tour_tagebuch
Lasst uns die Nasen blutig schnarchen (238)
Um dem freitaglichen Stadtstau Leipzigs schlaue Gestirne zu bieten, verladen Doktor Makarios und Doktor Pichelstein die entfernt beheimatete Anlage zur Beschallung des Publikums bereits am Abend zuvor in den Tourbus. Pünktlich will man schließlich am nächsten Tag bei den Anglern in Borgsdorf sein, zu den willkommenen Nachfeierlichkeiten der „Krummen Rute“ im Lindeneck, unweit des brandenburger Havelecks gelegen. Baumfreund Ekmel zeigt sich für die Konzert-Ankündigung der harten Wirtin („Nach der Sommerpause gibt es wieder heiße Rhythmen und coole Drinks im Lindeneck Borgsdorf“) liebevoll verantwortlich; das macht er mit Bravour und dem Geschick eines honorigen Gastgebers. Ein heißer Dank eilt allem an dieser Stelle voraus. Doch noch ist’s lange nicht so weit. Denn die A9 Richtung Berlin erscheint, wie so oft, eitel im Sonnenschein und möchte unbedingt ins Radio-Antenne-Land. Stau, zähfließender Verkehr so um die 20 Kilometer lang. Mit letzter Kraft lenkt Doktor Pichelstein das Steuer zur Ausfahrt ORWO-Stadt Wolfen. Blühende, piepende Landschaften erstrahlen im Bitterfelder Glanz und das eine ganze lange Weile. Wenn nur die Scheibenwischspritzanlage funktionieren würde. So bleibt die Sehnsucht nach freier Sicht, der Unbill auf jeden neuen grünen Käferklatsch und natürlich rückt’s erste Lindeneck-Bier dito nicht unbedingt näher an den Quell des Durstes heran.
Kaum zurück auf der A9, hinein in den Berliner Ring, staut es sich wenig schlechter. Gebrochene Ruten und verdrallte Schnüre mögen all jene strafen, die mit geleasten Dickautos in einem todesmutigen Vettel-Leben, nicht unbedingt geprägt von anglerischer Nächstenliebe, für temporäre Unfälle an Baustellen verantwortlich sind. Und, by the way, woher kommen all diese rollenden Ansammlungen holländischer Wohnwagen? Statistisch gesehen müssten auf jeden Holländer daheim mindestens zugleich stets drei unterwegs in den Urlaub sein.
Endlich da, gut, einmal am Lindeneck vorbei gefahren, um- und endlich eingekehrt. Die harte Wirtin hat schwer zu tun; praktische Zettelberge voller theoretischer Strichlisten verheißen: Der aufstrebende, pokalhungrige Anglerverein „Krumme Rute“ scheint bereits ordentlich getagt zu haben. Es folgen lecker Schnitzelteller, samt und sonders kühle Biere sowie ein Soundcheck im Halbtempo. Die Abordnung des Männergesangsvereins Concordia Teschendorf reicht erste Kräuterschnäpse, wunderbar! Ob nun bald und tatsächlich Lieder wie „Jeder Schluck“ oder „Tote Katzen im Wind“ im Fokus der Proben stehen werden? Wir glauben fest daran und begrüßen nebenher ein neues Mitglied der Pratajev-Gesellschaft aus Berlin. „Ist der Brandenburger eigentlich eine ländliche Ausgabe des Berliners?“ Welche Frage könnte unbeantworteter bleiben?
Eine Hand gerade noch im Lostopf späterer Räucherfischgewinne, die andere nunmehr am Mikro, begrüßt Baumfreund Ekmel den tosenden Saal. Kerzen werden als Bühnenlicht erkoren, die Feldmänner legen los - ein Eimer selbst geernteter Kartoffeln wird den Doktoren zur Pause überreicht. Rührung steigt, die harte Wirtin im Schankbereich hat gewiss schon Zapfarm. Zu allem Verzettelunglück ist mittlerweile sämtlicher Wodka alle. Gut, mag vielleicht daran liegen, dass die Doktoren darunter wohl gelitten hatten. Weiter geht’s im Set; Katze-Kuh-Yoga-Übungen finden nur in Grün-Berlin-Mitte statt. Hier wird Pratajev gehuldigt und es dürfte ihm alles sehr gut gefallen haben. Hätte es ihn nicht gegeben, müsste man ihn neu erfinden; im Lindeneck wäre promptes Zuhause für eine weite Weile.
Das Füllhorn des Abends lässt erste Gäste trunken, stoffgebunden und heimlich entschwinden, mittlerweile wird drinnen geraucht, was das Zeug hält. Kaum einer stört sich dran, aschend wedeln die Arme empor. Doktor Pichelstein wird ein letzter Whiskey auf die Bühne gereicht. Dann: plötzlich, nach dem vorletzten Zugabeblock, ist er verschwunden, der Doktor Makarios an seiner Seite. Doch die Angler rufen nur: „Solo!“ Doktor Pichelstein spielt nicht nur Solo, sondern mit letzter Kraft hinaus ein Lied der nächsten Doctors-Platte. Welches, wird bestimmt keiner der Anwesenden mehr wissen. Sei’s drum. Auf geht’s ins Blockhüttengewerk am Havelufer. Lasst uns die Nasen blutig schnarchen
PS: In Borgsdorf bleiben die Frauen den jungen Burschen erhalten. Das schafft nicht jede Kreisstadt. Muss an den Anglern der Krummen Rute liegen, ganz sicher!
Pratajevs Goldener Zerbst (237)
Vielen, vielen, vielen Dank! Das war er also, der kleine Pratajev-Kongress 2011. Unzählige Höhepunkte, folgenreiche Schnapsverkostungen, „Goldeck“ in Bestform, „The Russian Doctors“ ebenso, russische Technik, Wallgold II jun. nunmehr "Held der Arbeit“, Pokalrausch für Gurt Kaktus (Rundblick-Foto-Wettbewerb, Forscherpokal 2011), Eademakow & Winogradow als bulgarische Spurenentdecker, eine sich biegende (nicht brechende) Schnapsbar und sämtliche Zerbster Unterkünfte ausgebucht. Was will mehr erlebt werden, am Tag als der Sommer von uns gegangen war? Kommen wir zur Eröffnungsrede des in einer Senffleckenhose steckenden Doktor Pichelstein, Top 1 der Running Order. Auszüge, bei denen der Applaus kräftig anschwoll:
Liebe Mitglieder der Pratajev-Gesellschaft, liebe Freunde und Förderer, liebe verdiente Forscher und auch Christen, lieber Verleger Wallgold II jun., liebe Damenwelt, meine Herren! Herzlich Willkommen auf dem heute in der großen, kleinen Stadt Zerbst zu befeiernden, kleinen Pratajev-Kongress des Jahres 2011.
Unser Dichter Pratajev, um den es in den nächsten Stunden geht, soll es gar ins Amtsblatt Anhalt-Bitterfeld geschafft haben; wir begrüßen deshalb umso erfreulicher die heimlichen Vertreter der zuständigen Kulturverwaltung sowie des Landratsamtes. Im weiteren Verlauf des Abends sollten wir deshalb ebenso die jüngsten Worte des FDP-Vorsitzenden Rösler, Zitat: „Es darf in Deutschland keine Denkverbote mehr geben“, beherzigen und den ein oder anderen Fördermittelantrag in zungengelöster Runde besprechen.
Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, eine Pratajev-Büste in der Nähe des 4 Meter 70 großen Denkmals von Katarina der Großen aufzustellen und würden uns natürlich auch mit 4 Meter 60 zufrieden geben.
Präsentiert wird der heutige Kongress von Pratajevs Leib- und Magenkapelle „The Russian Doctors“, als Sponsor sei die Schwarzbrennerei Kaktus in höchsten Tönen gelobt. Als Veranstaltungsort ebenso das k6 mit all den lieben Menschen, die es uns ermöglichen, heute hier sein zu dürfen. Ein Dank in eigener Sache gebührt unserer Schatzmeistern und Kalkulatorin Frau Doktor Manjoschka Gnatz, ohne die wir ganz schön im Regen stehen würden. Selbst wenn die Sonne dabei schiene. Wenn Sie heute hier sind, und noch nie etwas von Pratajev gehört haben, dann folgen nun kurze Abschnitte seines Lebens, bevor es dann endlich los geht (…)
Springen wir durch den Abend im ABI-Land (KFZ-Zeichen für den Kreis Anhalt-Bitterfeld), erwähnen wir, dass die Last der Vorbereitungen jedem dargereichten Kaltgetränk weichen durfte und loben die Fotoausstellungsakteure im Besonderen. Auch kleine Preise für die 5. bis 2. Plätze wurden trunken, dankbar entgegengenommen. Egal, wer die meisten Pins des Publikums am Ende ergattert hatte: Schlotternde Knie waren eine stete Folge. Die Verneigung vor der weitesten Anreise ging eindeutig an Pratajev-Mitglied Nummer 49, „Lucas der Lokführer“ in seiner Funktion als „Der, der immer vorne sitzt“ aus Saarbrücken. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Lucas der Lokführer den „Rundblick-vom-Turm-Wettbewerb“ mit einem ersten, jungfräulichen Beitrag gar ins Leben gerufen hatte.
Bereits am Einlass wurde aus mildem Plastik getrunken: „Was darf’s sein? Pirnaer Bitter oder eine Katzenblutfälschung aus den Holundersträuchern Brandenburgs?“ Wenige fuhren auf dem ermäßigten Zerbster Ticket; verdorbene Jugendliche aus der Partnerstadt Puschkins fragten sich eher, ob es sich beim Fest der Pratajev-Gesellschaft um ein Sektentreffen handeln könnte. Sie werden es bis heute glauben. Und wissen gewiss wenig über den berühmtesten Sohn ihrer Stadt, über Sven, den Großen. Auch: „Shiva, der Große“ genannt. Die Art-Schlagwerker, u.a. heutiger Goldeck-E-Gitarrist. Einer, der die Welt kennt, der einst (wie Katarina, die Große mit ihrer Kutsche aus Holz) direkt in sie hinausfuhr. Der seine Wurzeln nie vergisst und dem bei Zeiten mal ein Bild an der Heldenwand des Rathauses sicher sein wird. Sehr bekannt auch beim Wirt in der später heimgesuchten Pension Schlosswache („Das ist doch der Sven!“).
Welch hervorragendes Bühnen-Debüt auch im Zyklus der Helga Bauer-Forschung für Gurt Kaktus, dessen Bildnis der freiwilligen Selbstkontrolle zum Opfer fiel und hier nicht publiziert werden kann. Und erst Wallgold II jun., welcher ein nunmehr 100 jähriges Kuhbürstermodell Pratajevs in Ehren zum Vortrag hielt. Alles in allem: Ein Sonne und Brot-Tag, wie er in ganz wenigen Büchern geschrieben steht. Damit schwindet die Erinnerung; ein Hauch Kesselsoljanka bleibt und mit ihm die Schärfe einer goldenen Pratajev-Nacht. Gewürzt mit neusten Produkten aus der Schwarzbrennerei Kaktus.