Schweinfurter Schlachtschüssel (469)

 

Das erste Konzert des frischen Jahres! Mit Ziel: Schweinfurter Schlachtschüssel. Was kann es charmanteres geben? Los geht die Reise bereits im Vortag, am Freitagvormittag. Erstes Ziel: der Grenzübergang Selb im Fichtelgebirge, um wenige Meter später im tschechischen Asch Travel Free-Vorräte zu hamstern. Fun Fact: Überraschenderweise werden sie jenseits der Grenze immer billiger. On Top gibt’s ein zünftiges Mittagsmahl nebst Wursteinkauf für Frank „The Tank“ Förster. Befindet sich der begnadete Tourmanager doch gerade genesend in einer Anschluss-Heilbehandlungs-Einrichtung (AHB) in Bad Kösen. Besucht wird er auf der Rückfahrt am Sonntag. Böhmische Wurst statt Blumen als Mitbringsel, so sieht Liebe aus.

 

Um es vorweg zu nehmen: Eine Flasche besten Frankenweines wird auch dabei sein. Gut verstecken ist im Schwange, denn AHB-Stätten verfügen über Bannmeilen gegen jeden Genuss. Rauchen ist erst in einigen Kilometern Entfernung erlaubt; Schilder mit höllenartigen Wesen weisen darauf hin. Wer beim Alkoholkonsum (unter der Bettdecke oder qua Laborergebnis) erwischt wird, fliegt nackt im Wind, mit aufgeplatzter OP-Narbe über den nächsten Zaun und muss per Anhalter nach Hause bummeln. 90 % der Insassen sind auf bestem Wege in die Kurzzeitpflege, im Fernsehen läuft den ganzen Tag Therapie-TV. Mit Tipps für eine gesunde Ernährung - die aber selbstredend nur für zuhause gelten, denn ein (hier zu Mittag gereichter) salzbeladener Fertig-Kartoffelpüree-Mampf unterm Laserdrucker-Schnitzel der Güteklasse Z, läuft außerhalb jeder Konkurrenz. Hinzuweisen ist dito aufs Kulturprogramm. Einmal pro Woche tingeln Trompeten-Günther und die kabellose Mikro-Rita mit dem Mitsinge-Programm „Wanderlieder mit Rollator und neuer Hüfte“ durch den Speisesaal, ein anderes Mal werden bauchverliebte Strickpullover auf dem Best Ager-Catwalk präsentiert.

 

    

 

Nun denn, im Verlauf des Tourwochenendes lassen es sich die Doctoren nicht nehmen, dem derart gepeinigten Frank The Tank WhatsApp-Bildnisse höchster kulinarischer Qualität zukommen zu lassen. Weiter geht’s. Über Land, dann über die A 70 Richtung Schweinfurt. Regel trommelt aufs Dach, mancherorts reißt der Himmel auf, gegen 16 Uhr ist das Parkdeck des Panorama-City-Hotels erreicht, wird eingecheckt und grundsätzlich gecheckt, wie und wo der Freitag noch aus seiner Komfortzone gelockt werden darf. Ergebnis: Treffen mit der Gastgeber-Gäng im Brauhaus, unweit des Hotels gelegen.

 

 

 

Geladen zur morgigen Schlachtschüssel ist auch der komplette Die Art-Tross; Apollo Muffler stellt die Vorhut, der Rest wird samt Gattinnen erst am frühen Samstag erwartet. Und so gelingt es gegen Abend den Docs Muffler, Makarios und Pichelstein Wege mit vom Nachmittagsschlaf verhangenen Augen einzufädeln, die fürs Erste im besagten Brauhaus enden. Leichter gesagt als getan. Denn, wer das Panorama-Hotel ebenerdig verlassen will, muss gleich zwei unterschiedlich verortete Fahrstühle finden, erklimmen und drinnen Tasten drücken, die an Schrödingers Katzentheorie gemahnen.

 

Kommen wir zur Schweinfurter Schlachtschüssel, zur Frage: Was ist das denn? Keusche Vegetarier, vom Picky-Eater-Syndrom heimgesuchte Anti-Beef-Boys and Girls, skippt (wie im Podcast, wenn es ums pralle Leben geht) einfach ein paar Luxusproblem-Buchstaben nach vorn.

 

 

Also. Die Schweinfurter Schlachtschüssel ist keine übliche Schlachtplatte, sondern ein gediegenes Fest in einer großen, geselligen Tafelrunde. Eigentlich wird sie von Blasmusikern beschallt, morgen dürfen die Russian Doctors diesen Part übernehmen. Auf Speisekarten ist sie nicht zu finden, landstrichartig gar unerlaubt. Eine Mindestanzahl von Essern ist erforderlich, der Ablauf erfolgt gemäß überlieferten, archaischen Ritualen aus dem 18. Jahrhundert, als der Schweinfurter Metzgerwirt Schwanhäusser erstmal dazu anstiftete.

 

Die wichtigste Besonderheit ist, dass nicht von Tellern, sondern von langen Holzbrettern direkt auf dem Tisch gefuttert wird. Es handelt sich um ein sehr deftiges Gericht, bei dem verschiedene Schweineregionen – aufgeteilt in sieben Gänge – verzehrt werden. Ehrlose Currywürste, rasch gerollte Klöpse oder gebratene Steaks müssen draußen bleiben.

 

 

Das Fleisch wird zuvor als Kesselfleisch gekocht und späterhin in einer fest abgestimmten Reihenfolge, von Kopf bis Fuß, serviert. Morgen stehen, bei über 100 geladenen Gästen, gleich drei entborstete, regionale Schweine zur Verfügung.

 

Weiter mit dem aktuellen Tagesgeschehen. Im rustikalen Brauhaus mit Steinkrug-Dekor werden hauseigenes Bier samt fränkisch-deftiger Küche serviert. Mitten hinein platzt das Schlachtschüssel-Komitee. Großes "Hallo!" Uwe, Uli & allen anderen. Des Pulitzerpreises unverdächtige Dialoge werden geführt, Frank The Tank bekommt ein paar Schmaus-Bilder nebst besten Grüßen übermittelt. Der Abend endet schließlich schwankenden Gemüts an der Theke des Stattbahnhof-Kulturhauses bei flüssigen Heilkräutern aus dem Wald. Uli ist danach heldenhaft in der Lage, die Doctoren stilecht, im American Chevy (nein, nicht im Moskwitsch) zum Hotel zurückzufahren. Zeit, sich - nach einem malerischen Rundblick vom Raucherbalkon - Betten zu gönnen.

 

 

Abhusten für den neuen Tag. Auf mit großer Garderobe wahrer Eleganz. Doc Pi verteilt nach einem opulenten Frühstück gutes aus der Reiseapotheke, Punkt 11 Uhr steht Uli samt Chevy für den Shuttle ins Dörfchen Hausen bei Schonungen bereit. Die Backline wird verladen. Ab die Post zum Wirts- und Brauhaus Martin. Von dort, Treppe hoch, in den Festsaal hinein. Emsiges Treiben herrscht, die Vorbereitungen sind im vollen Gange. Ein erstes Kesselschwein dampft in einem Behältnis, das nur Riesen problemlos tragen können. Nach und nach trudeln die Geladenen ein, Pichelstein baut die Bühne auf, Apollo Muffler grinst über beide Backen, ein Gezapftes geht schon. Und dazu ein selbstgebrannter Zwetschgenschnaps aus der immer finsteren, fränkischen Rhön.

 

 

Dank bestem Techniker dauert der Soundcheck keine 20 Minuten. Der Saal duftet sauerkrautgeschwängert, Schlag 13 Uhr sitzen alle – und bevor die Schlachtschüssel mit offizieller Rede vom Chefwirt als eröffnet erklärt wird, macht sich Uli auf den Weg durch die Stuhlreihen, um Pratajevs Revue (nahezu auswendig gelernt) vorzutragen.

 

Herrlichstes, in Wodka eingelegtes Impro-Theater mündet im Pichelsteinschen Gitarrenfeuerwerk, Makarios startet Block 1 der Sangesweisen mit dem „Lob des Schweines“ – auf den Tischen verteilt liegt der Text dazu. Es darf unbedingt mitgesungen werden und wird es auch. „Der Saft troff aus meinem Munde …“  

 

Bevor der portionierte Wahnsinn seinen Lauf nimmt, folgt „Wodka, Wodka“ auf die Ohren, „Der Bauch“, dann auf zum Reihenfolgen-Schmaus vor die Tischbretter. Justament gibt’s flinkes, kellnergereichtes Hirn an Rührei, Bauch, Tafelspitz, dazu Landbrot, Kraut. Ehe man sich großartig versieht, steht ein neues Kaltgetränk daneben. Zum Niederknien.

 

 

In den folgenden Sternstunden verfestigen sich die Rituale, manch einem wird ein Schweineschwänzchen angeheftet. Ein keckes „Er (oder) Sie hat’s“ bedeutet: Saalrunde! Die Doctoren stehen wieder auf der Bühne, immer fokussiert, der Wind hält den Atem an. Im extra fürs Schlachtschüssel-Event portionierten Set dürfen weder „Hack“ noch ein früher „Löffel aus Holz“ ausbleiben. „Der Satte“ steht noch in den Startlöchern, während der Saal sich wild applaudierend nunmehr auf Kamm, Schulter, Nüsse, Backen, Ohren, Rüssel, Innereien stürzt. Weiter im Set, dritter, vierter, fünfter Konzertblock, jweils mit dem „Lob des Schweines“ zu Anfang. Makarios überreicht indessen der Veranstalter-Crew einen kulinarisch wertvollen Leipziger Allerlei-Geschenkekorb. 

 

 

Schließlich dunkelt es draußen, alle Erlebniszellen sind nach wie vor aktiviert. Auf in den Zugabeblock! Vor der Bühne ist mittenmang eine grandios genutzte Tanzfläche entstanden. „Tasche auf, Tasche zu“, wird skandiert, „Löcher im Strumpf“, „Schlips aus Lurch“, „Tote Katzen“ und so weiter und so fort. Schweinisch nass liegen sich am Ende die Docs in den Armen, bedanken sich, werden geherzt, verbeugen sich, trinken noch den ein oder anderen guten Schluck. Lange währt der Tag nicht mehr, mit dem Uli-Chevy geht’s zurück zum Hotel, stante pede in die Dusche, kurz ins Brauhaus, Ende. Ein ganz großes DANKE an Uwe, Petra, Uli & Co, heldenhaft. „Hochverdienter Start-Ziel-Sieg,“ wie es im Eishockey heißt. Und: wer kann als Musiker schon von sich behaupten, jemals bei einer echten Schweinfurter Schlachtschüssel aufgespielt zu haben? Dagegen ist ein Stadionkonzert so spannend wie eine Milchsemmel. Eben.

 

Bilder: Danke an die Schweinfurt-Crew

 

 

 

Turnvater Jahn hätte seine wahre Freude dran gehabt (468)

 

Zwischen den Jahren kann es nichts Besseres geben, als ein Konzert für die Zunge. Ein neuerliches Bulbash Masters Special, ausgefochten in der Westwerk-Stallwache. Natürlich mit Pratajevs Vorlese-Agitator M. Kruppe. Eine Konzertlesung in Raunächte-Zeiten, da bleibt kein verbrannter Wunsch unerfüllt.

 

Um 19 Uhr öffnet sich die stählerne Tür; das wodkalastige Hochamt ist seit Wochen ausverkauft. Bedeutet: Jegliches Herrichten der Bühnenecke sollte bis dahin erledigt sein. M. Kruppe und Doc Pichelstein stemmen noch rasch ein paar Hanteln (oder Biere) und legen los.

 

 

Schon der Alltag verlangt ergründete Kunststücke ab, das Sahnehäubchen des frühen Abends ist jedoch ein gelungener Soundcheck. Erst recht, wenn man dafür nicht Mäusekino auf dem Telefon schauen muss. Alles schon erlebt, filmische Anleitungen für Anlagen zur Beschallung des Publikums werden eben in der YouTube-Akademie produziert.   

 

 

Keine Bierquälerei mit Mischgetränken! Erste Menschen stehen in der Stallwache und werden mit Bulbash-Brettern notversorgt. Fürst Fedjas Zauber strahlt auf alle über. Auf die Pratajev-Hautevolee-Fraktionen von Lichtenstein-Chemnitz über Berlin bis Nürnberg. Der imaginäre Pokal der weitesten Anreise wird einer Rostocker Reisegruppe übergeholfen.

 

Man talkt hier, schnattert dort, Vorsätze fürs neue Jahr werden mit dem Anfangssatz „Die Unvernunft ist meist die schönere Alternative“ begonnen. Im offenen Backstagebereich tauchen Pizzen mit Salamischeiben unter zerlaufenem Käse auf. Und da der Personal Trainer der Docs ein fauler Kater ist, dürfen die Kartons getrost leergefuttert werden. Jasper Fryth, erneuter Bildschöpfer des aktuellen Russian Doctors-Kalenders, hilft fleißig mit. 

 

 

Apropos Kalender: im Laufe des Abends werden die letzten fünf (von 100 gedruckten) an den Mann, an die Frau gebracht. Somit ist es den Docs auch möglich, eine Spende im fast mittleren, dreistelligen Bereich für die Wohltaten freiwilliger Ärzte in Krisenregionen zu überlassen. Es gibt ja, neben den Russian Docs, auch echte Ärzte, und das ist sehr gut so. Ob es allerdings auch falsche Schwesternschülerinnen gibt, ist nicht bekannt. Dafür gibt es wiederum leckeres Vierbeingemüse und mit Sicherheit fallen im Frühsommer deshalb Sätze wie dieser hier: „Ach du Schreck, der Winterspeck.“

 

Los geht’s, gleich halb neun. M. Kruppe und die Doctoren springen in die Bühnenecke, Turnvater Jahn hätte seine wahre Freude dran gehabt. Keine Fliehkräfte bringen sie ins Straucheln.

 

Makarios‘ Stimme begrüßt alle tonsicher mit gewohnt dunklem Timbre. Die Löcher-im-Strumpf-, die Holzlöffel-Fraktionen applaudieren und der Wind hält den Atem bis zum Ende der ersten Klangrunde an. Staffelstab an M. Kruppe. Es regnen, es stürmen die Weisen Pratajevs aus den Boxen und kulminieren zur Gefrierkatastrophe von Bolwerkow. Antwort der Doctoren darauf: „Als das Eis kam (so plötzlich).“

 

 

Und so geht es hin und so geht es her, der Weg zur Schnapsbar ist verbaut. Selbst Dominas könnten sich schwerlich dorthin durchschlagen. Also schreibt Doc Pichelstein Fürst Fedja eine WhatsApp. Inhalt: „Benötigt wird Bier, dazu mehr als eine Handbreit Wodka.“     

 

Noch ehe „Jeder Schluck“ aus den Boxen kommt, wird die Bühne befüllt. Und nicht nur die. Es darf gejohlt, getanzt, mitgesungen werden. Da kein Platz mehr für Monitorboxen war, müssen die Docs auf die erste, recht schwankende Sangesreihe zurückgreifen.

 

 

 

Zur letzten Lesung vor der Pause holt M. Kruppe den Kinski raus, rasch herrscht Ruhe. Noch ein Fetischblock, dann Pause. Reißt die Bengalos an der Bar an, die Docs kommen. Zunächst sollen aber noch Plakate und Platten signiert werden. Gerne. 

 

Am Ende des Pausenweges geht es mit aller Macht weiter. Mittlerweile darf das im Nachgang geführte Motto längst lauten: „Wer sich erinnert, war nicht dabei.“

 


 

Was war noch alles? Zum Schluss gab es einen herzzerreißenden Heiratsantrag am Mikro, so viel ist sicher. Es wurde tatsächlich „Ja“ gesagt. Also glücklicherweise nicht das, was bei Roland Kaiser zu erwarten gewesen wäre („Warum hast du nicht nein gesagt?"). Davor kokettierte M. Kruppe mit dem Pratajev-Alphabet, Pichelstein erklärte die Schnell-Akustik-Gitarren-Magie so: „Du musst lernen zu denken, wie eine Gitarre denkt.“ Während weiterhin gottlose Mengen an Wodka mit Fürst-Fedja-Gönnung die Runde machten.

 

Der de Luxe-Teil des musikalischen Zugabeblocks begann mit dem „Verzerrten Mund“ oder mit „Löchern im Strumpf“. Auf jeden Fall war eine „Tasche“ dabei. Eine „Schnapsbar“, doch keine einzige Katze, was selten vorkommt. Dafür am allerletzten Ende: „Geh heme meine Kleene,“ was noch seltener vorkommt, aber den Standpunkt der frühen Nacht auf den Punkt beamt. Schweißnass, diebisch-herrlich vergnügt.

 

Danke für dieses Konzertfinale eines nicht einfachen Jahres. Danke M. Kruppe, Du literarischer Superspreader pratajevscher Weisen. Danke Fürst Fedja, edler Ritter der Cocktail-Kokosnuss-Runde. Danke, liebe Pratajev-Dudes, Freunde der Russian Doctors, wir sehen uns im nächsten Jahr.       

 

 

Bilder: Der Pasemann, Frau Ast, SEB, Claudia Hilgers

 

 

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