Die fünf Gebote der Liebe (239)


Hochzeit in Birkholz, Sonnenschein, mildschwitzende Hitze, russische Doktoren als schicke Brautjungfern, wie immer: ganz in schwarz (bis auf Doktor Pichelsteins Turnschuhe, was ihm erstaunlicherweise sehr oft vorgehalten wird). Chrissi und Kalf haben es getan, sind in götterhafter Pratajev-Manier mit dem altbackenen, geschmückten, roten Motorrad durchs Dorf geknattert. Und nicht nur die kleine Sozius-Auspuff-Brandblase am beinernen Teint der Braut wird diesen Tag der Liebe ewig in Erinnerung rufen.

 

Pratajevs musikalische Erben durchfuhren zuvor Brandenburg, kamen an Gestaden vorbei, durch die man sich selten verfährt, trafen sogar unterwegs den Baumfreund Ekmel, samt beifahrender Lady Katharina, wieder. Doktor Makarios‘ Waldsammelkorb biegt sich derweil bedenklich. Wenn Doktor Pichelstein des Rechtens nach seinem fabulösen Navigator schaut, sieht’s aus, als gäbe es bald hiesige Kartoffel-Pilzpfanne, gespickt mit Nüssen und was da noch so alles herum liegt. Man muss wissen: Im Duo der Doctors ist Makarios der naturkundige Pfadfinder, Doktor Pichelstein eher ein skeptischer Beobachter allen Summens und Unterholztreibens. Von Zeit zu Zeit versucht der Naturkundedoktor dem anderen etwa ein wenig Pilzlehre beizubringen. „Kann man den essen?“ „Na klar, der sieht aus wie im Kaufland-Regal“. „Oh nein, das ist ganz fieser Tintling, auf keinen Fall“. Schon verschwinden rote und blaue Beeren im beflissenen Walddoktor, während der andere die Zeit lieber dazu nutzt, den Ölstand am Gefährt zu prüfen oder eine Gitarre zu besaiten. Vielleicht liegt’s auch daran, dass Busfahren auf Dauer arg lethargisch stimmt und jede Pause eher dazu verleitet, sich auf die Schwerkraft zu konzentrieren. Gar nicht so leicht, vor allem nicht nach einem Abend mit den Anglern der Krummen Rute tags zuvor in Borgsdorf.

 

 

Die Begrüßung an der Alten Dorfstraße ist allererste Kultur; Name auf den Becher geschrieben und schon fließt der hochprozentige Saft der Gerechten in allerlei Kehlen hinein. Zwei Schafe liegen alufoliengewickelt auf Grillspießen am Feuer. Bräutigam Kalf führt durchs weite Gelände. „Aha, das sind also die Hühner, die grüne Eier legen.“ - „Was noch fehlt, das sind schwarze Schweine“, kommentiert sich’s Geschehen staunend bis lobend; weiter östlich scheinen die Brandenburger Teufelsmoore zu beginnen. Jedenfalls kreisen Heerscharen von Mücken überm Geläuf. Wer Kette raucht, wird weniger gepiesackt. Herrlich. Keine Hektik, auch beim Bühnenbau, nebst Soundcheck, herrscht idyllische Melancholie vor. Cooles Anstehen am Tresenwesen, lauter feine Menschen, Haps die Schüssel-Leckereien, Prost den Becherovka („Hände weg, der ist nur für die Doktoren!“).

 

Das Konzert jubelt vor allem die Kleinen richtig durch; mückenmutig trug Doktor Pichelstein anfangs Achselshirt, zerstochen muss dann doch ein Hemd aus dem Gewühl hervor getastet werden. Und weil der Tag es mehr als wert ist, weil es Zeit ist, ein Hochzeitslied zu spielen, erklingt alsbald folgender Pratajev-Text zu Ehren der Hochzeitsgeniusse:

 

Die fünf Gebote der Liebe

 

Zuerst sollst Du nicht streiten
Mit Deinem armen Mann
Wenn er mal betrunken ist
Er tut ja was er kann

 

Das Zweite der Gebote
Sagt schlag nicht Deine Frau
Wenn sie morgens Schnaps trinkt
Warum weißt Du genau

 

Die fünf Gebote der Liebe
haben einen Sinn
Wenn man sie beachtet
Winkt der Hauptgewinn

 

Als Drittes wird empfohlen
Habt immer Schnaps im Haus
Man kann ihn gut gebrauchen
Und ohne ist's ein Graus

 

Der vierte Rat der Räte
Habt Ihr dereinst noch ein Kind
Gebt Ihm Schnaps zu trinken
Dann wächst es ganz geschwind

 

Die fünf Gebote der Liebe
haben einen Sinn
Wenn man sie beachtet
Winkt der Hauptgewinn

 

Und Letzt und endlich fünftens
Nehmt Euch oft in den Arm
Auch wenn Ihr dabei schwankt
Der Schnaps, der hält euch warm

 

Und Letzt und endlich fünftens
Nehmt Euch oft in den Arm
Auch wenn Ihr dabei umfallt
Der Schnaps, der hält euch warm

 

Die fünf Gebote der Liebe
haben einen Sinn
Wenn man sie beachtet
Winkt der Hauptgewinn

 

Zeit für die süßleckercremige Hochzeitstorte, für knutschende Münder davor und damit in den nächsten Konzertblock. Zeit für passive wie aktive Fesselspiele, Tierlieder und Schnapsbars, heute gar auch im Walzertakt. Immer dabei: tschechischer Inspirations-Spiritus der Marke Becherovka. Chrissi und Kalf schenken aus, ja, und mit glücklichem Schimmer im Gemüt endet die letzte Zugabe, trollt sich die Gästeschar zurück zum zweiten Grillschaf, zur Schnapsbar – trunken, heißblütig und dem späteren Wirtshausbett lang noch nicht erlegen. Vielen Dank, Ihr Menschen aus Birkholz: passt nicht, gibt’s nicht!

 

Lasst uns die Nasen blutig schnarchen (238)


Um dem freitaglichen Stadtstau Leipzigs schlaue Gestirne zu bieten, verladen Doktor Makarios und Doktor Pichelstein die entfernt beheimatete Anlage zur Beschallung des Publikums bereits am Abend zuvor in den Tourbus. Pünktlich will man schließlich am nächsten Tag bei den Anglern in Borgsdorf sein, zu den willkommenen Nachfeierlichkeiten der „Krummen Rute“ im Lindeneck, unweit des brandenburger Havelecks gelegen. Baumfreund Ekmel zeigt sich für die Konzert-Ankündigung der harten Wirtin („Nach der Sommerpause gibt es wieder heiße Rhythmen und coole Drinks im Lindeneck Borgsdorf“) liebevoll verantwortlich; das macht er mit Bravour und dem Geschick eines honorigen Gastgebers. Ein heißer Dank eilt allem an dieser Stelle voraus. Doch noch ist’s lange nicht so weit. Denn die A9 Richtung Berlin erscheint, wie so oft, eitel im Sonnenschein und möchte unbedingt ins Radio-Antenne-Land. Stau, zähfließender Verkehr so um die 20 Kilometer lang. Mit letzter Kraft lenkt Doktor Pichelstein das Steuer zur Ausfahrt ORWO-Stadt Wolfen. Blühende, piepende Landschaften erstrahlen im Bitterfelder Glanz und das eine ganze lange Weile. Wenn nur die Scheibenwischspritzanlage funktionieren würde. So bleibt die Sehnsucht nach freier Sicht, der Unbill auf jeden neuen grünen Käferklatsch und natürlich rückt’s erste Lindeneck-Bier dito nicht unbedingt näher an den Quell des Durstes heran.

 

Kaum zurück auf der A9, hinein in den Berliner Ring, staut es sich wenig schlechter. Gebrochene Ruten und verdrallte Schnüre mögen all jene strafen, die mit geleasten Dickautos in einem todesmutigen Vettel-Leben, nicht unbedingt geprägt von anglerischer Nächstenliebe, für temporäre Unfälle an Baustellen verantwortlich sind. Und, by the way, woher kommen all diese rollenden Ansammlungen holländischer Wohnwagen? Statistisch gesehen müssten auf jeden Holländer daheim mindestens zugleich stets drei unterwegs in den Urlaub sein.

 

 

Endlich da, gut, einmal am Lindeneck vorbei gefahren, um- und endlich eingekehrt. Die harte Wirtin hat schwer zu tun; praktische Zettelberge voller theoretischer Strichlisten verheißen: Der aufstrebende, pokalhungrige Anglerverein „Krumme Rute“ scheint bereits ordentlich getagt zu haben. Es folgen lecker Schnitzelteller, samt und sonders kühle Biere sowie ein Soundcheck im Halbtempo. Die Abordnung des Männergesangsvereins Concordia Teschendorf reicht erste Kräuterschnäpse, wunderbar! Ob nun bald und tatsächlich Lieder wie „Jeder Schluck“ oder „Tote Katzen im Wind“ im Fokus der Proben stehen werden? Wir glauben fest daran und begrüßen nebenher ein neues Mitglied der Pratajev-Gesellschaft aus Berlin. „Ist der Brandenburger eigentlich eine ländliche Ausgabe des Berliners?“ Welche Frage könnte unbeantworteter bleiben?

 

 

Eine Hand gerade noch im Lostopf späterer Räucherfischgewinne, die andere nunmehr am Mikro, begrüßt Baumfreund Ekmel den tosenden Saal. Kerzen werden als Bühnenlicht erkoren, die Feldmänner legen los - ein Eimer selbst geernteter Kartoffeln wird den Doktoren zur Pause überreicht. Rührung steigt, die harte Wirtin im Schankbereich hat gewiss schon Zapfarm. Zu allem Verzettelunglück ist mittlerweile sämtlicher Wodka alle. Gut, mag vielleicht daran liegen, dass die Doktoren darunter wohl gelitten hatten. Weiter geht’s im Set; Katze-Kuh-Yoga-Übungen finden nur in Grün-Berlin-Mitte statt. Hier wird Pratajev gehuldigt und es dürfte ihm alles sehr gut gefallen haben. Hätte es ihn nicht gegeben, müsste man ihn neu erfinden; im Lindeneck wäre promptes Zuhause für eine weite Weile.

 

Das Füllhorn des Abends lässt erste Gäste trunken, stoffgebunden und heimlich entschwinden, mittlerweile wird drinnen geraucht, was das Zeug hält. Kaum einer stört sich dran, aschend wedeln die Arme empor. Doktor Pichelstein wird ein letzter Whiskey auf die Bühne gereicht. Dann: plötzlich, nach dem vorletzten Zugabeblock, ist er verschwunden, der Doktor Makarios an seiner Seite. Doch die Angler rufen nur: „Solo!“ Doktor Pichelstein spielt nicht nur Solo, sondern mit letzter Kraft hinaus ein Lied der nächsten Doctors-Platte. Welches, wird bestimmt keiner der Anwesenden mehr wissen. Sei’s drum. Auf geht’s ins Blockhüttengewerk am Havelufer. Lasst uns die Nasen blutig schnarchen


PS: In Borgsdorf bleiben die Frauen den jungen Burschen erhalten. Das schafft nicht jede Kreisstadt. Muss an den Anglern der Krummen Rute liegen, ganz sicher!

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