trinken. Gedacht, getan, die Zielflagge dabei unmittelbar vor Augen. Auf der steht „Willkommen an der Schnapsbar“, gespielt jetzt in der Dark Doom Schlager-Version (DDS). Doch nein, Zugaben soll es geben. All den lieben Menschen im tosenden Pulk gelüstet es nach mehr. Und so kommt es, dass Makarios mit bereits dunkel-heiserer Stimme zum Wunschkonzert ruft. Noch wenige Meter, Zentis, Millis, dann ist die erste Tour-Challenge geschafft, der Grand Prix de Charles Marx gefahren und Sieger sind natürlich wer? The Russian Doctors mit einem verschmitzten Lächeln in der Spucke.

 

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