Nächstes Mal im Bademantel (303)


Wetterkapriolen, wohin man blickt. Einmal ist die Rede von Unwettern, die gar nicht vorkommen, dann wieder ist die Rede vom Lande Garnichtvorkommern, in dem es plötzlich blitzt, donnert und wie aus Kübeln schüttet. Wer nicht auf dem Berge wohnt, wird weggeschlammt. All das liegt keineswegs an einem Phänomen namens „Erderwärmung“, denn es ist gerade Hochsommer. Da ist die Erde naturgemäß wärmer als im Winter. Solche Sätze hatte einst nur einer drauf: Jörg Kachelmann. Doch seit dessen TV-Präsenz sich eher aufs Juristische beschränkt, ist eh nichts mehr wie es war. Mit dem Wetter, mit der Gerichtsreporterin Frau Schwarzer, um die es auch stiller geworden ist. Warten wir mal den sie betreffenden Steuerprozess in Bälde ab. Will heißen: auf nichts ist mehr Verlass, wenn selbst die Ikone der Emanzipationsbewegung (so der Vorwurf) die Bücher Schweizer Banker stopfte. Was soll noch passieren? Vielleicht ein Coming-out des Papstes.

 

So reisen die Doctoren heute bei Luftfeuchtigkeiten, die sonst eher im asiatischen Raum anzutreffen sind, unter sengender Hitze an den Albrechtshainer See. Ins von Leipzig nur marginal entfernte Indien, nein, falsch: Naunhof. Tourmanager Fürst Fedja jagt und buckelt über Pisten, denn die Einfahrt zum Open-Air-Gasthof Treibholz ist nicht unbedingt Teil des vorab sorgfältig ausgedruckten Anreiseplanes. Auf Navigationsgeräte verzichten die Doctors. Einerseits weil die weibliche Ansagestimme vor allem in den Slums von Kalkutta, Verzeihung, in ländlichen Regionen unseres geliebten Freistaates, sich gerne über den Stand der Dinge ausschweigt. Andererseits: wenn sie was sagt, sagt sie gerne: „Bitte wenden“. Obschon die Map-2014er Version aktuell wie eine täglich Bildzeitung ist – wieder ein Beispiel für die Ölpest, die wir jeden Tag in Sachen Technik und Fortschritt erleben: Alle Möglichkeiten jedweder Annehmlichkeiten sind durchaus vorhanden. Nur die Umsetzungen werden, zumeist durch mangelhafte, sehr mangelhafte Verbreitung von GPS bis Internetz nur in den Ballungsräumen rund um Mumbai, falsch, falsch – Leipzig oder so - nie klappen. Es geht also weiterhin zu wie in einem großen Kraftraum: Zum Glück muss man sich hochschuften.

 

 

Dann ist die Idylle erreicht, die Technik lagert auf Bühnenelementen, darunter feuchter Grund. Dem großen Hallo folgt rasch das erste Kaltgetränk, der Soundcheck ist ein Kinderspiel. Mit großkalibrigen Sonnenbrillen wird die Aussicht genossen, denn die ist wirklich toll. Man blickt genau auf den See, sieht Urlauberinnen drin schwimmen und freut sich auf gutes vom Grill genauso darauf, dass ein Großteil der Bierbänke reserviert wurde. Wird also voll heute Abend, na dann los in den ersten Konzertblock. Kinder springen durch die Gegend, manche Stoffkatze wird präsentiert. Ganz in Erwartung des Pratajev-Hits „Tote Katzen im Wind“. Bereits in der Schnittstelle von Land- hin zu Medizinliedern schwitzt Doctor Pichelstein Bäche. Die Auswahl einer schwarzen Stretchhose war vorab genauso fatal wie das Vergessen eines Handtuches. Oder meinetwegen eines Bademantels. An den unteren Rändern der mit Sehstärken angereicherten Sonnenbrille bilden sich Pfützen. Manche Mücke rutscht vom Schleimarm glatt ab. Obschon Doctor Makarios justament verkündet hatte, dass die Armschleimkrankheit hier draußen heute keine Chance haben würde. Sehr froh, ob der ersten Pause, schleppt sich Pichelstein an den nächsten Tisch und tropft keuchend vor sich hin. Fürst Fedja umsorgt ihn lyrisch wie becherfein: "Trink schnell, mein Guter". Pichelstein trinkt schnell, egal, was es ist.

 

 

Dann die Rettung: Ein lilafarbenes Handtuch wird gereicht. Es duftet nach Lavendel und einer unbekannten Dame sei hiermit nachträglich großer Dank dafür zugesprochen. Es folgt der nächste Konzertblock, schnell, schneller sausen die Finger über pitschnasse Gitarrensaiten. Makarios‘ Gesang wird an manchen Passagen gleich dreimal umrundet. Bis die Scheinwerfer mittlerweile den Sonnenball ersetzen, man eins wird mit dem See da vorne und wild und furchtlos über den aufgeweichten Boden Kreise zieht. Es folgen die Zugaben, noch einmal heißt es „Jeder Schluck ist ein guter Schluck“, Fürst Fedja reicht Kümmerlinge und am Ende sitzt man so da: nass, zufrieden und fröhlich lächelnd. Natürlich nahe der Schnapsbar. Möge das nächste Gewitter ein wenig Abkühlung bringen. Nur nicht heute.

 

He shoots, he scores (302)


Alles anders als sonst. Da am Samstag Doctor Makarios privat mit Die Art in Berlin weilen wird, fällt das gemütliche 15 Uhr-Stelldichein am Sonntag an der Grottenwirtschaft ausnahmsweise ins Wasser. Sogar in kachelmannscher Manier, doch dafür können die Doctors nichts. Einzig heute, am Freitag, scheint viel Sonne überm Elbufer, was in den Jahren zuvor meist andersrum verlief.

 

Und so kitzelt Fürst Fedja aus dem Mercedes-Sprinter Geschwindigkeiten heraus, die der Silberbus wohl noch nie auf einer Autobahn erleben durfte. Dem rasend‘ Pfeil gefällt’s; Makarios und Pichelstein halten den Atem an und erreichen in knapp über einer Stunde Dresdens Altstadt. Billig-Beatles kündigen sich laternenplakativ an. Am Schlossufer drängen sich hunderte, wenn nicht tausende Menschen zu einer Konzertbühne. Der Tipp geht klar in Richtung „Roland Kaiser is back again“. Stimmt aber nicht. „Sunrise Avenue“ wäre die Lösung gewesen. Wieder andere pilgern hingegen in die richtige Richtung, zum Elbhangfest.

 

 

An der Alten Feuerwache stecken Kaltfront im Soundcheck fest, so wird erst mal lustgewandelt, wird’s Team geherzt, werden Nahungsvielfalten ausgemacht und ungläubig in die strahlende Sonne geblinzelt. Zwar ist ihr Zenit längst überschritten, doch ficht sie das keineswegs an. Purpurne Wolken in zerrissenen Formen suchen rasch das Weite und rammen frontal gegen das Erzgebirge. Um Viertel Neun (für niedere Sachsen: 20 Uhr 15) soll’s Konzert beginnen.

 

Nach kurzem Aufbau kommt jedes Dahinvegetieren im Schweiße wie gerufen und Potzblitz: plötzlich läuft’s Intro, stimmen die Gitarren und dann geht es auch schon los. Auf zu neuen Pratajev-Eskapaden. Mit bester Gleichzeitigkeit startet das Konzert, dann schert Doctor Pichelstein erstmals links am Makarios vorbei in die Angriffszone. Sich selbst in der Strophe anfeuernd, stoppt der Sänger seinen Topscorer-Gitarristen kurz vor der blauen Linie. Mit einem Refrain-Check kracht Pichelstein in die Bande. Bleibt er liegen? Nein. Schnell ein Becherschluck Biermineral hinterher, das Puck-Plektrum wird während der 2. Strophe des „Impfers“ kurz abgetrocknet, weiter geht’s. Makarios ist abgehängt – doch das macht nichts, wir befinden uns schließlich im Break der „Harten Wirtin“. Pichelstein rast Richtung Slot davon und schießt… Doch Kümmerling hält! Kümmerling mit einem Big Save! Doch dann: Das Puck-Plektrum fällt als Rebound direkt in die Gitarre und da ist sie also geknackt, die Schallmauer für akustische Weltrekorde. He shoots, he scores!

 

 

Mit heroischen Gesichtszügen, dem Kreislaufkollaps nahe, führt Doctor Makarios nunmehr den Fetisch ins Liedgut ein. „Gefesselt“ ist immer auch ein Ruhepool für geschundene Gitarrenfinger. Und das Speedstück „Bebende Brust“ fällt heute aus. Dafür wird im verehrten Publikumspulk zu „Tote Katzen im Wind“ getanzt, wie schon vorher „Beim Bücken“ mitgesungen. Niemand steht mehr ruhig und besonnen in den Ecken, heftig fließt das Adrenalin, schießen die Hormone quer. Geschenke des Publikums, denen man sich als Musiker erst einmal würdig erweisen muss. Und so werden alle ganz schön gewürdigt heute, wieder einmal schade, dass keine Live-CD dabei rauskommen wird.

 

In den Zugaben darf die Dresdenhymne „Als das Eis kam (so plötzlich)“ nicht fehlen. Auch der „Raucher von Bolwerkow“ und so einiges mehr. Höhepunkt: Pichelstein Rieu gibt den André in der letzten „Schnapsbar“. Das Publikum stellt jeden Opernball, von Dresden bis Wien, darunter glatt in den Schatten. Doch genug des Entzückens, es ist, es war ein Abend, eine Nacht der Superlative. Und wer später einmal auf Menschen trifft, die am 27. Juni 2014 an der Alten Feuerwache dabei waren - wir schließen hier die Kultband Kaltfront unbedingt mit ein - wird sie am Glanz ihrer Augen erkennen.

 

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