Westalgie! Lindenau sucht den Superstar (291)


Da ist der Doctor Pichelstein aber sehr froh. Liest ihn doch Fürst Fedja glatt mit Sack und Pack am Straßenrand auf und schon düst man zum Tourstart gen Leipziger Westen. Genauer geht’s ins Café Westen an einem Tag, dem bisher ein eher mattes Drehbuch vergönnt war. Beim Erreichen der Odermannstraße färbt es sich reichlich blau-weiß. Strenge Polizisten bewachen gerade jene nationalen Mitbürger, deren Toleranzvermögen in eine Streichholzschachtel passt. Was mag eine Stunde Bewachen den Steuerzahler so kosten? Was verdient ein Absolvent der Polizeiakademie? Würde er nicht viel lieber ganz woanders sein, als der Entdeckung der Langsamkeit zu frönen? Mit Betty Ballhaus unterm Arm die Gegend lieb gewinnen? Nun, da kann man wohl nichts machen. Präsenz ist Präsenz. Während unweit des Wartens, im Café Westen, tatkräftig an der Bühne geschraubt wird und Ronny, der Koch Catering-Bestellungen aufnimmt. Kleine Vorspeisen mit Hauptgerichten, guter Plan. Dazu reichlich Flüssignahrung; King Karsten liefert die erste, wohlschmeckende Runde und nebenan, vorm Eingang einer betreuten Sterbestätte, geniest ein Pulk Pflegerinnen die Weihen des sonnigen Märztages.

 

Wenige Zigarettenlängen später passt der Sound in eine Opernhausschachtel, will heißen: alles klingt glockenhellprächtig und Ronny liefert die feinsten Früchte seiner Herdplatten direkt auf einen Tisch aus Holz, an dem mittlerweile gestaunt wird. Wenn die Vorspeisen schon XL sind, was folgt im Anschluss? Glücklich ist, wer einen Mitesser hat. Denn volle Teller gibt man ungern zurück. So werden weise Wimpernschläge später Burgerköstlichkeiten verwaltet und nach Abwägung aller Umstände größtenteils auch gegessen. Danach hilft nur eines: Bauch halten, Schnaps hinein, abwarten. Bis der Startschuss fällt, das Feldmänner-Intro die Doctors zur Arbeit ruft. Die Mission lautet: Stadtteileroberung, denn in Lindenau waren Pratajevs Erben noch nie zugange. Umso erquicklicher, dass sie endlich da sind. Im Wohnzimmer des verehrten Fürst Fedja, in dem jeder Barhocker vor kühnster und edelmütiger Geschichtsnoblesse nur so strotzt.

 

 

Drum auf zur adeligen Leipziger Westalgie! Der Beifall, er spricht Bände. Verzeihung: eBooks. Gläser klirren, die erste Schnapsrunde wird auf die Bühne gereicht und noch einmal wollen wir darunter den Worten des Doctor Makarios lauschen: „11 Jahre gibt es die Russian Doctors nun schon und ein findiger Statistiker hat herausgefunden, dass jedem der beiden Musiker im Durchschnitt vier Schnäpse pro Konzert gereicht werden. Für den Stand der Dinge ergibt das 2.320 Schnäpse, die die Doctors in pure Energie umgesetzt haben - und wir wissen, vereinzelte Fangruppierungen basteln an hinterhältigen Plänen, den Durchschnitt nach oben zu treiben….“ Weise Worte zum Geleit, muss man wahrlich sagen. Huldvoll wird jedes volle Glas entgegengenommen und im prompten Anschluss verzehrt. Naturgedopt wie zwei gewaltige Krimcatcher verlangen die Doctors darob ihrer Liederliste alles ab. Die wurde vorm Konzert komplett runderneuert; Doctor Makarios‘ wundersames Pratajev-Erleben (darin erzählt) sorgt für Erheiterungsstürme. Längst kocht das Café Westen und wer eben noch geruhsam Karten spielte, hat längst das Weite gesucht. Dann ist Pause. Schwitznass glänzen sich beide Doctoren unterm Scheinwerfer an.

 

 

Mit der „Harten Wirtin“ geht’s in die zweite Runde. Am Bühnenrand toben sich, wie sich später am Abend noch herausstellen wird, Lindenauer Superstars aus. Doctor Pichelstein rast seinem Sangesdoc davon - bis schließlich die zweite Schnapsbar im ersten Zugabe-Finis mündet. Ein Mix aus Punk und präpotentem Walzer. Dann soll es gut sein, doch das darf es natürlich nicht. Also noch eine Runde. Angepeitscht mittlerweile auch vom unermüdlichen Forscher Winogradow. Bis schließlich die allerletzte Schnapsbar eine echte ist. Vor der man steht und ja, es dürfte die längste im ganzen Leipziger Westen sein. Und dann kommen die Superstars und stehen Schlange. Doctor Pichelsteins Order: „Gitarren für alle!“ wird glatt befolgt und wäre Fürst Fedja in den frühen Morgenstunden nicht eingeschritten, so spielten sie noch heute. Ein wahrhaft subversiver Abend, herzlichen Dank dafür.

 

Besser noch leben: privat und delikat 2 (290)

Lange wurde bereits folgendes Sujet in des Doctor Makarios‘ Denke gepflegt: Lasst uns doch mal uns selbst feiern. Das Leben, die Jahre sind so kurz und manch böser Gast muss darin unbedingt vertrieben werden. Im übertragenen Sinne versteht sich. Als dann vor wenigen Tagen die Meldung: „Upart-Büro im NBL-Haus endlich fertig, fleißige Handwerker melden: Vollzug!“ durchsickerte, schien der Zeitpunkt für eine Label-Party plus engstem Gefolge sehr günstig. So ergingen Einladungen an all jene, die vor und hinter den Kulissen von Die Art, Goldeck, Lizard Pool, Beringsee, The Russian Doctors in diversen Funktionen arbeiten. Sei es in den Studio- und Plattenproduktionen, in der Presse- wie Mercharbeit oder sogar als Lebensretterin. All den unersetzlichen Allroundern gebührt langer Dank. Ebenfalls dem Team des „Noch besser Leben“ um Chefarzt Dr. Georg. Und was gehört zu einem zünftigen Gelage? Natürlich der Geist Pratajevs, abgefüllt in Flaschen. Ein Buffet, gezaubert vom Chefkoch des „Café Westen“ sowie ein kleines Kulturprogramm.

 

 

Doctor Pichelstein, gerade mitsamt Gitarrengepäck einem redseligen Taxifahrer aus dem Persischen („Ah, sie wollen ins „Besser noch Leben“. Ich bin ja nicht so religiös, aber….“) entronnen, schnauft tief durch. Fürst Fedja, eben noch Buffet-Transporteur, gleichfalls. Die Gewichtigkeit einer imposanten Chili-Kanone ist nicht zu unterschätzen. Doctor Makarios‘ Weckruf: „Lasst uns mal die Bühne aufbauen“ verscheucht indes jede Katrigkeit. Gesagt, getan. Alle Vorbereitungen fürs ausgewählte Personen-in-Pratajevs-Leben-Konzert münden in großer Soundzufriedenheit. Die Gäste treffen ein, die Geschenkeecke reicht bald nicht mehr aus. An Holztischen, in stillen wir lauten Ecken herrscht Anekdotenalarm unterm Klang der Marke Joy Division.

 

 

„Der Starke“ macht den Anfang, gefolgt vom „Käferzähler“, der auf „Die Dünne“ und den „Wanderer“ trifft. Unterbrochen wird der Personenreigen nur durch „Jeder Schluck“, denn derlei Tatendurst darf nicht fehlen. Fürst Fedja wird‘s am nächsten Tag noch wissen, doch der ist gefühlt noch weiter weg als Ostern. An Weltpremieren mangelt es nicht. Nach der Uraufführung von „Der Bedrückte“ (Russian Doctors) und „Löcher im Strumpf“ (Modern Doctors) gibt es kein Halten mehr. Und weil 80 Prozent des delikaten Buffets Pichelsteins Solonummer „Heute gibt es Hack“ Pate stehen, muss auch dieses Juwel fleischhaltiger Tonkunst unbedingt zu Gehör gebracht werden. Dann soll es gut sein mit der Livekultur. Und schließlich bricht er doch an, der neue Tag. Wohl dem, der darin seine Ruhe findet, die Schlafstätte erst gegen Abend verlassen muss und noch genau weiß, wie er in selbige hineingeraten ist.

 

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