Iss, was gar ist. Trink, was klar ist. Red, was wahr ist. (471)

 

Guten Morgen, Dresden-Weixdorf! Aufgewacht in der Ferienwohnung am Waldhaus fehlt der Kaffee. Sonst ist alles da. Pichelstein macht das Tischlein-deck-Dich, Makarios geht auf die Jagd. Beute: eine Kaffeekuh. Da hat die frühe Seele ruh. Im Köpfchen wird noch ein wenig Tennis gespielt, konstruktive Gedanken klatschen ans Netz von letzter Nacht. Was hält der Tagesplan vor? Struktur ist ja so wichtig. Vorläufiges Endziel: Lutherstadt Wittenberg, auf jeden Fall das ein oder andere Kilkenny im Irish Harp Pub. Zwischenstationen: Gitarre neu besaiten, Backline aus dem Saal ins Auto wuchten, Landpartie mit viel Nice View, Mittagskulinarik an der Elbe, einchecken im Hotel Best Western Soibelmanns. Gesagt, getan, zu Ende gefrühstückt und sanft aufs Gaspedal gedrückt.

 

 

 

Kaum losgefahren, verbindet sich Pichelsteins Hosentelefon mit dem Carplay des Tourgolfs. Seltsame Klänge ertönen, Makarios wundert sich über den neuen, scheinbar gewandelten Musikgeschmack seines Raketen-Gitarristen. Aber so ist es nun einmal. Wer keine eigens konstruierte Playlist aktiviert, bekommt die Ölpest der Tonkunst auf die Ohren. Weil der Streaming-Anbieter samt Algorithmus völlig danebenliegt. Nun gut, neulich erst Roland Kaiser abgehört, dann Abwärts, Bad Religion, Heinz Rudolf Kunze, Joy Division. Ergibt ein Kerstin Ott-Match. Da hilft nur der Cut, sonst: taub wie Quasimodo. Schon pfeifen Dresdner Dialekt-Vögel durchs geöffnet Fenster hinein, gefolgt von Mundart-Metal-Spatzen, kommt erst der kleine, dann der große Hunger. Grundsätzlich gilt umgekehrt klarerweise: Wer sein Gewicht halten will, muss auch mal essen, wenn er keinen Hunger hat.

 

 

 

Mittags sind die Seußlitzer Weinstuben an der Sächsischen Riviera erreicht. Drei Hauptgerichte locken, die Wahl fällt für beide Doctoren aufs Hirschgulasch. In der Stubenmitte ist für eine zünftige Geburtstagsfeier eingedeckt und da sich der Tross glücklicherweise verspätet, rücken tolle, volle Teller zeitnah an. Guten Appetit.

 

Hinlegen wäre nun wahrlich fein, doch nein, ein gemütlicher Forecheck mit Blitzerobacht am Wegesrand muss sein. Es geht durch Dörfer, Kreisstädte, die – je weiter man die Weinberg-Riviera hinter sich lässt – ärmer, grauer und verlassener scheinen. Selbst manche Elbfähre hat ihren Betrieb eingestellt, was nicht am kürzlichen Hochwasser liegen kann. Da ist es doch ein Segen, am frühen Nachmittag wieder betongebackene wie historische Zivilisation vor sich zu haben. Hallo, Lutherstadt Wittenberg.

 

 

 

Da die Navistimme das Hotel reichlich falsch verortete, wird am Irish Harp geparkt, Chefwirt Jens winkt die Docs zu sich. Gleich mal alles ausladen, danach um zwei Ecken und zu Fuß ins Best Western Soibelmanns. Einchecken, Plastikarte an den Türknauf gehalten, piep machts, endlich ruhen. Nachmittagssschlaf, so wichtig wie der Mittagsschlaf. Reichlich halbgeträumt ist er gefühlte Minuten später jedoch wieder passé.

 

Noch sind die Bürgersteige Wittenbergs nicht nach oben geklappt, flaniert das Touristenvolk andächtig, teilweise in Jacken der Farbe Hornhaut-Umbra gewandet, über Kopfsteine. Jedes Mantra sollte nach Luthers Ghostwriter-Art lauten: „Iss, was gar ist. Trink, was klar ist. Red, was wahr ist.“ Für den mittleren Teil haben die Docs am Abend einen Karton Bulbash dabei, der Rest versteht sich von selbst.

 

Es sei denn, man ist einer offensichtlichen Drogensucht anheimgefallen, geistert bepackt mit Kaffeebohnenpaketen stoffgebunden und verwirrt durch die Pub-anliegende Collegienstraße. Was wird dabei gerufen? „Wollt Ihr Kaffeebohnen? Nur 10 EURO pro Paket, ganz frisch gekauft, kosten eigentlich das Doppelte. Ich nehm auch 5 EURO.“ Soviel zum Kaffee-Dealer von Wittenberg, der einem beim nächsten Aufeinandertreffen gewissentlich eine App verticken möchte, bei der mit verstorbenen Angehörigen gechattet werden darf. Immerhin kein zum König ernannter Reichsbürger mit einem gelben Karategürtel. Man muss ja heutzutage an jeder Ecke mit allem rechnen.

 

 

 

Bühnenaufbau und Soundcheck sind rasch erledigt, das Kilkenny fließt, die Pizzaräder munden. Beim Draußenrauchen hört man’s klappen. Ah, die Bürgersteige. Die Stadt ist so leer, als hätte es eine Godzilla-Warnung gegeben. Nur der mutige Weg ins Irish Harp bleibt offen.

 

Und so strömen sie hinein, die Gäste. Der Eintritt ist frei, was wegen der Fülle zu einem beständigen Rein und Raus führt. Mittenmang startet das Konzert. Makarios‘ glühende und mächtige Stimme aus Eiche und Zistrosen, ausgestanzt mit pratajevschen Verlockungen, kündet den Abend an, Pichelstein legt sich ins Gitarrenzeug. Auf zu positiven Beifall-Lehrstunden des sozialen Miteinanders.

 

Über Konzerte im Landkreis Wittenberg kann gesagt werden: Das Publikum, die durchtrainierten Pub-Legenden, sind immer da, verstecken sich aber, und so kommt großer Beifall immer erst aus den hintersten Ecken. Während die Menschen direkt vor der Bühne andächtig mit den Füßen wippen. Das sind aber in der Regel diejenigen, die hinterher die meisten Platten und Bücher mit nach Hause nehmen. Dann gibt es noch die wochenend-verdorbenen Jugendlichen. Ihre große, weil einzige Kunst besteht im Verlauf des Abends darin, Joseph Beuys-artige Sprühflächen an Klowänden zu hinterlassen. Verwendetes Material: Burger, Döner, Testosteron. Und ein bisschen Haribo.

 

 

 

Um so einen Abend in ein rauschendes Fest zu verwandeln, müssen früh Konzertstufen gezündet werden. Also los mit der Pratajev-Domina-Hitparade, durchschlagen! Pichelstein donnert in die Saiten, Makarios lässt die ruhigeren Stücke weg. Es wird lauter, geht doch. Als noch vor der Pause „Die Heilung“ kommt, doppelt so lang, mehrfach gewollt zu schnell, ist der Bann gebrochen. Schnapsbar!

 

Wieder auf der Bühne braucht es eine Weile, bis daran mit wunderbaren Szenen angesetzt werden kann. Pratajevs Gefolge macht sich frohen, trunkenen Gemüts auf den Weg zum Katzenbaumdorf, die Pub-Legenden singen mit, takten den „Schlips aus Lurch“ durch und schicken die Docs am schweißnassen Ende in gleich drei Zugabeblöcke hinein. Gitarren-Stuntman Pichelstein wird Rum gereicht, bis es auch in Lutherstadt-Wittenberg heißt: „Geh heme, meine Kleene.“

 

 

 

Denk an Dortmund (470)

 

Das Eis nicht, die Sonne glänzt über Märzenbecherwiesen und Krokusse. Erste Motorradfahrer rasen sinnlos wie todeslustig von Blüte zu Blüte, die Doctoren haben die Gemarkung um den Dresdener Flughafen im Visier. Nach vierjähriger, zumeist coronageschuldeter Tradionspause, lädt die Feiermanufaktur im Waldbad Weixdorf zum nächsten Wintergrillen ein. Während der Fahrt wird fleißig in Erinnerungen geschwelgt, aus Tourbüchern zitiert, immer war Fürst Fedja mit von der Partie. Heute leider nicht. Der Tourmanager erholt sich weiterhin von illustren Reha-Strapazen, stellvertretend sind dabei: einige Kartons Bulbash. Die schweigen auf den hinteren Plätzen und klappern ab und an zum Gruße.

 

Glücklicherweise kommt die Anreise ohne lästigen Stau aus, wird rasch Parkfläche geschaffen, um die Backline samt Wodka Treppe abwärts in den Konzertsaal zu hieven. Techniker Mario frickelt bereits an der Anlage herum. Bühnenaufbau und Soundcheck gestalten sich ähnlich kompliziert wie ein zweiteiliges Puzzle mit Katzenaugenmotiv. Umso mehr bleibt Zeit fürs erste Kaltgetränk, den Merchaufbau, gepflegte Konversation mit Gerd, dem Chefwirt vom Dienst. So ganz nebenbei wird erörtert, dass sich knapp über 100 zahlende Gäste Vorverkaufstickets sicherten. Bedeutet: ausverkauft, Waldbad-Rekord geknackt. Darauf das nächste Kaltgetränk für Fitness-Granaten. Während die Sonne sich anschickt, rund ums Wasser sanft zu entschwinden. Kraft hat sie noch nicht, aber schön sieht’s allemal aus.

 

Der Saal füllt sich, der Grillmeister ruft draußen zur ersten Schaschlik-Runde. Reiht man vier davon aneinander, ist ein herkömmlicher Fürst-Fedja-Spieß hergestellt. Gesagt, getan. Und Geschenke werden eingesammelt, die gibt es heute auch. Vom Jens, von der Dani leckerste Salami, Danke dafür, liebe Weixdorfer!    

 

 

 

Auf ins Backstage, zu den Trockenblumen hinter der Bühne. Dann eine kurze, feierliche Pratajev-Vortragslyrik (statt Intro), schon startet die erste wilde Runde mit dem Wind, der den Atem anhält. Noch sitzen die meisten zu Tische, was sich beim vierten Titel („Wodka Wodka“) komplett ändert. Cottbusser Fraktionen, Chemnitzer, Leipziger, Berliner, Einheimische rücken ran. Die Kellnerin hat Mühe, Tabletts unfallfrei durchzubringen. Und dann hat ja noch wer Geburtstag, richtig.

 

Anlass genug, mal wieder eine Sachsenschlager-Weltpremiere vom Stapel zu lassen. Sie passt sehr gut zu einem Geburtstag, Titel: „Dorte die Torte“. Oder wie Doctor Pichelstein falsch singt: „Torte die Torte“, Korrektur vom Makarios beim Bridge-Gitarrenlauf: „Denk an Dortmund. Dorte, Dortmund.“ Im letzten Refrain klappt’s dann auch mit dem Sächsischen. Weiter geht’s im neuformierten Set. Von der Kulinarik bis zum Fetischlock mit der Fackelgitarre in der „Harten Wirtin“. Rekord erneut verbessert.

 

Pichelstein pustet, das Publikum dampft, tanzt und singt sich bis zur ersten Schnapsbar vor. Das rettende Pausenufer ist erreicht. Beifall ist Bulbash für die Seele! Rasch noch die halbvollen Gläschen leeren. Nicht, dass noch eines verschwenderisch umfällt.

 

 

 

19,57 Minuten später lockt Makarios mit dem „Baffen“ alle wieder retour zur Tanzfläche. Pratajev geht mit Übertreibsand auf Wanderschaft, viele müssen mit. Vom Satten über den Gärtner, vom Wanderer bis zur Schwimmerin. „Sie kommen an ein Dorf …“  Makarios braucht gar nicht weiter referieren, die ersten rufen bereits: „Tote Katzen“. Und richtig. Der Moment ist erreicht, an dem Pratajevs Waldhaus-Pilgerer stimmliche Hoheiten übernehmen, sich mit imaginären Lurchlederschlipsen schmücken, Biber fangen, Ratten herzen, Kühen gutes wünschen. Alle sind komplett drüber und das ist gut so, gut so, gut so. Schnapsbar, Verbeugung, Zugabe-Rufe, gern geschehen, Männer, die am Feldrand stehen.

 

 

 

Ein heftiges Wünsch-dir-was setzt ein. Und wie eh und je heißt es für die Doctors an dieser Stelle: Am Ende der Kraft ist immer viel Weg übrig. Auf geht’s: "Tasche auf, Tasche zu", "Löcher im Strumpf" und was noch alles. Statt einer dritten Triebfeder-Schnapsbar gibt es heute final eine dritte Schnapsbar UND einen Sachsenschlager obenauf: "Geh heme meine Kleene". Feierabend. Pichelstein klebt an der Backstagewand, Makarios wird bereits ein Edding gereicht: Plakat unterschreiben! Es ist alles so, wie Pratajev es voraussagte. Bis die letzten Nachttreuen auseinander stromern.  

 

 

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