Schnapsgestähltes Kabarett (229)

 

Im Parkclub läuft das Notprogramm und natürlich gehören Pratajevs Erben dahin eingeladen, welche Frage. Während der Heimattiergarten gleich um die Ecke nicht mit prachtwertem Ausstellungsbuntmetall geizt (Adler und Eule am Eingangstor werden allerdings jeden Abend wieder abgeschraubt und weggetragen). Ein langer Weg war es bis hierher. Mal wieder ging’s durch alle Wetter hindurch, Leipzigs Plagwitzer Straßen stauten sich zur Weißglut. Aber so ist das nun mal, wenn man in der Großstadt wohnt. Immer wollen alle alles mit sich voll machen. Und nie kommt man deshalb pünktlich irgendwo an. Wie schön’s doch dagegen zur Abwechslung im Fürstenwalder Park ist.



Der Club befindet sich in den letzten Ausläufern einer langatmigen Renovierungsphase; schuld daran seien unberechenbare Naturausläufer, berichtet Freund Sebastian und übernimmt die Führung. Und wahrlich! Sieht toll aus und wunderbar gestaltet sich’s Ambiente. Selbst notdürftiges zu verrichten, ist richtig angenehm (im Vergleich zu früher). Nur die Schnäpse sind noch dieselben, all die feinen Kaltgetränke aus dem Backstage-Monsterkühlschrank in neublau. Sehr gut. Wollen wir mal einen Blick in die moz-Zeitung wagen: Fürstenwalde. Nachdem in der vergangenen Woche endlich die Bauarbeiten an den Außenanlagen des Parkclubs wiederaufgenommen wurden, hat das Team um Ingo Taboga und Sebastian Bernhardt ihr sogenanntes „Zurnotprogramm“ fertiggestellt. Natürlich könne es passieren, dass einige Öffnungstage aufgrund von Bauarbeiten an den Ein- und Notausgängen nicht stattfinden können, so Sebastian Bernhardt. Weiter geht es am 1. Juli mit einem Kabarett-Musik-Programm der Russian Doctors (…)

 

Aha. Kabarett-Musik-Programm also. „Nun mein Doktor, hast du denn schon lustige Witze über das aktuelle, politische Geschehen im Land auf Lager?“ fragt Pichelstein, als er sich nach dem Soundcheck den rechten Blutdaumen verbindet. „Von wegen Kabarett“, kommt’s zur Antwort und weiter: „Genau wie im Facebook gepostet: Wir sind ne schnapsgestählte High-Speed-Folk-Punk-Kapelle.“ In einschränkender Weise muss indes hinzugefügt werden: Dr. Makarios entwickelte zuletzt eine leichte Allergie gegen Schnäpse mit +50%. Warum das so ist, soll nicht im Verborgenen bleiben und lässt sich unmittelbar an der ersten Übergabe einer Spende für die notleidenden Wirtsleute von Miloproschenskoje messen. Ende Mai/Anfang Juni weilten beide Doktoren u.a. deswegen an der portugiesischen Algarve und fanden zwei Nachfahren besagter Wirte, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, hochprozentige Erkenntlichkeiten aus dem Hut, resp. aus Brennerei & Schnapsbar zu zaubern. Und das bereits ab 12 Uhr mittags bei geschätzten 35 Grad im Schatten.

 

Grüne Eier aus dem Brandenburger Land spendieren Kalf und Chrissi, gesund und gewiss lecker, hinterher dennoch sicherheitshalber im Club belassen. Auf Nachfrage sollen sie gut gemundet haben. Der Berliner Pratajev-Forscherpreisträger Eademakow wird heiß bei Ankunft umjubelt & vom Gitarrendoktor Pichelstein mit jenem Dresdener Plektrum beschert, welches unmittelbar am Grottenwirtschafts-Massaker beteiligt war. Schon eine Ehre, wenn nicht gar eine Ähre, einen Preisträger der Pratajev-Gesellschaft, somit einen honorigen Mitbürger, in seiner Nähe zu wissen. Der Vorstand des Männerchores CONCORDIA Teschendorf sollte sich glücklich schätzen. Und jenes Glück der Erde liegt bekanntlich auf dem Rücken der Kräuterschnäpse (später, während des Konzertes, wird es noch einen Zusammenstoß Frau gegen Schnaps geben, wobei der Schnaps eindeutig an Menge verlieren wird - konträr zur Bekleidung der holden Weiblichkeit). All das weiß auch Baumfreund Ekmel und steckt sich zur Sicherheit am Merch die allerletze LP „Funeral Entertainment“ der Gruppe Die Art ein.

 

Auch ansonsten füllt sich das Rund, füllen sich Ecken und Kanten und weil’s dann so weit ist, geht’s los mit dem schnapsgestählten Kabarett, fallen die Feldmänner über alle her bis zur Pause, in der sehr skeptisch an einer Flasche, gefüllt mit dem Gesundbrunnen brauner Bionade, gerochen wird. „Hm, riecht wie Erbrochenes“, wird teilweise festgestellt, hernach besser der Weg zur Schnapsbar eingeschlagen. Über diesen Weg würde der Kabarettist Xavier Naidoo eine Menge wissen, nuscheln und mit den Händen dabei ganz komische Bewegungen machen. Jedenfalls würde er gemeinhin sagen: „Also ging ich diese Straße lang und die Straße führte zu mir. Das Lied, das du am letzten Abend sangst, spielte nun in mir“. Ist nur ein Zitat. Aber was für ein Unsinn, nahezu ein Paradoxon. „Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer, nicht mit Vielem wirst du dir einig sein. Doch dieses Leben bietet so viel mehr.“ Zumindest mit dem letzten Satz lässt es sich leben. Genauso war‘s schließlich bei Pratajev und genauso geht’s Konzert der Russian Doctors weiter und weiter bis zur letzten Zugabe. Denn am Wegesrande, Herr Naidoo, trinkt man nämlich aus der Flasche. Merke: Dann ist der Weg auch nicht so steinig und schwer.


Froh ist Doktor Pichelstein, dass alle Pflaster hielten, was sie vorab kaum versprachen. Ganz sehr würden sich übrigens alle freuen, wenn der Männerchor CONCORDIA Teschendorf das Lied „Tote Katzen im Wind“ in Bälde geschlossen, trinkfest und stimmig zu Gehör bringen würde.

 


Daumenblut (228)


Der Spatz wird gemeinhin als Punkrocker unter den Gartenvögeln wertgeschätzt. Sein kräftiger Gesang, einzig aus drei burschikosen Dur-Akkorden bestehend, könnte lieblicher kaum sein. So lauschen die Doktoren im Terrassenbereich ihrer Elbhangferienwohnung den gefiederten Freunden, nippen am Kaffee und lassen sich selbst durch die Urschreie eines Kampfhahnes vom Nachbargrundstück nicht aus der Ruhe bringen. Denn solche tut Not, der Samstag war schließlich Bummeltag und wie’s beim Bummeln unter hoher Getränke- und Gastrodichte so zugeht, lässt sich in etwa erahnen. Umzug war auch auf dem 21. Elbhangfest. Ein Motto des späteren Mundwasser-Erfinders und Magdeburger Kaufmannsohnes Karl August Lingner zollte den meisten Wagen Tribut: Odole Mio. Was bisher unglaublich erschien und nicht nur im Westen der Republik bestimmt kaum jemand weiß: In Dresden wurde Ende des 19. Jahrhunderts dem berüchtigten Mundstink der Garaus gemacht, ergo: antibakterielles Mundwasser erfunden. Aus Lingners Erlösen ließen sich daraus später sogar prunke Schlösser bauen.

 

Doch zunächst wird alles dafür getan, dass ein Produkt wie Odol am Tagesende zum Nonplusultra voranschreitet. Kesselgulasch hätte man gerne, doch das muss erst aufgetaut werden. Bockwürste helfen in der Frühstücksnot und ganz klar, heute, am Festsonntag, ist Eltern-mit-Kindern-Tag. Zu tausenden sickern sie ein. Das Wetter ist durchwachsen und wartet mit seinen Sonnenausläufern brav auf den Beginn des heutigen Konzertes der Russian Doctors an der Grottenwirtschaft. Dr. Hendrik, mittlerweile leicht geschwächt von bisheriger Küchenarbeit stöhnt beglückt: „Fischbrötchen belegen war bis jetzt das Schlimmste“. Steffen und Freunde stimmen bei und begrüßt werden die Russian Docs (teilweise erstversorgt mit tschechischen Rauchwaren) zum sozialistischen Soundaufbau. Der voran propagierte Satz „Die Grottenwirtschaft ist der ideale Platz, um das größte Stadtteilfests Dresden entspannt zu erleben“ spricht alle Ankündigungen wahr. Schnell noch zwei Bier, dann steht die Bühne, wird’s auf den Publikumsseiten voller und doller (von Pirna bis Chemnitz, Großenhain und von überall), kommt schüchtern die Sonne raus. 15:00: The Russian Doctors, 17:00: Edith Böhm Combo, 19:00: Cosmic Noise. Ein tollkühner Plan. „Na dann mal los“, ruft Doktor Makarios seinen Gitarrendoktor zur Saiten-Arbeit heran. „Wir haben hier neuen Schnaps aus der Brennerei Kaktus“, ruft Pichelstein zurück. „Katzenblut“. Ein großes Dankeschön dafür an die kleine Ostelbiendelegation um Gurt Kaktus. Sehr lecker! Beinahe schnurrend im Abgang, somit ebenso besonders geeignet für weibliche Mitglieder der Pratajev-Gesellschaft.

 




Da erstaunlicherweise mutmaßlich jede Band des Vorabends eine eigene Anlage zur Beschallung des Publikums mit sich geführt gehabt haben muss (welch ein verschrobener Unsinn), stapelt sich entsprechendes Equipment hinter den Doktoren. Ganz im Überschwung des Freitagauftritts an der Alten Feuerwache startet’s Konzert, beschleunigt sich durch die nicht immer heile Welt Pratajevs, mitsamt ihren weitreichenden Facetten. Doch jene Welt geriert sich rasch zu allem Wohl, formiert Thekenschlangen, lässt Mundgerüche und den Wecker eines jeden Montages vergessen. Selbst jene unter den Elbhangbesuchern, die meinen, mit dem Rad überall durchkommen zu können, stocken, lauschen Doktor Makarios Sangesweisen und werden (wenn auch nur wenige Minuten eines sonst gewiss sehr tristen Lebens) nachdenklich. Ja, der „Raucher von Bolwerkow“, so ist’s, denkt unter ihnen mancher Mann. Derweil „Gefesselt gefällt sie mir am besten – macht er doch nicht“, hingegen manche Frau.




 

Dann kracht die dicke A-Gitarrensaite Doktor Pichelsteins rechten Daumennagel in zwei Stücke, welcher wiederum den Schlagdaumen an sich in Mitleidenschaft zieht. Das Blut tropft gemächlich auf den Boden und die Pflasterversorgung lässt auf sich warten. In solchen Momenten gehen einem Gitarristen folgende Sätze durch den Kopf: Hagen wollte Siegfried im Krieg gegen die Dänen speziell schützen. Da sagt ihm Kriemhild das Geheimnis: Er sei verwundbar an der Stelle zwischen den Schulterblättern, wo ein Lindenblatt verhindert hatte, dass das Drachenblut, in dem Siegfried badete, ihn unverwundbar machte, da dort die Hornhaut nicht gewachsen sei (…). Nun denn. Es folgt der Rest vom heutigen Spielplan und sehr froh ist Doktor Pichelstein beizeiten, dass die letzte Zugabe auf der Ersatzgitarre unfallfrei zu Ende schwingt. Mit musischen Hufen scharrt bereits die Edith Böhm Combo. Zeit für einen großen Schluck Katzenblut und Zeit genug, sich an dieser Stelle beim Team Grottenwirtschaft vorzüglich zu bedanken. Druschba!

   

Fotos: Gurt Kaktus

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