Dobrij vetscher, dorogie gosti kongressa Pratajewa!

Pratajevs Freunde – Tutukins Erben (215)

 

„Scheiße, hab ich was falsch gemacht?“ fragt der junge Mann im eingeschüchterten Affekt Doktor Makarios am Eingang zur heutigen Konzertauftaktstätte, der Katakombe in Königs-Wusterhausen. Das Tourauto parkt direkt hinter ihm ein. „Nee, falsch gemacht, wieso?“ entgegnet Doktor Makarios. „Ach ich dachte, ihr wärt die Polizei“. Nun ja, klingt auch nicht schlecht: The Russian Policemen. In Gedenken an Igor Pavlowitsch, dem großen Kriminalisten aus Pratajevs Werk. Aber es wäre des Unguten zu viel, Doktoren müssen es sein und heute wird Neuland geheilt. Königs-Wusterhausen, von allen hier schlichtweg KaWe genannt. Frei von Schnee waren vorab die Autobahnen, klirrend indessen die Kälte und so kommt der Kaffee im Jägermeister-Topf gerade zur Gemütlichkeit und Ausruhe recht. Freund Kalf hat es sich vor einem Aschenbecher bequem gemacht, der Wirt steht am Arbeitsplatz und das ist wunderbar. Rasch mal schauen, wie der Livesaal so ausschaut. Beachtlich! Vorne gleich eine unverzichtbare Schnapsbar, hinten die Bühne; zwischen blondkühlen Bedurstigungen und dem Soundcheck verliert die Uhr wenig Zeit. Nur den Pegel am Mischpult hätte man besser nicht gen Null austarieren sollen. Das rächt sich später kurzweilig, wenn keiner mehr dran denkt.

 

 

Fast zeitgleich mit interessanten Schalen vom örtlichen verschwINDEN-Business für hungrige Doktoren füllt sich dito alles Katakombige. Sogar die tschechischen Schneegrabengrenzfahrer Silvi und Stone sind mit von der Partie. Silvi überreicht Doktor Pichelstein stante pede Spitzwegerichschnaps, selbst gebrannt. Die Flasche lässt sich kaum öffnen; später, vom Inhalt zehrend, wusste besagtes Behältnis genau, warum und was sie damit gutes tat. Pure, leckere Medizin. Aber - vielen Dank dafür (mittlerweile ausgetrunken). Und ja, dann geht’s los in KaWe; das Intro zieht’s Publikum aus Ecken und Kanten. Mitte der „Männer die am Feldmänner stehen“ reißt Doktor Makarios beschwingt den Mischpultregler hoch.

 

Bemerkenswert die Fülle, das Wippen und später gar Tanzen. Pratajevs Texte flirren energetisch durch den Saal bis zum Pausenschnaps und darüber lange hinaus. Becherovka auf Eis! Herrlich! Doktor Pichelsteins Arbeitsgerät beweist Wallungswert und Königs-Wusterhausen wird komplett geheilt. Nur jene bleiben diesbezüglich außen vor, welche dem Nachwuchs dieser Stadt Vornamen wie „Heydrich“ geben. Die sollen draußen bleiben und am Ende unterschreiben The Russen Docs virtuell beim glücklichen, herrlichen Wirt die Option fürs nächste Konzert in der Katakombe. Unbedingt und immer wieder.

 

Brandenburg, du bist ‘ne Schöne. Und Helga Bauer, genannt Peitscha, Geliebte Prumskis und Pratajevs, wohnte einst nicht weit von hier. Unter solchen Gedanken nebst anderen biegt der Kalf-Chrissi-Van mit den Doktoren im Schlepptau um Zernsdorfer Ecken. Ein Haus am See ist das Ziel, ein schlafender Makrokosmos. Und süßer Likör, betrachtet man es aus dieser Warte, bildet einen leckeren, magischen Teil des Mikrokosmosses am Küchentisch. Bis der letzte Tropfen bezwungen ist.

 

Wir ackern und jodeln für Deutschland (217)

 

„Die Jodelkönigin Maria Hellwig ist tot“. Jetzt ist die Nachricht auch im Radio angekommen. Beide Doktoren erfüllt sofort tiefe Trauer, schallendes Gelächter folgt auf dem Fuße. „Jodelkönigin, so ein Unsinn“, ruft Doktor Pichelstein. Und Doktor Makarios entdeckt bereits die nächste Merkwürdigkeit des Tages. Ein großflächiges Plakat nahe Frohburg mit der Aufschrift: „Wir ackern für Deutschland – die deutschen Bauern“. Herrlich. Was das Handwerk kann („Am Anfang waren Himmel und Erde. Den Rest haben wir gemacht“), gebührt nun auch den praktizierenden Feldmännern. Da zieht man gerne den Hut, den Obstler gleich mit aus der Tasche. Und ackert und jodelt für Deutschland, dessen schönste Kurven nicht unbedingt mit dem Tourbus zu erreichen sind. Dafür aber Frankenberg bei Kälte und abendlicher Nacht. Sehr nah am Erzgebirge gelegen, wirklich sehr nah, doch zu denen will man sich hier nicht zählen. Vielleicht liegt’s am nahen Weihnachtsfest, an Schwibbögen, Räuchermännchen und Bergmannskapellen. Denn um Weihnachten herum wird das Erzgebirge mit seinen durchaus verschrobenen Kauzigkeiten allgegenwärtig. Besonders eben auf einem budenreichen Weihnachtsmarkt. Ein wahlloser Flecken Erde, den Doktor Makarios wie die Pest meidet und wer Max Goldt kennt, der weiß, dass es dafür einen Zauber gibt. Den Zauber des seitlich dran vorbeigehens. Doktor Pichelstein hingegen fühlt sich sehr zu einem einzigen Flecken Leipziger Duselei hingezogen: Ecke Galerie Kaufhof, dort gibt’s Jahr um Jahr den besten Glühwein und die leckersten Bratwürste in der ganzen Leipziger Innenstadt. Zu erkennen ist der vertäfelte Stand übrigens an seinem Leuchtturm. Wer dort steht und nippend still verharrt, möchte den kleinen und großen Sorgen unserer wohlhabenderen Studenten und Studentinnen höchste Aufmerksamkeit widmen. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Welt der Marke FDP wird einfach immer dümmer und scheinbar niemand kann das stoppen. Da ist man lieber zum zweiten Mal im ganzen Leben werktätig in Frankenberg.

 

Vor drei Jahren gab es hier, in der Feiertischlerei, bereits einen Doktoren-Auftritt und wieder heißt das holde Geburtstagskind Sanni. Um Punkt zwölf werden die Sektkorken deshalb knallen und bis dahin darf man tun und lassen, was einem so behagt. Die edel besetzte Schnapsbar austrinken, lecker futtern, sich an heiß gegrillten Würstchen laben, soundchecken, kuscheln, der Vorband lauschen, sitzen, tanzen, springen. Seitens der Doktoren geschieht dies alles mitunter etwas verlangsamt, Frau Krause lässt grüßen. Schöne Sache, großer Anlass, herrlich! An dieser Stelle schon mal: Vielen Dank für die Einladung, es war den Doktoren ein Fest und Doktor Pichelstein schaffte es gar, am nächsten Mittag den Tourbus wieder heile nach Leipzig zurückzusteuern. Was zugegebener Maßen nicht leicht war und einem spendierfreudigen Herrn Jägermeister angekreidet werden dürfte.

 

Anders als 2007 muss heute niemand ins idyllige Draußen brechen. Es sei denn ganz klammheimlich. Selbst die Wodka-Gummibärchen-Cocktails richten keinen großen Schaden an und so startet das Pratajev-Set mit allem, was es an Schnaps, Tierliedern, Landluft und Weibern gemessen, beinhaltet, schwankendschnell durch. Sogar ans „Jägerlatein“ wird sich zurück erinnert, lange nicht mehr gespielt. Und es wird schließlich der Punkt erreicht, an dem Doktor Pichelstein die Gitarre nicht mehr kontrollieren kann. Die Finger wetzen gekonnt übers Erlenholz, als gäbe es kein Morgen (rasch etwas Klebeband drauf, damit sie nicht verbluten), als sei der Titel „Doppelolympiasieger im Schnellgitarrespielen“ noch zu toppen. Der dritte Wodka hat also die Bühne in der Zielgeraden erreicht. Was die beiden Doktoren sich dortselbst dann manchmal zuflüstern, hat etwas folgenden Inhalt: „Mein Doktor, nicht so schnell…“ – „Jaja, beim nächsten Stück…“

 

 

Gebremst wird der Rausch mit einer Slow-Motion-Dreifach-Heilung; erstmals präsentiert Doktor Makarios darin die gesungene Version C des „Alten Mütterchens“, dann wird pausiert, werden die Stimmen wieder flott gemacht. Boxenstopp an der Schnapsbar. Kurven, wohin man blickt. Doch Ende gut, alles gut – die letzte Zugabe liegt lang hinter Sannis Ansprache an die Werktätigen von Frankenberg zurück und soll allen in Erinnerung bleiben. An das, was die Russian Docs auch im nächsten Jahr vorhaben, denn nach dem Ausflug an den Rand des Erzgebirges ist erst mal Spielpause bis Januar. Dann wird in Chemnitz wieder geackert. Wenn auch nicht für Deutschland und schon gar nicht gejodelt.

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