Hör auf dein Herz

Es sei denn, der Wirt sagt: Es gibt Gelbschnaps

Dann hör auf den Wirt (444)

 

Hinein in den Farbrausch des Frühlings. Nass waren die letzten Tage. Heute scheint die Sonne. Zwar mit etwas Wind drin, doch gefühlt so, als würde ein geblähtes Segel langsam aber sicher kraftlos in sich zusammensacken. 17 Grad stehen auf der Habenseite, Hoodie-Wetter. Selbigen streift Doctor Pichelstein nach der Begrüßungskaltschale im Krause-Biergarten ab. Darunter kommt ein Connewitz-Shirt zum Vorschein.

 

„Was trägt man denn in Reudnitz?“ will die Runde wissen. Vermutlich ukrainisch Blau-Gelb. Obwohl Blau-Gelb für Lok Leipzig steht. Und damit beinahe jeder Stromkasten gestrichen ist. Das nennt man „Revier markieren“. Früher reichten Aufkleber an Masten, Haltestellen oder Laternen. Nicht so in Reudnitz, Probstheida und sonst wo. Da rücken sie mit dem Farbeimer an. Apropos Aufkleber. Wenn man irgendwo auf der Welt aus einem Verkehrsmittel aussteigt, ganz sicher prangt auf dem nächsten Schild ein Hansa Rostock-Label. Auf jeden Fall immer dort, wo die Lokisten mit ihren Farbeimern niemals hinkommen.

 

So viel zu Lok, denn die Krause gehört den Chemikern und dem Roten Stern. In Connewitz, wo Väterchen Batman und Mütterchen Marienkäfermann Hand in Hand gehen und über den Unsinn des Lebens lachen. Wo die Veganerin dem Fleischer pochenden Herzens in den Aufschnitt stiert. Wo die Tauben Blaumann statt Frack tragen. Und die Nachbarn auch nicht mehr das sind, was sie mal waren. Denn ab 22:00 Uhr darf kein Ton mehr von der Bühne kommen, keine elektrische Grille zirpen. Wehe, wenn doch. Dann wird 110 gerufen, was so sicher ist, wie das Amen in der Kirche. Oder wie der Ausgang einer Friends-Wette: Wetten, dass Jennifer Aniston in keiner einzigen Folge einen BH trug?

 

Man möchte allen verirrten Nachbarn der Welt folgende Tonträger nach Michael Hirte-Art zum Geschenk machen: „Der Zauber der Trillerpfeife“ und „Sehnsuchtsmelodien auf Hackbrett und Pauke“.   

 

 

 

Nun denn. Der Biergarten, in dem schon legendäre Schlachten der Abendunterhaltung begangen wurden, ist voll besetzt. Emsiges Abfüllpersonal nimmt Bestellungen entgegen. Soeben ist der Soundcheck zum 444. Konzert vergoldet worden und die Punk-Doctoren Apollo Muffler, Makarios und Pichelstein laben sich an leckersten Schnitzeltellern im Krause-Inneren. Herbergsvater King Peter höchstpersönlich sorgt für den Becherovka danach, Pratajev für die Lyrik, und die geht so: Hör auf dein Herz / Es sei denn, der Wirt sagt: Es gibt Gelbschnaps / Dann hör auf den Wirt.  

 

Leicht besudelt wandert man zurück in den Biergarten, wo die Doctors-Gilden aus Borna, Berlin, Dresden usw. sich mit den Leipzigern verbrüdern, bzw. verschwestern. Noch zwanzig Minuten, dann darf das Gaspedal durchgedrückt werden. Noch neunzehn, achtzehn … und ab dafür. Los geht’s mit einem Schnellgitarre-Block, mit dem Wind, der den Atem anhält.

 

 

Bereits nach dem „Katzenstreichler“ gibt’s im Publikum kein Halten mehr. Menschen, so weit das Auge reicht, drücken sich mittlerweile Richtung Bühne. All das gemahnt ein wenig an eine Comicszene des großen Robert Crumb. „Löffel aus Holz“ und „1.000 Nudeln“ bilden den Abschluss der akustischen Vorhut. Zeit für Doc Apollo Muffler sich hinters Schlagzeug zu klemmen: „Wiege Deinen Rumpf!“    

 


 

Licht spielt mit den Bäumen, Schweiß fließt mehr als Schnaps gereicht wird. Erst nach „Lila Nina“ verquicken sich Wodka und Bühne von einer Punkweise in die nächste. Alles wird dankenswerterweise mit Applaus heftig überzuckert. „Der Gärtner“ und „Die Schnelle“ bilden den Schluss zum Anfang des ersten Zugabeblocks, denn „Sie hatte das Herz am richtigen Fleck / Das wusste auch ein Mann / Er sagte zu ihr / Komm wir fahren hier weg / Mit der Straßenbahn …“ Bis das Schlagzeugkraftwerk Apollo Muffler, die Gitarrenpipeline Doc Pi und der Sangespuls Doc Makarios kurzweilig entschwinden und in Reinform elektrisch draufsetzen, was es draufzusetzen gilt: „Wodka Wodka“, „Geh Heme meine Kleene“, „Schnapsbar.“ Jede Sekunde bis 22:00 Uhr will mit großem Getöse ausgekostet sein. Was zu einer letzten Fetisch-Akustik-Session führt. Zu „Gefesselt“ und „Beim Bücken“.

 

Danach ist Schankschluss, das Publikum streunt auseinander, die Sorgen des Lebens blättern wie alter Lack von einem ab. Heureka! So schön. Alles Gold und Glück ist für den Moment gefunden und darf gestreichelt werden.

 

   

Und Pratajev hörte, dass der Punk gut war (443)

 

Frühling in Leipzig. Ostern ist vorbei, die Wintergeister sind feurig erledigt. Zartrote Kirschblüten stehen in voller Pracht, daran vorbei saust Doctor Pichelstein Richtung Bandhaus wie in einem Film Noir. Es regnet, stürmt und das fast alleinig in Sachsen. Im Rest der Republik herrscht eitel Sonnenschein. Ein obdachloser König schiebt Verantwortung vor sich her, einen Korb vom Konsum mit leeren Sammelflaschen drin. An der Ampel richtet er die Krone der Erschöpfung; schon biegt der Pi.doc nach dem Umkurven des Spinnerei-Geländes scharf links, scharf rechts in die Saarländer ein. Heute im Kalender: Generalprobe mit Publikum ohne Wodka aber mit Frank The Tank. Und einigen anderen.

 

Wofür das alles? Für die Krause, die Frau Krause; in ihrem gesegneten Biergarten findet in zwei Tagen das 444. Konzert der Russian Docs statt. Nach zweimaliger Verschiebung aus Gründen. Ach, da wird man glatt wehmütig. Ohne Verweilverbote, Corona und Co. hätte bald das 500. Konzert in petto sein können.

 

Neulich war noch eines geplant, doch aus Gründen wurd’s verschoben. Anlass genug, die heutige Punk-Generalprobe als 443. Konzert zu küren. Ein 443. Krause-Konzert klingt bei weitem nicht so romantisch wie ein 444.

 

 

 

Eigentlich proben die Doctors nie gemeinsam. Sie trinken lieber, dinieren beim Pläneaushecken. Ansonsten bereitet sich jeder für sich auf die Bühnenarbeit vor. Pichelstein spielt (zur grenzenlosen Freude der Nachbarn im Haus) vorher mindestens drei Stunden Schnellgitarre, Makarios wärmt das Erdfeuer des Pratajev-Herzens mit einem zünftigen Mittagsschlaf. Außer: es geht mit großem Getöse auf die Bühne. Mit den Punkdocs, was leider viel zu selten vorkommt. Mit Doctor Apollo Muffler an den Drums.

 

Wenn so etwas vorkommt, soll es gut klingen. So kommt es, dass an einem Donnerstagabend im Leipziger Bandhaus das gesamte Line-up vor klandestiner, klatschender Menge gespielt wird. Zwar mit wodkagetränkter Körpersprache, doch eher an Colaflaschen saugend. Eine Stunde dauert die Reise, dann öffnet sich der Genesis-Himmel und Pratajev spricht: "Es lebe der Punk! Ich hörte, dass der Punk gut war."

 

PS: Ein herzliches DANKE an das Bandhaus Leipzig fürs Proben, die Kulinarik, die Technik uvm. Viel Liebe und Wodkabooster!

 

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