Unter Veterinären (278)


Wenn das erfolgreich beendete Studium der Tiermedizin satte 20 Jahre zurückliegt, ist ein bunter Ehrentag überfällig. Und wen lädt man sich dazu ein? Natürlich Pratajevs Erben, The Russian Doctors. Besonders, wenn das Ehrenmitglied Nummer 38 der Pratajev-Gesellschaft, in hehrer Funktion als Pferdelungen-Transplanteur, mit der Organisation des Ganzen betraut wurde.

 

So ist die Freude groß, als das Brauhaus Napoleon, unweit des Leipziger Völkerschlachtdenkmals, vom Tourtross angesteuert wird. Teilausgeruht von den Umständen des gestrigen Chemnitz-Ausfluges, das Geschimpf zweier Wellensittiche noch im Ohr, folgt die Einführung in den Ablaufplan, werden Kisten, Boxen, Gitarren in eckbühnenreiche Positionen gebracht. Schon flitzen die Kellnerinnen, reichen Kaltgetränke und Speisekarten. Ein Weg rauf, einer runter. Napoleon selbst, als strammer Uniformist in Nebentätigkeit unterwegs, versprüht Glanz, Gloria und auch Untergang. Shiva hat wenig später Glück, als einer der rennenden Servicekräfte ein Tischtranchiermesser von einem mit allerlei Schwein behafteten Teller entgleitet. Knapp verfehlt es sein Ziel. Blut wird indes nicht vergossen; die Schlacht findet ausschließlich vor jetzt anrückenden Tellermanövern statt. Lecker ist’s, es mundet fein, so darf es für die Doctors immer sein. Denn, wie gestern im Subway to Peter bereits in Dauerschleife festgestellt: so gesund und munter ein vegetarisches Mahl auch sein mag, es führt nur dazu, hinterher gleich wieder Hunger zu haben. Nennen wir das mal den Mc-Donalds-Effekt.

 

 

Das Konzert sieht mehrere Blöcke vor; so legen sie dann los, die Herren Makarios und Pichelstein. Zarte Beifallswogen branden darin; sobald die weitläufigen Pratajev-Themen Schnaps, Tiere, Veterinäre gestreift werden, ist die Aufmerksamkeit besonders munter. Im letzten Part ist Platz für den Fetisch und so schunkeln sie alle dahin, in Worten, Werken und Taten. Beim Bücken. Völlig verschwitzt danken die Doctors, verneigen sich vorm Applaus, um sich in kollateraler Erschöpfung an erfrischender Biergartenbrise zu laben. Einer arbeitet noch, Fürst Fedja. Mit einer Engelsgeduld wird kauffreudigen Veterinären der Inhalt einer jeden Russian-Doctors-CD bereitwillig erörtert. Verkaufsschlager, natürlich: „Tote Katzen im Wind – Lieder eines Veterinärs“. Möge die geneigte Kundschaft Pratajevs Weisen in bisher verschlossene Welten hinaustragen.

Rhabarber an der Schnapsbar (277)


Zurück zu den Wurzeln, auf ins Subway to Peter. Club der Eroberung aller Pratajev in Chemnitz-Geschichten. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein; befüllt mir Borna-Eula-Tankstellenwürsten verträglichen Ausmaßes steuert Fürst Fedja den Weißrussenpanzer gen Leipziger Straße, dann immer geradeaus, abbiegen nicht vergessen. Es ist Oberbürgermeisterwahl; die plakatierten Kandidaten sehen allesamt so aus, als glaubten sie das, was als To do-Liste unter ihrem Konterfei prangert, tatsächlich. Nur die amtierende Rathaus-Chefin verzichtet auf Gewäsch, auf Kofferworte wie Sicherheit, Familie, Natur. Ein Slogan wie: "Wählt mich" reicht vollkommen aus. An einer Ampel beißt eine Freundin des Theaters herzhaft in einen Apfel, kurbelt die Fahrerscheibe runter und ermuntert den Pratajev-Tross ihr doch bitte zu folgen. Doch nein, das geht natürlich nicht. Lächelnd geht’s links ab. Im Schlagerradio versucht derweil eine Baumarktkette sich an, Zitat: „nachgewiesenen Flutopfern“ schadlos zu halten. Werbung mit der Not. Unglaublich. Die Konzertbesucher der Russian Doctors haben übrigens auch schon gespendet; letzte Woche wurde die Miloproschenskojer Wirtsleutekasse geplündert und komplett nach Grimma überwiesen.

 

Die Tradition, dass es im Subway erst so gegen 23 Uhr mit den abendlichen Konzerten losgeht, wurde vollends verdrängt. So trudelt nichtgrillwilliges Volk an diesem feinen Sommertag entsprechend spät ein. Schön anzusehendes Weibsvolk wird gleich zur Begrüßung mit „Na du Drecksche“ umgarnt. Bis dahin gilt es, die Bühne spielfähig zu machen, frisch vom Händler eingetroffenen DIE ART-Wein dem Merchstand zuzufügen und sich allerlei Unsinn zu berichten. In mindestens zehn Jahren wird es nämlich so weit sein, dass die Nahrungsverweigerung studentisch angeführter Randgruppen ihrem Höhepunkt entgegen strebt. Gegessen wird dann gar nichts mehr. Weder das, was vom Baum gefallen ist, noch das, was nur so aussieht, als wäre es ein Mett-Igel.

 

 

Nachdem das Intro verklungen ist, legen die Doctoren los und werden aufs Äußerste belohnt. Denn wenn ein Konzert spät beginnt, sind große Teile des Publikums bereits nach der dritten Pratajev-Weise betrunken und in entsprechender Feierlaune. So muss es sein! Selbst Doctor Makarios, Erfinder und Verkoster verschiedener Tonic-Mixgetränke, verspürt dieses Sujet am eigenen Leibe. Doctor Pichelstein dagegen, das ist hinlänglich bekannt, treibt das Spiel mit den kleinen und großen Gläsern, erst voll, dann leer und wieder voll, stets zu Höchstleistungen und so ist es kein Wunder, dass am Ende wieder einmal Finger bluten, Plektrums in die Menge fliegen und ein Kübel Schwitzwasser aus den Poren rinnt.

 

Der vorab abgelegte Schwur, heute keinen Knoblauchschnaps zu trinken, hält sich die ganze Nacht. Aber! Im Subway gibt es eine neue Bar-Köstlichkeit. Rhabarberschnaps. Zwischen zwei Mexikanern serviert, ein sinnvoller Genuss fürs Intervall. Dann ist Pause. Neues in Sachen Geocaching wird Pichelstein erörtert; die Fraktion der Feldrandfrauen und Männer könnte in Zukunft gar Rümpfe wiegen. Gefunden werden müssen: The Russian Doctors. Makarios und Pichelstein harren derweil, wohl gelitten, ihrer Dinge in einem sanierten und prächtig hergerichteten Bau oder Erdloch. Frisch gefunden, wird hernach konzertiert.

 

Der Abend ist mittlerweile tiefste Nacht; Teil zwei des Konzertes, der Wunschblock, die Zugaben sind vorüber. Ein letztes Tablett Rhabarber macht die Runde, so wird es Zeit fürs Taxigehen. Die Gitarren geschultert, auf ins dankbar hergerichtete betreute Wohnen. Wo ein roter Kirschmond im Glase süßlich seine Runden zieht.

 

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