Dicke Freunde: privat und delikat (289)


Möge das Konzertjahr genau dort beginnen, wo das vorherige gefühlt eben erst zu Ende ging. In der Mutter aller Heimatkneipen. Gestatten: Krause, Frau Krause, Simildenstraße. Dort, wo sich Tradition und Chemie Leipzig an starken Holztischen versammeln und von guten Zeiten träumen. Denn die Zeiten sind hart und kalt. Besonders im Januar. Auch wenn das Westfernsehen weiterhin von einem sogenannten „milden Winter“ ausgeht. Alles Mundfasching. Im mittleren Osten ist es bitterkalt, die Wege sind glatt und Doctoren werden täglich von dicken Mänteln verschlungen. Wie gut, dass Fürst Fedja eben erst aus noch kälteren Gefilden, aus Belarus-Weiten, einkehrte und Makarios und Pichelstein sicheren Gaspedales gen Süden verschifft. Doctor Pichelstein trägt stolz ein rosafarbenes Tape aus der Abteilung Physiotherapie am rechten Handgelenk und gibt gleich bekannt: „Schwer heben kann ich heute nicht“. Ein Dank an die Taperin Frau Palm an dieser Stelle, denn ruckartiges Anheben einer proppevollen Astra-Bierkiste kann auf Dauer recht schmerzhaft sein. Man wird eben weder reicher, noch schöner oder gar jünger mit den Jahren. Und muss immer noch im Kaufland einkaufen. Der Zahn der Zeit ist gnadenlos. Das wusste auch Pratajev und fand als Teilzeit-Arzt mannigfach Gewerke.

 

 

Eingeladen zur heutigen Feier hat ein echter Wolf, ein Peter gar. 50 Jahre und nicht einmal die Hüfte schief. Das will gebührend gefeiert werden. DJ Hans der Jäger, heute in blauer Beinahe-Kurzhose anzutreffen, baut mit den Doctoren vorm noch leeren Dancefloor Bühnenbeschallungen auf. Das Licht sitzt, der Sound schließlich auch, die Losung des Tages lautet: „Mein Doctor, heute brennen wir mal ein Feuerwerk ab“. Makarios weiß nicht so recht, was Pichelstein damit ganz genau meint, nimm es sich aber schallend zu Herzen. Denn als das Buffet bereits gestürmt, unentwegt Ströme kühlen Gerstensaftes über den Tresen fließen, die Frau Krause einer gut besuchten Legebatterie gleicht, folgt ohne Umschweife ein Hit dem anderen. Erstaunlicherweise gelingt es dem Sangesdoc gar, in diesen Sturmrausch vom Rotarmisten über die Veterinäre bis hin zur ersten Schnapsbar, eine historisch wertvolle Pratajev-Geschichte ans frivol zwischenkommentierende Volk zu bringen. Wer auch immer schon mal mit Pratajev im Schlafsack lag, derlei kühne Worte wollen erst einmal bewiesen werden.

 

 

Wenn einmal das geschätzt 100-fache Lied-Repertoire durcheinander gewirbelt wird, darf auch „Sonne und Brot“ nicht fehlen. Zumal der beste Bäcker der Stadt, sonst gastierend im Waldstraßenviertel, Präsenz zeigt. Zur Belohnung gibt’s gelben Schnaps und am Pausenbuffet wird zwischen Fürst Fedja und den Doctoren eine Idee geboren. Eine Kalenderidee, wo doch jedes Jahr neue Jahresabrisse in Gedenken an Murphys Law auf den Markt drängen. 2014 zum Beispiel: Karpfen mit nackten Frauen, Wurstfabrikate mit Fetischfleischern. Ob man sich irgendwann nicht auch einem Fotoshooting hingeben sollte? Bauchfrei? Und drauf geschrieben steht: Dicke Freunde. Oder würde bereits derlei Ansinnen eine ganz spezielle Körperbewegung, das Kopfschütteln auslösen? Falls ja, wäre das schon die halbe Miete.

 

 

Weiter geht’s. Bühne frei für Pratajevs nächste Dramaturgie. Der DJ gibt das Zeichen. Auf dass die Sterne rot gesungen und natürlich getrunken werden. Was für ein Abend. Die „Feldmänner“ beginnen, Tiere aller Art folgen ungehemmt bis das Landleben Superlativ wird. Die letzte Schnapsbar ist aus purem Metal und wird später noch gekrönt werden. Als alles tanzt, sich die Rümpfe wiegen und Doctor Makarios gnadenlos "I am TNT!, I'm dynamite!“ ins weit offenen Mikrofon brüllt. Genau hier ebbt die Erinnerung des Erzählers ab, denn er musste dringend nach Hause. Und Fürst Fedja nahm sich seiner an, so ein guter, so ein weiser, so ein edler Mann.

 

Die neuerlich große Sause bei Frau Krause (288)


November, das ist ja auch so ein Monat. Viel Totengedenken, Karnevalsgrusel und ein Feiertag zum Büßen und Beten. Zumindest in Sachsen und heller will es draußen trotzdem nicht werden. Die Sonne geruht nur noch dann zu scheinen, wenn draußen klirrende Kälte herrscht. Mit Schlachtrufen, Luxusflüchen wie: „Wurst! Im! Rauch!“ versucht man sich bereits früh morgens zu motivieren. Nie sterben so viele Wecker übers Jahre verteilt den Wandtod als im November. Doch nun Ruhe im vorweihnachtlichen Getümmel, einen Tag im Monat 11 des Kalendariums wollen wir stets herzensrot anstreichen, den Tag der Sause bei Frau Krause. Begangen wird heute der Tourabschluss „10 Jahre Russian Doctors“. Gebannt wartet Doctor Pichelstein in der heimischen Küche auf ein Klingelzeichen des Fürst Fedja. Dann heißt es: Inventar nach draußen tragen, den Mantelkragen dabei zur Wind- und Wetterspeersitze hochgesteckt. Am Auto wartet bereits Doctor Makarios, Karl-Marx-Städter huschen in die Wohnung hoch. Noch schnell ein paar Sahnelikörchen kippen und ein Fläschchen Sekt. Das muss sein.

 

 

Wohlig warm ist’s in der Frau Krause, nach holder, goldener Technikeinweisung wird gesoundcheckt, werden erste Schweißtropfen unterm Beleuchtungssegment vergossen. Jedem dieser Tropfen heute ein Gläschen fein, so dürfte nichts schief gehen, auch das muss so sein. Und als die unglaublich leckeren Schnitzelteller allesamt leergefuttert sind, kann er kommen, der lange Abend. Doch halt nein, da ist noch was. Fürst Fedja rührt beide Doctoren zu Tränen. Hat dieser unglaubliche Pratajevianer es doch tatsächlich fertig gebracht, für jeden eine Matroschka anfertigen zu lassen. Die Betonung liegt hier auf „anfertigen“, denn insgesamt alle sechs Elemente wurden handgemalt, stichgesägt und vermutlich auch gefräst, lackiert und danach in Kartons verpackt. Rührung erfordert Schnaps, Makarios gibt die Bestellung auf. Und wer das Krause-Theken-Team kennt, der weiß, noch ehe der erste Schnaps getrunken ist, steht bereits ein zweiter da. Wir sind ja nicht in der Südvorstadt, von Beruf „Szenegänger“, inmitten so einer Schicki-Studi-Erlebnisgastro mit Pinienkerntee im vergeudeten Sortiment. Oh nein, das sind wir nicht.

 

 

Iva aus Prag! Geheimrat Goethe, livehaftiger Vertreter von „Goethes Erbsen“! The unbelievable Peter Richter aus Wismar! Schwarzschnapsbrenner Gurt Kaktus, in wohlgemerkt beiden Händen zwei Flaschen „Schnapsteeschnaps, Jahrgang 2013“, frisch aus dem Ballon! Die Conny-die-Manni-der Uli! Honorige Schülerinnen und Schüler der Steuerfachakademie (nächtliche Opfer von „Schnapsteeschnaps, Jahrgang 2013“). Ach und wie sie alle heißen. Ob herrlich kreischend, laut und lustig, in sich gekehrt, nach der Helga „Peitscha“ Bauer in sich suchend, wie auch immer stehend, hockend und adrett sitzend, rauchend, trinkend, kanariengrell und schwarz wie Pulver. Wir brechen die Analogie hier mal ab, sonst wird’s Konzert noch ganz vergessen.

 

 

So um halb zehn dürfte es jetzt sein. „Was wollt Ihr wissen, kennt Ihr Pratajev immer noch nicht (….)“ Das Intro der Ratten-CD lenkt die Aufmerksamkeit des Krause-Volkes gen Süden, gen Bühne. Die Doctoren erstrahlen darauf unter einem Sonnensystem aus lauter leuchtenden Gloriolen. Man könnte auch sagen: Weia, wie die Scheinwerfer blenden. Dem November, so schrecklich er ist, wird gehuldigt. Pratajevs Herbstweise von fallenden Blättern und Gallensäften packt die Befindlichkeit am Schopfe. Makarios holt die „Schöne aus der Stadt“ ab, beim „Löffel aus Holz“ wird ein eben solches Monstrum auf die Bühne gereicht, welches schon viele Suppenkanonen von innen sah. Ein erfahrener, ein weiser Löffel ist’s, der noch auf keinem Gefäßgesäß zerbrach. Jedenfalls sind keine Holzleimspuren zu erkennen. Auch keine Holzwürmer, denn die verachten heiße Suppe aufs Allerschärfste. Vorm „Rotarmisten“, vorm „Schlips aus Lurch“ geht’s an die allseits umjubelte „Schnapsbar“. Verschnaufen, nass sind die Kleider. Hurtig ein Sakko übers Salzshirt geworfen, denkt sich Doctor Pichelstein und taucht die ausgetrocknete Zunge in eines der Gelbschnapsgläser hinein. So viele sind’s, das ist ein Segen. Manche Boygroup würde vor Neid erblassen und zähneknirschend von sich geben: Immer nur Blümchen, BHs und Plüschtiere, die machen den Kohl auch nicht fett. Obwohl, na ja, besagte Kleidungsstücke, vielleicht. Aber nur als Zier auf einem üppigen Getränketablett. Das hätte Pratajev bestimmt auch sehr gut zu Gesicht gestanden. Wollen wir’s mal als kleine Anregung stehen lassen. Passendes Liedgut („Bebende Brust“) ist ja durchaus im Repertoire vorhanden.

 

 

Nach kurzer Sondierungsphase geht’s weiter, folgt in der Menge ein klirrender Glasbruch in HD und Dolby Surround dem nächsten. Am Merchtisch hat Fürst Fedja aller Hand zu tun, Gurt Kaktus wird ein „Milzbrand“ gereicht. Für die kalten Nächte in der Datscha. In Piano-Nähe beginnen jetzt die Sangesfestspiele und es darf mit Fug und Recht behauptet werden: So schön, so laut, so wohlgelitten wurde noch nie bei einem Doctors-Konzert mitgesungen! Phasenweise reicht Makarios das Mikro in die tobende Menge. Zu blöd, dass keiner vorher an einen Livemitschnitt gedacht hat. Doctor Pichelstein gibt derweil alles, die Handgelenke überschlagen sich. Röte ziert’s nasse Gesicht; knapp vor Ende der Sause bleibt davon nur eine blinkende Discokugel zurück. Aber was tut man nicht alles, wir sind ja nicht beim Nonnenhockey. Und nach einer Schublade voller Zugaben muss es reichen für heute, für das Jahr 2013. Ein schönes Doctors-Jahr, so rund und voll und wunderbar. In den Weiten Russlands brennt ein Feuerwerk dafür. Mindestens.

 

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