tour_tagebuch
Reg dich nicht auf, wenn es mal regnet (304)
Wieder einmal wird der Versuch unternommen, Holland vom Tomaten-Weltmarkt zu verdrängen. Von gleich zwei Balkonen und zwei Dachterrassen greift das nächste Doctors-Umfeld an. Doch selbst wenn Oranje auch in diesem Jahr nicht in die Knie geht, so dürfte bei allem Verzehr der gesunden Produktpalette (von rot nach schwarz bis gelb und bunt) besagtes Umfeld gesund und munter in den Herbst stürmen – zumindest wird sich die schnapsgeschuldete Übersäuerung in Grenzen halten. All das ist Thema auf der Fahrt Richtung Pirna. Von Hungerästen ist ebenso die Rede; der BMW eilt allen davon und steht nach knapp über einer Stunde vor der Langen Straße 36, Routennummer 5 auf dem von der Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna mbH angefertigten Kulturflyer namens „Hofnacht“. Oh, wie oft waren die Erben Pratajevs schon hier und immer ging es heiß her. Bis spät in der Nacht den Restbeteiligten stets ein schiefer Turm gewahr wurde. Der schiefe Turm von Pirna. Es wuchs mit den Aufgaben, den Getränken und Rauchwaren. Er wuchs mit den Reden darüber, heilsame Betten gleich erklimmen zu wollen. Aus Dingen in unmittelbarer Nähe wurden weit entfernte Planeten. Dann fiel er um, der Turm und mit ihm der Gast, spie noch ein wenig und weg war die Last. Wollen wir es gleich vorweg nehmen: auch am Tag 1 nach der Hofnacht 2014, bevor die Doctors schweren Hauptes die Heimreise antraten, musste man auf dem Geh- oder besser Stolperweg aufpassen, nicht in derlei Ausgeburten hineinzutreten.

Schwül ist die Wetterlage, glimmend heiß ihr Gemüt. Fürst Fedja, Ulf, der stets edle Mann, beide Doctors schleppen sich einen Schwitzkasten. Ähnlich wie neulich am Albrechtshainer See geht es zu, nur dass bald schon das Unwetter naht. Gerade, als die Bühne steht, der Soundcheck gelungen ist, prasselt es nur so herab. Und obschon eilig eine dicke Plane übers Sonnensegel, über den Hof gezurrt wird, schießen nasse Bäche direkt in die Technik hinein. Keine Steckdose bleibt trocken. Doch weil darauf stante pede der Himmel wieder mit heizender Sonne überrascht, kann zwei Stunden später an den Beginn der Hoffestspiele gedacht werden. „Reg dich nicht auf, wenn es mal regnet“, getreu diesem Pratajev-Motto sorgt man dafür, dass es so sein wird. Und trinkt erst mal einen guten Schluck.

Unten an der Schänke stehen die Menschen bereits Schlange, Soljanka-Düfte locken sie zu hunderten her und als das Gedränge immer heftiger wird, entschließen sich die Doctors mit den „Feldmännern“ Gas zu geben. Auch heute wird’s ein Saunagang, reißen sogar Gitarrensaiten unter all der Feuchte, spielt sich Doctor Pichelstein in einen Pratajev-Rausch hinein, während Doctor Makarios' textliche Ausflüge unerwartete Spitzen einnehmen. Eine Insel der Liedbeständigkeit taucht ja bei keinem Doctors-Konzert auf. Der große Bob Dylan lässt grüßen. Zwischendrin schwappt immer mal wieder eine große Galone Regenwasser, das sich auf dem Plastedach ansammelte, aufs Publikum herab und so ist für Abkühlung und spitzte Schreie gesorgt. Fürst Fedja, Versorgungsgetränkeoffizier der Erben Pratajevs, reicht gefüllte Gläser zur Bühne. Nicht jedes erreicht den richtigen Adressaten.
Pause muss sein, Doctor Pichelstein ist froh über das vom Fürsten ausgeliehene lachsfarbene Frotteehandtuch. Nach eifriger Benutzung sinkt es schwer zu Boden. Dann geht’s weiter an der Russenfronst, der „Wanderer“ fällt einer erstaunlichen Darbietungsvariante anheim, „Beim Bücken“ wird zum Kinderlied im doctoresken Falsett und insgesamt ist’s eine feine Sause, die noch Stunden später nicht zu Ende ist. Was man von der Kaisermania, der heutigen Konkurrenz der Doctors im benachbarten Dresden, nicht behaupten kann.

Nächstes Mal im Bademantel (303)
Wetterkapriolen, wohin man blickt. Einmal ist die Rede von Unwettern, die gar nicht vorkommen, dann wieder ist die Rede vom Lande Garnichtvorkommern, in dem es plötzlich blitzt, donnert und wie aus Kübeln schüttet. Wer nicht auf dem Berge wohnt, wird weggeschlammt. All das liegt keineswegs an einem Phänomen namens „Erderwärmung“, denn es ist gerade Hochsommer. Da ist die Erde naturgemäß wärmer als im Winter. Solche Sätze hatte einst nur einer drauf: Jörg Kachelmann. Doch seit dessen TV-Präsenz sich eher aufs Juristische beschränkt, ist eh nichts mehr wie es war. Mit dem Wetter, mit der Gerichtsreporterin Frau Schwarzer, um die es auch stiller geworden ist. Warten wir mal den sie betreffenden Steuerprozess in Bälde ab. Will heißen: auf nichts ist mehr Verlass, wenn selbst die Ikone der Emanzipationsbewegung (so der Vorwurf) die Bücher Schweizer Banker stopfte. Was soll noch passieren? Vielleicht ein Coming-out des Papstes.
So reisen die Doctoren heute bei Luftfeuchtigkeiten, die sonst eher im asiatischen Raum anzutreffen sind, unter sengender Hitze an den Albrechtshainer See. Ins von Leipzig nur marginal entfernte Indien, nein, falsch: Naunhof. Tourmanager Fürst Fedja jagt und buckelt über Pisten, denn die Einfahrt zum Open-Air-Gasthof Treibholz ist nicht unbedingt Teil des vorab sorgfältig ausgedruckten Anreiseplanes. Auf Navigationsgeräte verzichten die Doctors. Einerseits weil die weibliche Ansagestimme vor allem in den Slums von Kalkutta, Verzeihung, in ländlichen Regionen unseres geliebten Freistaates, sich gerne über den Stand der Dinge ausschweigt. Andererseits: wenn sie was sagt, sagt sie gerne: „Bitte wenden“. Obschon die Map-2014er Version aktuell wie eine täglich Bildzeitung ist – wieder ein Beispiel für die Ölpest, die wir jeden Tag in Sachen Technik und Fortschritt erleben: Alle Möglichkeiten jedweder Annehmlichkeiten sind durchaus vorhanden. Nur die Umsetzungen werden, zumeist durch mangelhafte, sehr mangelhafte Verbreitung von GPS bis Internetz nur in den Ballungsräumen rund um Mumbai, falsch, falsch – Leipzig oder so - nie klappen. Es geht also weiterhin zu wie in einem großen Kraftraum: Zum Glück muss man sich hochschuften.

Dann ist die Idylle erreicht, die Technik lagert auf Bühnenelementen, darunter feuchter Grund. Dem großen Hallo folgt rasch das erste Kaltgetränk, der Soundcheck ist ein Kinderspiel. Mit großkalibrigen Sonnenbrillen wird die Aussicht genossen, denn die ist wirklich toll. Man blickt genau auf den See, sieht Urlauberinnen drin schwimmen und freut sich auf gutes vom Grill genauso darauf, dass ein Großteil der Bierbänke reserviert wurde. Wird also voll heute Abend, na dann los in den ersten Konzertblock. Kinder springen durch die Gegend, manche Stoffkatze wird präsentiert. Ganz in Erwartung des Pratajev-Hits „Tote Katzen im Wind“. Bereits in der Schnittstelle von Land- hin zu Medizinliedern schwitzt Doctor Pichelstein Bäche. Die Auswahl einer schwarzen Stretchhose war vorab genauso fatal wie das Vergessen eines Handtuches. Oder meinetwegen eines Bademantels. An den unteren Rändern der mit Sehstärken angereicherten Sonnenbrille bilden sich Pfützen. Manche Mücke rutscht vom Schleimarm glatt ab. Obschon Doctor Makarios justament verkündet hatte, dass die Armschleimkrankheit hier draußen heute keine Chance haben würde. Sehr froh, ob der ersten Pause, schleppt sich Pichelstein an den nächsten Tisch und tropft keuchend vor sich hin. Fürst Fedja umsorgt ihn lyrisch wie becherfein: "Trink schnell, mein Guter". Pichelstein trinkt schnell, egal, was es ist.

Dann die Rettung: Ein lilafarbenes Handtuch wird gereicht. Es duftet nach Lavendel und einer unbekannten Dame sei hiermit nachträglich großer Dank dafür zugesprochen. Es folgt der nächste Konzertblock, schnell, schneller sausen die Finger über pitschnasse Gitarrensaiten. Makarios‘ Gesang wird an manchen Passagen gleich dreimal umrundet. Bis die Scheinwerfer mittlerweile den Sonnenball ersetzen, man eins wird mit dem See da vorne und wild und furchtlos über den aufgeweichten Boden Kreise zieht. Es folgen die Zugaben, noch einmal heißt es „Jeder Schluck ist ein guter Schluck“, Fürst Fedja reicht Kümmerlinge und am Ende sitzt man so da: nass, zufrieden und fröhlich lächelnd. Natürlich nahe der Schnapsbar. Möge das nächste Gewitter ein wenig Abkühlung bringen. Nur nicht heute.
