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tour_tagebuch

06. August 2016, Pirna/Hofnacht, Hutbühne

Warten bis ein Ziel dich findet (349)


Tags vorm Aufbruch zu einem erneuten Hofnacht-Abenteuer in die Pratajev-Stadt Pirna (Pi-rna) begossen die Doctoren das Ende einer eigentlich sehr spontanen CD-Produktion. „Manchmal wenn der Durst kommt“ erscheint somit pünktlich zum 350. Konzert im Leipziger Flowerpower. Am Tomatenhain des Doctor Pichelstein wurde zudem bereits emsig in die Zukunft, respektive ins Glas geblickt. Bacardi Razz sei Dank. Vom Abend existiert sogar eine to-do-Liste. Das ist neu aber wertvoll, denn sonst vergisst man wieder die Hälfte. Zum Beispiel steht drauf: Studio anrufen wegen Modern Doctors / Weitere Termine vereinbaren oder: Conny Cocker fragen, ob er nicht doch beim Bulbash-Fest (in Fernsehgarten-Glitzerjacke) vortragen möchte.

 

Viele Ruhendstunden später, gegen 17 Uhr des kalendarischen Folgetages, startet Fürst Fedjas Schmette durch. Über die zweckgebundenen Ritualorte „Total Tankstelle wegen Bockwurst“ und „Hansens Holz wegen Rauchen“ wird Pirna erreicht. Die Lange Straße erweist sich als Baustelle. Damit bei der nächsten Durchflutung der Erdgeschosse (die Elbe ist einen Zwergenwurf, nee, das heißt ja „Münzwurf“ entfernt) garantiert kein Wasser mehr versickern kann, entschloss sich die Stadt den Kopfsteinpflasterbelag mit dicken Betonschichten zu unterfüttern (immer diese Sprichwortschwäche). Das ist mal schlau.

 

 

 

Im Hof frohlocken bereits dynamische Menschen. Da wird Soljanka kredenzt, aus Gläsern und Flaschen getrunken. Man herzt sich und ist in überwiegender Sauflaune. Als die Doctors auf der Bildfläche erscheinen werden Toasts ausgebracht. Schon eilen die Tatkräftigsten Fürst Fedja hinterher und schleppen die Anlage zur Beschallung des Publikums samt Backline empor auf die Hutbühne. Dann müssen Kaltgetränke her, die Sonne meint es gut, die Sonne macht Durst. Gegen den großen helfen bekanntlich mächtige Gläser und gegen den kleinen Durst winzige. Pichelstein besticht darunter in der Kunst des Aufbauens, schon darf gesoundcheckt werden. Erstmals wird geprobt: Das Titelstück zur neuen Platte, „Der wilde Bursche“ und ein paar Schmankerl mehr. Weltpremieren in Pirna! Was tut man nicht alles dafür, sogar proben.

 

Der Weg ist das Ziel, unter diesem frivolen Wanderer-Motto geht’s Schlag 21 Uhr los. Bis auf den letzten Platz sind alle Bankreihen eng besetzt, auf den Stehplätzen herrscht Gedränge. Sieht toll aus, so aus Bühnensicht. Die Aufregung ist bis ins Zahnfleisch zu spüren, nur Pratajevs Erben sind die Ruhe selbst. Das Intro läuft, die Feldmänner starten. Bereits nach wenigen Minuten glänzt Doctor Pichelstein an der Fix-Gitarre wie ein nasses Sternenfeld. „Manchmal wenn der Durst kommt“ klappt tatsächlich, auch der Bulbash-Song und all die anderen Premieren. Grundgütiger! Immer wieder sieht sich Makarios genötigt, die Pratajev-Reise in neue Richtungen ausufern zu lassen. „Der edle Mann“, ein Lied, das erstaunlicherweise nur in Pirna zu Gehör kommt, wird zwischendrin heftig von Privatier Ulf gewünscht. Bitteschön. Zum Mitsingen reicht es heute auch. Und wie! Mit großem Gaudi schallt zunächst „Beim Bücken“, später „Tote Katzen im Wind“ fußstampfend durch die Lange Straße. Selbst die hier sonst so omnipräsenten Kirchenglocken hätten darunter keine akustische Hoheitschance gehabt. Der Hof wird, wie man so sagt, bis zur letzten Zugabe „auf links gezogen“.

 

 

 

Nach dem „Hermelin“, der dritten „Schnapsbar“ soll es aber gut sein. Über zwei Stunden später, ohne gewerkschaftlich vorgeschriebene Pause, fallen sich die Doctoren mit seufzendem Lächeln in die Arme und dürfen gefühlte Ewigkeiten später Platz nehmen. Fürst Fedja (heute: aka „Mr. Atemlos durch die Nacht“) versorgt beide mit blauen Bulbash-Genüssen. Ja, der Abend ist gelungen und darf ausklingen. Dann gibt es einen kleinen Aufreger: Weil die Mikrofone noch offen sind, folgt ein knackiger Vortrag aus Veranstalterangesicht über einen Tunichtgut, der bitte den Hof verlassen solle. Die Gründe werden genannt - weder irgendwo was hingespuckt noch mit einem Spazierstock einer vorübergehenden Dame das Röckchen gelüftet, sowas nicht. Von einem fiesen Schuldner darf ausgegangen werden. Ja, diese schlechten Unglücksritter kommen leider immer wieder vor. Man sollte ihnen kein Rübendenkmal setzen. Nein, man sollte ihnen wünschen, dass sie in eine schlecht riechende Waldkräutersuppe mit allerlei allergischen Stoffen drin fallen. Und während aus der Anlage zur Beschallung des Publikums nunmehr Element of Crime (allerdings durch Playerdefekte drei Titel im Sandwichmodus übereinander) erklingen, wird weitergebechert, weitergefeiert. Bis das Motto nur noch lauten kann: Warten, bis ein Ziel dich findet.

 

26. Juni 2016, Dresden/Elbhangfest, Grottenwirtschaft

Die Gesetze pratajevscher Physik (348)

 

Tags nach dem Konzert mit der laufenden Nummer 347 ging’s ins Dresdener Ramada-Hotel, wurden katzenschlau drei Zimmer okkupiert, nach einem ausgiebigem Schläfchen ging’s mit der Fähre zum Elbhang. Portugal gewann gegen Kroatien und Doctor Makarios schrie beim einzigen Treffer dieser EM-Partie vor Glück die halbe Grottenwirtschaft zusammen. Getrunken wurde auch und herrlich an der Flussterrasse getafelt. Doch Zeit vergeht und schon macht sich der Tross auf, sein Gastspiel an besagter Stätte vorzubereiten.



Für 15 Uhr ist die Doctoren-Showtime angesetzt, die ärzte-affinen Musiker der Kapelle Soko Rock besangen gerade noch den Travestiekünstler Ernst-Johann Reinhardt („Lilo Wanders“), schon werden Kabel verlegt, der Schweiß fließt besonders bei Doctor Pichelstein. Die Idee, unbedingt in einer langen, schwarzen Hose lustwandeln zu wollen, hm, die war in Grädern Celsius gemessen eher dümmlich. Makarios trägt kurzes Beinkleid, lacht glockenhell wie die Sonne und freut sich über jede vorbeiziehende Wolke. Der Sieg der Portugiesen wirkt nach. Klar, dass darauf weiterhin getrunken werden muss und während sich die Menschen im Rund vor der Straßenbühne vermehren wie sommers die schönsten Rosen auf dem glitzernden Teich, gelingt beim Soundcheck eine dezibeleske Vervollkommnung. Schon läuft das Intro tief und kehlig: „Warme Worte zum Geleit“. Pratajevs Erben folgen den Gesetzen der Physik: Eine eloquente Eigendynamik, bestehend aus Gitarrengewittern und Weisen des großen russischen Dichters, ist (einmal losgetreten) nicht mehr zu stoppen. Sie steigt an, die Dynamik, steigert sich zum Diskant, erreicht ein Plateau und von hoch droben folgt ein Sprung in die Tiefe. Oh, wie das kribbelt! Als würde man im Traum von einem Hochhaus fallen. Und während es so kribbelt, heißt es auf der Bühne nur: „Das waren die Russian Doctors!“



Schon hat das Leben einen wieder. Das Leben, das gute Leben fürwahr. Manch einer schaut den Nachbarn dergestalt ungläubig an, als hätte ihm wer die Brille weggenommen. Es wird geklatscht, gejohlt. Es wird ein letztes Mal „Zugabe“ gerufen. Man sieht Doctor Pichelstein, der nach knapp zwei Stunden Bühne nur mehr pustet, trinkt, weil er knapp verdurstet und mit mechanischer Zärtlichkeit die Bühne abbaut. Man sieht Doctor Makarios in unauslöschlichen, besten Gedanken kreisend, den Olympiasieger auf der Schnellgitarre eben noch im Arm - oder Bauch an Bauch, das geht auch - wie er in den Schatten hechtet. Wo Fürst Fedja mit einem Kaltgetränk und verschmitztem Lächeln um die feiste Zigarre herum wartet. Wo sich das verehrte Publikum am Merch-Stand scharrt. Ach, Elbhangfest, du Schöne. Du leckere, du Kartoffelsuppe, du Fischbrötchen, du Zauberin bester Laune. Deine illustren Gäste wurden über die Jahre bereits mit allen Wettern gewaschen. Heute ist Sommer, heute wird das Leben nicht gehackt, gerät aus keinerlei Fugen und ist einfach nur gerecht. Danke, liebes Team der Grottenwirtschaft für diesen Tag am Elbhang.

 


  1. 24. Juni 2016, Dresden/Café Pott
  2. 18. Juni 2016, Elstra/OT Kindisch, privat auf der Rotkehlchen Ranch
  3. 15. Mai 2016, Leipzig/Privatheilung, Club La Fonderie
  4. 13. Mai 2016, Leipzig/Cafe Westen

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