Besser noch leben: privat und delikat 2 (290)

Lange wurde bereits folgendes Sujet in des Doctor Makarios‘ Denke gepflegt: Lasst uns doch mal uns selbst feiern. Das Leben, die Jahre sind so kurz und manch böser Gast muss darin unbedingt vertrieben werden. Im übertragenen Sinne versteht sich. Als dann vor wenigen Tagen die Meldung: „Upart-Büro im NBL-Haus endlich fertig, fleißige Handwerker melden: Vollzug!“ durchsickerte, schien der Zeitpunkt für eine Label-Party plus engstem Gefolge sehr günstig. So ergingen Einladungen an all jene, die vor und hinter den Kulissen von Die Art, Goldeck, Lizard Pool, Beringsee, The Russian Doctors in diversen Funktionen arbeiten. Sei es in den Studio- und Plattenproduktionen, in der Presse- wie Mercharbeit oder sogar als Lebensretterin. All den unersetzlichen Allroundern gebührt langer Dank. Ebenfalls dem Team des „Noch besser Leben“ um Chefarzt Dr. Georg. Und was gehört zu einem zünftigen Gelage? Natürlich der Geist Pratajevs, abgefüllt in Flaschen. Ein Buffet, gezaubert vom Chefkoch des „Café Westen“ sowie ein kleines Kulturprogramm.

 

 

Doctor Pichelstein, gerade mitsamt Gitarrengepäck einem redseligen Taxifahrer aus dem Persischen („Ah, sie wollen ins „Besser noch Leben“. Ich bin ja nicht so religiös, aber….“) entronnen, schnauft tief durch. Fürst Fedja, eben noch Buffet-Transporteur, gleichfalls. Die Gewichtigkeit einer imposanten Chili-Kanone ist nicht zu unterschätzen. Doctor Makarios‘ Weckruf: „Lasst uns mal die Bühne aufbauen“ verscheucht indes jede Katrigkeit. Gesagt, getan. Alle Vorbereitungen fürs ausgewählte Personen-in-Pratajevs-Leben-Konzert münden in großer Soundzufriedenheit. Die Gäste treffen ein, die Geschenkeecke reicht bald nicht mehr aus. An Holztischen, in stillen wir lauten Ecken herrscht Anekdotenalarm unterm Klang der Marke Joy Division.

 

 

„Der Starke“ macht den Anfang, gefolgt vom „Käferzähler“, der auf „Die Dünne“ und den „Wanderer“ trifft. Unterbrochen wird der Personenreigen nur durch „Jeder Schluck“, denn derlei Tatendurst darf nicht fehlen. Fürst Fedja wird‘s am nächsten Tag noch wissen, doch der ist gefühlt noch weiter weg als Ostern. An Weltpremieren mangelt es nicht. Nach der Uraufführung von „Der Bedrückte“ (Russian Doctors) und „Löcher im Strumpf“ (Modern Doctors) gibt es kein Halten mehr. Und weil 80 Prozent des delikaten Buffets Pichelsteins Solonummer „Heute gibt es Hack“ Pate stehen, muss auch dieses Juwel fleischhaltiger Tonkunst unbedingt zu Gehör gebracht werden. Dann soll es gut sein mit der Livekultur. Und schließlich bricht er doch an, der neue Tag. Wohl dem, der darin seine Ruhe findet, die Schlafstätte erst gegen Abend verlassen muss und noch genau weiß, wie er in selbige hineingeraten ist.

 

Dicke Freunde: privat und delikat (289)


Möge das Konzertjahr genau dort beginnen, wo das vorherige gefühlt eben erst zu Ende ging. In der Mutter aller Heimatkneipen. Gestatten: Krause, Frau Krause, Simildenstraße. Dort, wo sich Tradition und Chemie Leipzig an starken Holztischen versammeln und von guten Zeiten träumen. Denn die Zeiten sind hart und kalt. Besonders im Januar. Auch wenn das Westfernsehen weiterhin von einem sogenannten „milden Winter“ ausgeht. Alles Mundfasching. Im mittleren Osten ist es bitterkalt, die Wege sind glatt und Doctoren werden täglich von dicken Mänteln verschlungen. Wie gut, dass Fürst Fedja eben erst aus noch kälteren Gefilden, aus Belarus-Weiten, einkehrte und Makarios und Pichelstein sicheren Gaspedales gen Süden verschifft. Doctor Pichelstein trägt stolz ein rosafarbenes Tape aus der Abteilung Physiotherapie am rechten Handgelenk und gibt gleich bekannt: „Schwer heben kann ich heute nicht“. Ein Dank an die Taperin Frau Palm an dieser Stelle, denn ruckartiges Anheben einer proppevollen Astra-Bierkiste kann auf Dauer recht schmerzhaft sein. Man wird eben weder reicher, noch schöner oder gar jünger mit den Jahren. Und muss immer noch im Kaufland einkaufen. Der Zahn der Zeit ist gnadenlos. Das wusste auch Pratajev und fand als Teilzeit-Arzt mannigfach Gewerke.

 

 

Eingeladen zur heutigen Feier hat ein echter Wolf, ein Peter gar. 50 Jahre und nicht einmal die Hüfte schief. Das will gebührend gefeiert werden. DJ Hans der Jäger, heute in blauer Beinahe-Kurzhose anzutreffen, baut mit den Doctoren vorm noch leeren Dancefloor Bühnenbeschallungen auf. Das Licht sitzt, der Sound schließlich auch, die Losung des Tages lautet: „Mein Doctor, heute brennen wir mal ein Feuerwerk ab“. Makarios weiß nicht so recht, was Pichelstein damit ganz genau meint, nimm es sich aber schallend zu Herzen. Denn als das Buffet bereits gestürmt, unentwegt Ströme kühlen Gerstensaftes über den Tresen fließen, die Frau Krause einer gut besuchten Legebatterie gleicht, folgt ohne Umschweife ein Hit dem anderen. Erstaunlicherweise gelingt es dem Sangesdoc gar, in diesen Sturmrausch vom Rotarmisten über die Veterinäre bis hin zur ersten Schnapsbar, eine historisch wertvolle Pratajev-Geschichte ans frivol zwischenkommentierende Volk zu bringen. Wer auch immer schon mal mit Pratajev im Schlafsack lag, derlei kühne Worte wollen erst einmal bewiesen werden.

 

 

Wenn einmal das geschätzt 100-fache Lied-Repertoire durcheinander gewirbelt wird, darf auch „Sonne und Brot“ nicht fehlen. Zumal der beste Bäcker der Stadt, sonst gastierend im Waldstraßenviertel, Präsenz zeigt. Zur Belohnung gibt’s gelben Schnaps und am Pausenbuffet wird zwischen Fürst Fedja und den Doctoren eine Idee geboren. Eine Kalenderidee, wo doch jedes Jahr neue Jahresabrisse in Gedenken an Murphys Law auf den Markt drängen. 2014 zum Beispiel: Karpfen mit nackten Frauen, Wurstfabrikate mit Fetischfleischern. Ob man sich irgendwann nicht auch einem Fotoshooting hingeben sollte? Bauchfrei? Und drauf geschrieben steht: Dicke Freunde. Oder würde bereits derlei Ansinnen eine ganz spezielle Körperbewegung, das Kopfschütteln auslösen? Falls ja, wäre das schon die halbe Miete.

 

 

Weiter geht’s. Bühne frei für Pratajevs nächste Dramaturgie. Der DJ gibt das Zeichen. Auf dass die Sterne rot gesungen und natürlich getrunken werden. Was für ein Abend. Die „Feldmänner“ beginnen, Tiere aller Art folgen ungehemmt bis das Landleben Superlativ wird. Die letzte Schnapsbar ist aus purem Metal und wird später noch gekrönt werden. Als alles tanzt, sich die Rümpfe wiegen und Doctor Makarios gnadenlos "I am TNT!, I'm dynamite!“ ins weit offenen Mikrofon brüllt. Genau hier ebbt die Erinnerung des Erzählers ab, denn er musste dringend nach Hause. Und Fürst Fedja nahm sich seiner an, so ein guter, so ein weiser, so ein edler Mann.

 

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