Krásná žába - schöne Frösche (242)


Die braunen Entenweiber auf der Moldau schnattern sowohl Doktor Makarios (Kajüte 32) als auch Doktor Pichelstein (Kajüte 34) auf dem Botel wach. Natürlich, kein Wunder. Bereits ab halb 10 scheint die Sonne so, als wäre bereits erneut Frühling im Anmarsch. Bunt gefiederte Erpel geraten schwärmerisch ins Grübeln: „Schon wieder Paarungszeit? Warum nicht.“ Doch weit gefehlt; alle Entenweiber wissen’s besser und hacken erfolgreich zurück.

 

Auf dem Frühstücksdeck versucht sich Doktor Pichelstein mit einem herkömmlichen Schmiermesser am kunstvollen Zerteilen störrischer Backwaren. Bald regnet es allenthalben Brotbröckchen hernieder, obsiegt die Erkenntnis, dass nur böhmische Scharfmesser in der Lage sind, frische Hörnchen in bestreichfähige Zustände zu versetzen. Sehnsucht und Jieper auf leckere Chlebí?ek wachsen. „Mein Doktor, vor dem Frühstück ist nach dem Frühstück, wir müssen los“, ist dann auch der gerechte Satz nach Erwerb eines 24-Stunden-Tickets für sämtliche, öffentliche Prager Verkehrsmittelchen. Motto übrigens: „Flott durch die Stadt“. Aber wer will das denn?

 

 

Auf geht’s nach einer Portion Sonnendeck hinein in den Konzerturlaub. Denn: Man will und darf ja wenigstens auch ein bisschen Praha 1-Tourist sein. Chlebí?ek auf dem Wenzelsplatz, Karlsbrücke und Moldauufer lassen grüßen; hier ein Gulášová, dort ein Pivo dazu. Oder beides zusammen, schmeckt am besten. Karl Gott! Neue CD! Ganze Schaufenster schnappen daran über, Eindrücke überwältigen. Doktor Makarios erweist sich mal wieder als wahrer Gourmetentdecker. Aufgepasst werden muss nur, dass keine hörige Reisegruppe (Schirm voran) einen als Gefangenen mit in die Khakihosen-Herden reißt. Diese armen Menschen. Grausame Anführer rufen stadtführend ins Headset, Ohrstöpsel transferieren Informationen; am Revers der Herdentouristen steckt ein Empfänger. Echt Hightech. Dumm nur, wer ein Hörgerät trägt, daran zeternd leidet, wie die paarungsbereiten Frühlingserpel auf der Moldau. Und wie sie fließt und glitzert, wie Bötchen auf ihr fahren, schwarze und weiße Schwanenpaare Kreise ziehen. Eigentlich möchte man gar nicht auftreten heute, vielleicht noch ins nächste Restaurant verschwinden, all das. Doch Schluss, solchen Gedanken sollte nicht nachgehangen werden. Heute ab 20 Uhr: The Russian Doctors zum wiederholten Mal im Oka, in Žížkov – wunderfein war’s dort bisher immer. Schön, dass aus gestrigem Anlass alles Equipment dort bereits auf der Bühne steht. Es folgt ein Nachmittagsschlaf, folgen Botel-Pivos auf dem Sonnendeck beim Untergang des orangenen Feuerballs. Möwen umsegeln den Angler bei seiner harten Arbeit in der Flussmitte. Absurd: Junge, rudernde Menschen in Kajakbooten lassen sich von anderen, via Motorboot-Megafon, zusammenschranzen. Das möchte man nicht haben.

 

 

Später im Oka: Jarda hat’s eilig mit dem Soundcheck; einem Šaman obliegt es aber an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Im eigenen Club, dem Nuclear Bunker, ebenso wie hier im Oka. Wie schnell doch alles geht! Nur: Wenn in einem Bandvideoportal die Überschrift „Live vom Bunkr Praha“ geschrieben steht, tjaha, dann habt Ihr Bands das Mitleid der Doctors. Und durftet wohl nicht ins Oka, wo sich langsam die Tische besetzen, Zuzana, Phil, erneut zur Freude: die Nürnberg-Delegation, Azalea So Sweet und gar eine der Berliner Pratajev-Sektionen eintreffen. Ebenso fast vollzählig versammelt: Die Band Secret 9 Beat, deren neue CD zwar noch im Taufbecken verweilt - mit Producer Phils Hilfe indes gewiss schon bald das Gott’sche Karelgen in Punkrock eingehaucht wird. Es kreisen die Rauchwerke, noch ein Becherovka an der Theke und los geht’s mit dem ersten Set: Männer die am Feldrand stehen…

 

Selten waren Doktoren so fotogen wie heute; ein Kulturschaffender in Leipzig-Lindenauer Tracht dreht mal gleich einen ganzen Film samt Interviews am Schluss und stellt Doktor Pichelstein u.a. folgende Frage: „Was hast du vor der samtenen Revolution über Prag gewusst?“ „Das lässt sich auf wenige Ebenen reduzieren“, wird der bereits sehr angeschlagene Schnellgitarrist zu später Stunde antworten. „Pan Tau, tschechische Märchenfilme, Luder in Hackschuhen und natürlich Becherovka.“

 

 

Am Ende des 2. Konzertsets, die erste Gitarrensaite riss darin im Überschwang recht bald, wird schnell klar, dass es heute mit wenigen Zugaben nicht getan ist; die Wirtshaustochter trägt emsig Durstlöscher gen Bühne, ausgegebene Pratajev-Texte in tschechischer Übersetzung werden bereits heftig singend rezitiert. Aus dem Nebenraum eilen die Menschen bis nach ganz vorne. Die Spendendose für die notleidenden Wirtsleute von Miloproschenskoje enthält gar zwei T-Shirts mit lauter schönen Fröschen drauf. Ist doch tatsächlich ein echter Froschzähler, ein Feingeist Pratajevscher Fluss- und Agrarromantik, im Publikum. Dafür und zum Schluss kann’s nur eine letzte Ode geben: Das Lied vom gelben Fettfrosch. „Pivo ist das Brot für die Tschechen“ ruft noch einer, bevor ihn Gevatter Schlaf zu sich holt.

 

 

Fotos 2-4: Zuzana Oplatková

Peperoni zum Naschen (241)

Welch gute, perfekte Idee einen so genannten „Off-Day“ gehabt zu haben, ein paar Stunden Heimatliederruhe. Gute Gelegenheit sich der Erschöpfung hinzugeben, Wäsche nebst Tourgefährt zu wechseln, Medizintasche komplettieren. Auf Anraten seines Sängerdoktors huscht Pichelstein rasch noch auf eine Tube Traumeel (Werbeslogan: „Wenn Sie es übertrieben haben“) in die nächst beste Apotheke. Und tatsächlich: Belladonna rettet des Doctors Gitarrenarm in sanfter Nachhaltigkeit.

 

Die A17 Richtung Prag ist kein Ort zum Verweilen. Bevor sich Radio Antenne Sachsen endgültig, dem Tunnelfunk weichend, aus dem Äther verabschiedet, bettelt der Puhdys-Sänger um Liebe und krakeelt sein Ansinnen mächtig heraus. An letzter Offerte wird eine Vignette erworben und fachmännisch ans Auto geklebt. Zwischen deutscher und rein tschechischer Autobahn hat sich nicht viel geändert. Auf geht’s mittenmang wie immer durch grüne Landgefilde, kleine Städte, eingeklemmt in mäandernden LKW-Wänden. Stürmisch ist’s - auf geht’s nach Prag und genauer zunächst einmal ins Botel Racek, nach Praha 4. Im Schritttempo befolgt Doktor Pichelstein korrekte Anweisungen des Navigators Makarios; ohne Umschweife (gut, den ein oder anderen Luderstau an diversen Ampelanlagen gilt es zu überstehen) wird’s Moldauschiff erreicht. Einchecken, Kajüten besiedeln – das erste Pilsener auf dem Sonnendeck, welches seiner Bestimmung glorreiche Ehre verschafft, wird vom Kellnerzauselmann prompt geliefert. Die Sonne neigt sich dem Scheingewahr zu; duselige, schwermütige Augenblicke später sitzen beide Doktoren samt Gepäck bereits im Taxi nach Žižkov, Praha 3, in die P?íb?nická 8/977. Es wartet: Der Klub Final.

 

 

Phil Shoenfelt wurde bereits auf dem Weg dorthin gesichtet. Da ist die Freude groß, schließlich sah man sich zuletzt beim ersten Goldeck-Zusammenspiel im Leipziger Flowerpower Anfang des Jahres und bei den anschließenden Feierlichkeiten von 25 Jahre Die Art im UT Connewitz. Im Final hockt vor einer Naschschale Peperoni bereits der Tourverantwortliche Jarda Švec in mittlerweile erweiterter Funktion als „producent, zvuka?, um?lec, šaman“. Kaum sitzt man nach feierlichen Brüderlichkeiten, kreist der erste Joint, doch nein, nicht für die Doktoren. Genügsam schlürft sich’s Pivo, schmeckt der Becherovka wie er eben schmeckt.

 

Wann heute genau und vor allem bis wann gespielt werden soll, ist nicht heraus zu bekommen; zunächst wird‘s im Oka Pub tschechisches Gulasch geben. „Nicht weit, normaaaal“, ruft Jarda recht euphorisch. Alles andere tritt selbstredend ein und nach dem Club-Wiederabstieg staunen Makarios und Pichelstein nicht schlecht. Die Pirna-Fraktion! Boris Brutalowitsch nebst Sohn und Silvia (wird man gleich mit Geschenken bedacht: Fotos und das Hörbuch zum Pratajev-Fest 2011 als dicke CDR-Box, vielen Dank!), die Nürnberg-Delegation! Azalea So Sweet! Alle so rein zufällig in der Gegend und allen geht’s prima. Was will man mehr? Genau, einen tadellosen Soundcheck, hernach ein langes, lautes, trunkenes Pratajev-Konzert mit abschließend ausreichend tschechischen Kronen in der Hosentasche. Aber - wir sind in Žižkov, Praha 3, auch nicht im Oka Pub oder auf dem Paruká?ka. Das liegt dankbarer Weise alles noch vor einem – und so ist es am Ende auch egal, was im Final klappt und was nicht. Immerhin funktioniert der DVD-Player an der Bar: Phil Shoenfelt as Charles Cockburn, BBC London, for Culture of the sheep: Pratajev in Prague. Phil, genau, ein bisschen Historie muss sein: Im Interview liest sich das so: “Phil gefiel die inspirierende und kreative Atmosphäre Prags so sehr, dass er im August 1995 permanent dort hinzog. Zusammen mit seiner neuen tschechischen Band Southern Cross nahm er 1997 das Album Blue Highway auf (…)“

 

 

Wie wahr. Und je inspirierter, nebulöser Jarda mit seinen tschechischen Technikfreunden kreativ über den verkrusteten Knöpfen der heute feilgebotenen, prähistorischen Anlage zur Beschallung des Publikums brütet, desto öfter fällt sie in jedem Song für Bruchteile komplett aus. The Russian Doctors spielen tapfer weiter; dem Publikum, mit deutlich deutschem Übergewicht, scheint’s trotzdem an nichts zu mangeln. Es wird ein eher kurzes Konzert, Umarmungen folgen bei Ende und die Nacht zum Mittwoch, auf dem Oka-Freisitz, bringt’s wahre Final. Doktor Makarios gelingt es gar zu später Stunde noch aus der bereits geschlossenen Küche drei Portionen Gulasch zu erhaschen. Es fließt das Pivo, es kleckern die Schnäpse. Keine Frage: man ist in Prag und die folgenden Konzerttage werden es noch mächtig in sich haben.

 

 

Fotos: 2-3 Ulrike Gömmel

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