Gallenröhrling, Dawai! (329)


Lange Jahre geplant, immer wieder verschoben, doch heute wirft er sich in Schale, der leckere Tag der Belohnung. Für was? Na, was für eine Frage. Da spielt man das ganze Jahr über landauf, landab Konzerte, trägt das Erbe Pratajevs in den hintersten Winkel benachbarter Länder hinein, wird dafür von lieben Menschen ständig betrunken gemacht und hat die Folgen am nächsten Tag in einem gemütlichen Hotelbettchen auszubaden. Sofern nicht das Zimmermädchen klopft oder der Frühstücksweg ab 10 Uhr morgens versperrt ist. Zwischendurch sitzt man stundenlang im Tonstudio, am Tastentippgerät, im Wirtshaus, probiert sich durch Speisekarten („Das hat alles Pratajev bezahlt!“) und tüftelt an der Erweiterung der Liederliste. Die Folge: man muss sich das alles merken. So ein Leben als russischer Doctor ist nicht einfach. Also auf zum Instrument der Belohnung, Ein psychologisch sehr wichtiges Momentum. Und womit belohnen sich die Russian Doctors wohl gerne? Mit einer kulinarischen Armada im engsten Freundeskreis, in einem Schleußiger Hinterhof, in dem (natürlich) viele Katzen ihr Unwesen treiben.

 

 

Das 1. Doctors-Grillen kann beginnen. Am Himmel scheint eine Septembersonne schönster Güte, das Vorbereitungs-Komitee arbeitete bis zuletzt auf Hochtouren, damit der Riesenbohei gelingt. Gleich drei Grillstätten werden mit Holzkohle befüllt, die Gartentische biegen sich vor Salaten, ein liebevoll bestückter Käseigel thront in der Mitte und die eben erst aus Belarus eingetroffenen Schnapsvorräte sind der Vernichtung geweiht. Was ganz logisch ist; gleich drei weißrussische Staatsangehörige sitzen an der Tafel und Fürst Fedja nicht weit davon entfernt. Stets und jederzeit befüllt der zum Mundschenk auserkorene Becher wie Gläser. Ein Zustand des Dauerprostens dominiert das Geschehen. Gerufen wird: „Dawai, Dawai!“ Aber nein, Dawai heißt Los! Vorwärts! Gemeint ist der Aufbruch, der Sturm auf irgendetwas. So muss es richtig heißen, logisch: „Nastrovje“.

 

Zwischendurch, so gegen 20 Uhr, betritt eine sichtlich verblühte, mittlerweile gewiss bereits verrentete Aufseherin in enganliegenden Sportklamotten (Vermutung: Walken, Fußgängerwegwandernadel in Gold, mit Schleife) das Geschehen und teufelt auf das feiernde Volk ein. Die Rede ist vom Ordnungsamt, das sofort geholt werden müsse und so weiter und so fort. Nun, man weiß ja, wie diesen Gallenröhrlingen unter den weltunzufriedenen Kamillenteetrinkern beizukommen ist: mit gut dosierter Ignoranz und so stapft die Verwelkte von dannen durchs Gebüsch. Jetzt also erst Recht: Das Konzert kann beginnen. Denn was wäre ein Doctors-Treffen ohne pratajevsches Liedgut? Eben.

 

 

Nachbarn strömen herbei, Kinder liefern sich hanebüchene Bobby Car-Rennen, die Grills dampfen bis zum letzten Steak. In der Feuerschale brennen Scheite geschlagenen Holzes nieder. Makarios und Pichelstein spielen bis tief in die Dunkelheit hinein. Unterbrochen von trinkfreudigen Langpausen - bis mal eben ein Geburtstagskuchen angeschnitten wird. Dann schwindet die Erinnerung, was sicherlich gar nicht so verkehrt ist. „Dawai, Dawai“, heißt es reichliche Stunden später.

 

Bekiffte Fußhupen (328)


Nach vergeblichen Versuchen, Fürst Fedja ins Leben zurückzuwinken (das bis 10 Uhr-Frühstück ist im großen Ballsaal eingenommen worden, der Saft schmeckte nach Pulver, der Rest lockte dagegen sehr delikat), beginnt sie also, die Makarios-Pichelstein-Pirsch.

 

Žižkov war früher einmal ein Dorf, in dem vornehmlich Weinberge die Prager Schänken mit erlesenen Traubensäften beglückten. So geht es übers hügelige Kopfsteinpflaster quer hoch und schief zunächst gen Markt. Am Kaiser Franz-Stand werden frisch zubereitete Klopsburger erstanden. Noch ein großes Pivo dazu, schon darf die erste Zwischenmahlzeit als perfekt angesehen werden. Zwei Bäuche werden lustvoll gestreichelt, als die Metro am Fernsehturm (der mit den krabbelnden Babys drauf) das Doctoren-Duo quietschend ins Zentrum bugisert und da man die Prager City bereits wie eine Westentasche kennt, schleicht man auf leisen Sohlen an den Touristen-Schirmmenschen vorbei zur Moldau auf eine Wiener Schlürfspezialität: ein Drittel Kaffee, ein Drittel Eis, ein Drittel Schlagobers. Fertig ist der Einspänner, auch Fiaker genannt. Seinen Namen umgibt folgende Herzlichkeit: Als die Wiener Kutschmeister einst auf feine Damen und Herren warteten, bot man ihnen vor den Hotels etc. Kaffee an. Damit man den auch ohne Verbrühungen genießen konnte (die Wartezeiten für Herren waren ja noch nie lang, es sei denn, eine Dame betrat die Bildfläche mit der bis heute üblichen Verzögerungstaktik) wurden kühle Elemente hinzugefügt.

 

Zurück im Hotel bietet sich den Doctoren dasselbe Bild wie noch vier Stunden zuvor. Fürst Fedja, erschöpft vom Schimpfen mit dem Zimmermädchen („Nix putzen, gehen Sie, go go go…“) und vollkommen wundzäpfchengeschnarcht, liegt im Bette. Pichelstein lockt ihn schließlich mit einer frisch erworbenen Kalt-Cola ans Fenster auf ein Rauchopfer nach draußen. Gemeinsam wird beschlossen noch ein bisschen zu schlummern. Gute Idee - schließlich will man gut vorbereitet sein aufs Parukářka-Konzert, drüben auf dem künstlich angelegten Atombunker-Hügel. Jenem Sitz auf der Prager Landkarte, den man unbedingt einmal live gesehen haben muss.

 

 

Der Wirt stellt seine neue Freundin vor, der Koch bringt volle Pappteller und an der Schnapsbar läuft der Zapfhahn rund. Herrlich warm ist’s auf dem Freisitz, Hunde und Menschen tollen herum. Fehlt nur noch die Technik - gedacht, gesagt. Schon wird die Bühne unterm Sonnenschirm zusammengeschraubt. Der Mann an den Schalthebeln ist leider nur der tschechischen Sprache mächtig, sei’s drum: umso mehr wird mit Händen und Füßen gefuchtelt, gewedelt, dann stimmt der Sound und als er lauter als das Hundegebell rüberkommt, wirken alle Beteiligten sehr zufrieden. Auf zur Schnapsbar, zum Herzen der Pirna-Fraktion, auf zum langjährigen Freund Phil Shoenfelt, zum in sich ruhenden ex-Millionär Jarda, zur schwankenden Zuzana, zur ärmellosen Azalea So Sweet, zur glücklichen Ivana und und und. Sie sind alle wieder da. Selbst M.C. Schmutz ließ sich nicht zweimal bitten. Möge das Konzert beginnen. Man muss nur aufpassen, dass keine betrunkenen Parukářka-Pilger, keine bekifften Fußhupen gegen die Stative fallen oder laufen. Ein ums andere Mal torkelt so ein kleiner Hund, ein Mix aus Boxer und Terrier, Pichelstein vor die Füße und will ihm’s Pivo streitig machen. Doch nicht mit Doctor Pichelstein! Jedes Getränk wird eisern verteidigt, soll’s doch heute noch schneller gehen als gestern.

 

 

Makarios führt mit sonorem Bass durchs Programm, die erste Schnapsbar läutet die Pause ein und was im zweiten Block von der Schirmbühne schallt, sprengt alle Ketten. Kaum ein Halten gibt es, als Žižkov-Legende Jarda den Joint mit dem Saxophon tauscht, als Phil zu „In my hand“ in die Saiten greift, den Goldeck-Song wie ein junger Gott (versus: ein junger Iggy Pop oder Nick Cave – die beiden kennen sich ja bestens aus einem sehr speziellen Event) performt, als „Die Art“-Rufe im Publikum lauter werden, „Das Schiff“ und „Wide wide world“ zum Diskant gespielt werden. Der ganze Hügel steht Kopf; selbst die bekifften Hunde wollen kaum mehr Stöckchen spielen. Kein Wunder – die Herrchen und Damchen im Rund sind mittlerweile derart trunken, dass satte Tellerbefüllungen von den Vierbeinern im Ganzen verschlungen werden. Makarios kündigt nach weiteren Doctors-Eskapaden den Zugabereigen an und dann ist’s grundgut für den Moment.

 

Weitere Zeremonien führen ohne Umwege an die Schnapsbar; im Glashaus versucht sich ein junger Gitarrist mit schwarzer Lederjacke in die Herzen junger Zuhörerinnen zu spielen. Von draußen erkennt ein jeder, dass sich die gewählte Zielgruppe leider auf dem Weg ins Traumland befindet. Kein Wunder – der Becherovka ist alle. Die Doctors haben es wieder einmal geschafft, die Schnapsbar leer zu spielen. Tja, liebe Wirte. Ein Pratajev-Konzert ist eine lohnende Sache. Das weiß später in der langzeitlosen Nacht auch die Kellnerin einer Cocktail Bar namens „Cocktail Bar“ in unmittelbarer Hotelnähe. Jener letzten Station vorm glimpflichen Zubettgehen. Möge morgen genug Sonne scheinen, um unter Melniks Himmel lustzuwandeln. Das hat man sich nun redlich redlich verdient. Und genau – das Verdiente der letzten beiden Tage will auch noch ausgegeben werden. Tschechische Kronen tauschen sich bestenfalls in leckere Lebensmittel ein, wenn man halbwegs zu haushalten versteht.

 

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